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Mnyaka Sururu Mboro von der NGO „Berlin Postkolonial“ will mit seinen Partnern Licht ins Dunkel der deutschen Kolonialgeschichte bringen.

© Mike Wolff

Wie in Berlin Afrika aufgeteilt wurde: Informationszentrum soll an deutsche Kolonialgeschichte erinnern

Berlin spielte eine wichtige Rolle für den deutschen Kolonialismus. Dieser soll nun in einem neuen Projekt aufgearbeitet und kartografiert werden.

„Schönes Wetter,“ sagt Mnyaka Sururu Mboro von der NGO „Berlin Postkolonial“ in ironischem Ton. Eigentlich sollte die Pressekonferenz zur Einweihung des neu eingerichteten Projektraums im Freien stattfinden, schon wegen Corona. Das Wetter spielt nicht mit.

Erstmals weicht an diesem Dienstagmorgen die Hitzewelle nach über einer Woche dem Regen, Gewitter sind angekündigt. Dabei hätte das Thema deutsche Kolonialgeschichte keiner zusätzlichen Dramatik bedurft, trägt es doch Tragik im Übermaß in sich.

Die „Dekoloniale“ ist ein Verbundprojekt vierer Kernpartner: der Verein „Berlin Postkolonial“, „Each One Teach One“, die „Initiative Schwarze Menschen in Deutschland“ (ISD) und das Stadtmuseum Berlin – zusammen wollen sie Licht ins Dunkel der deutschen Kolonialgeschichte bringen.

Ausgangsort ist die Adresse Wilhelmstraße 92 in Mitte, das Informationszentrum der „Dekoloniale“. Die Einrichtung ist leicht und auf Rollen: In den kommenden vier Jahren wird das Informationszentrum von Erinnerungsort zu Erinnerungsort ziehen. Das Zentrum sei die erste, speziell dem Thema Kolonialgeschichte gewidmete öffentliche Anlaufstelle in der Stadt, sagt Projekt-Koordinatorin Anna Yeboah.

Der Tisch, an dem Afrika aufgeteilt wurde, stand in Berlin

Die aktuelle Adresse befindet sich ganz nahe der im Krieg zerstörten Tagungsstätte der Berliner „Kongokonferenz“, bei der von November 1884 bis Februar 1885 die Handelsfreiheit am Kongo geregelt werden sollte. Was nach harmlos klingendem Verwaltungsakt klingt, mündete in der Kongoakte, die tatsächlich die Aufteilung afrikanischer Gebiete und Bevölkerungen unter den Kolonialisten bedeutete.

Hierhin hat Reichskanzler Bismarck seine „Kollegen“, wie Mboro sagt, unter anderem aus England, Frankreich, Portugal, Spanien, den USA, dem Osmanischen Reich eingeladen, um sich einen Vorteil im Rennen um Afrika zu sichern und die Eigentumsverhältnisse um den an Bodenschätzen reichen Kongo zu klären.

Die Lösung bestand darin, ihn dem weltpolitisch nicht allzu bedeutenden belgischen König Leopold II. im Grunde als Privateigentum zu schenken, den übrigen Kontinent noch am Tisch unter den übrigen Herrschern aufzuteilen. Die Verwirklichung imperialistischer Allmachtsfantasien, wie sie in Europa nicht mehr möglich war, auf dem Rücken afrikanischer Bevölkerungen.

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In Berlin wurden die Weichen gestellt. Deutschland war zu diesem Zeitpunkt das weltweit viertgrößte Kolonialimperium, Sklavenhandel zwar verboten, bestehende Sklaverei aber nicht. „An diese unterbelichtete Geschichte zu erinnern ist unsere Aufgabe“, betont Mboro.

Sie dienten auch im Berliner Stadtschloss

Dekoloniale Erinnerungskultur in der Stadt“ lautet das vollständige Motto des Projekts, „wobei die Stadt bewusst unspezifisch bleibt, denn jede Stadt hat eine dekoloniale Erinnerungskultur nötig“, sagt Yeboah. Solange die Geschichte verborgen ist, sind auch die Wurzeln von strukturellem Rassismus unsichtbar.

Die Nachkommen deutsch-afrikanischer Sklaven leben noch heute hier. Ihre Vorfahren waren zum Beispiel Diener im kaiserlichen Stadtschloss, eine Referenz, die in der Erzählung des Humboldtforums fehlt, dessen Bezug zum alten Schloss offenkundig ist. Ihre individuellen Geschichten und deren Verästelungen bis in den heutigen Alltag nachzuverfolgen, soll „ihre Geschichte zu unserer Geschichte machen“, sagt Christian Kopp von „Berlin Postkolonial“.

Dazu gehört auch die erstmalige Kartografierung für die Kolonialgeschichte bedeutender Orte. 1000 Orte sollen erfasst werden, zu je einem Drittel in Berlin, bundesweit und an postkolonialen Stätten weltweit. Sie sollen nicht nur aufgezählt, sondern durch Erzählungen menschlicher Lebensläufe und Sachgeschichten miteinander verknüpft werden.

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Im Museum Treptow ist eine Frucht dieser Zusammenarbeit bereits zu sehen: die erste Berliner Dauerausstellung zur Kolonialgeschichte. Im kommenden Jahr sollen weitere folgen, zunächst im Museum Kreuzberg.

Für die Kolonialgeschichte sensibilisieren

Paul Spies vom Stadtmuseum sieht die Zusammenarbeit als Gelegenheit, in einen Austausch mit den People of Color in der Hauptstadt zu treten und von ihnen zu lernen. Tahir Della von der ISD berät mit einem Kuratorenteam seit Jahren Museen und Ausstellungsmacher kolonialkritisch und wünscht sich eine Zusammenarbeit auf Augenhöhe: „Die Stadtgesellschaft und ihre Experten müssen mitgestaltend konstruktiv in Ausstellungen einbezogen werden.“

Der Zusammenschluss ermöglicht erstmals eine größere Mittelakquise und finanzierte Stellen, wo zuvor ausschließlich Ehrenämter möglich waren. Das Projekt ist bis 2024 mit 3,1 Mio Euro durch die Senatsverwaltung Kultur und Europa, die Kulturstiftung des Bundes und das Land Berlin finanziert.

Das Vorhaben will sensibilisieren. Wohin die Sensibilisierung führen kann, streift Spies fast beiläufig: „Wir wollen die Sammlung des Stadtmuseums dekolonisieren, auch wenn auf den ersten Blick nicht alles direkt nach Afrika führt.“ Folgt man den 1000 und mehr geschichtlichen Verästelungen, die bei der Kartografierung zutage treten werden, dürfte deutlich werden, wie viel mehr unserer heutigen Gegenwart am Ende eben doch nach Afrika führt.

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