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Berlin: Wido Krajewski (Geb. 1939)

„Im Verdrängen bin ich groß.“ Nur gut, könnte man sagen

Von David Ensikat

Ein Kaplan aus Kreuzberg hat einen Termin beim Bischof. Der Pfarrer, Wido Krajewski, genannt Don Krawallo, sagt zum Kaplan, er müsse auch mal mit dem Bischof sprechen, der Kaplan solle um einen Termin für ihn bitten.

Der Kaplan also zum Bischof: Pfarrer Krajewski bittet um eine Unterredung.

Darauf der Bischof: Wer? Krajewski? Gehen Sie! Ich hab’ überhaupt keine Zeit!

Die römisch-katholische Kirche ist eine erstaunliche Institution, weil sie erstaunlich strenge Regeln hat, an die sich erstaunlich viele ihrer Mitglieder, auch Priester, überhaupt nicht halten. Die Oberhirten reagieren für gewöhnlich mit zwei Strategien darauf. Erstens: Sie pochen umso strenger auf die Einhaltung und verbitten sich jegliche Debatte. Zweitens: Sie schließen Augen und Ohren und hüllen sich in frommes Schweigen.

Wido Krajewski war folglich eher ungeeignet für ein Oberhirtenamt. Bemerkenswert, dass er bis zu seinem Lebensende Priester war. Wer die katholische Kirche für eine bewahrenswerte Institution hält, die das Wohl der Menschen über das Wohl der Regeln stellen soll, wird sagen: Ein Glück, dass es darin Menschen gibt, wie Krajewski einer war.

Ein Leben in der Diaspora, das Elternhaus streng katholisch, im Flur das Weihwasserbecken, an der Zimmerwand das Kreuz, die Umgebung berlinisch protestantisch. Nicht selten pflegen Menschen, die von Andersgläubigen umgeben sind, ihren Glauben mit einem besonderen Ernst, hier könnte man sagen, mit einer preußischen Strenge. Bei den drei Krajewski-Söhnen regte sich kein Widerspruch dagegen, der Sonntag in der Kirche war so normal wie der Mangel an Geld und die Pflicht zur Mitarbeit beim Hausputz. Die freie Zeit verbrachten sie in der katholischen Jugendgruppe.

Die Kapläne waren Vorbilder, die Jungen stritten sich um die Ministrantenposten. Am beliebtesten war der des Weihrauchschwenkers. Wer die Kirche am dichtesten einnebelte, war der Größte; wenn von den Kirchenbänken her ein Poltern zu vernehmen war, galt das als höchste Auszeichnung. Dann hatte sich ein empfindliches Gemeindemitglied, das den Weihrauch nicht vertrug, in eine kurze Ohnmacht verabschiedet.

Wido war der mittlere der Söhne und, so erzählt es der jüngere, wohl auch der stabilste, beschenkt mit unendlichen Talenten, Optimismus und einer imposanten Statur. Für seinen älteren Bruder schlug er sich mit dessen Mitschülern, dem jungen war er sowieso das große Vorbild.

Als Wido sich fürs Priesterseminar entschied, waren die Eltern stolz. Der Vater warnte dennoch: Junge, überleg dir das. Ebenso warnte Wido seinen jungen Bruder, als der ihm zur theologischen Ausbildung nach Paderborn folgte. Inzwischen wusste er schon etwas besser, worauf sich ein Mann einlässt, der sich ganz in den Dienst der Kirche stellt.

Andererseits waren es die sechziger Jahre, die Zeit der großen Hoffnung. Auf ihrem Zweiten Vatikanischen Konzil würde die Kirche endlich ihre „Fenster zur Welt“ öffnen, so hatte es der Papst gesagt. Es schien so viel möglich, viel mehr als nur der Gottesdienst in der Landessprache anstatt des murmelnden Lateins. Warum sollte etwa die Kirche ihren Priestern nicht zugestehen, Männer zu sein wie alle anderen auch, aus Fleisch und Blut? Wenn sie von einer „Verheutigung“ sprach, wie sollte sie den vorgestrigen Zölibat aufrechterhalten?

Hoffnungen wie diese erfüllten Wido Krajewski, denn selbstverständlich war auch er ein Mann aus Fleisch und Blut. Was wird er sich gedacht haben, als er mit 24 Jahren das Gelübde ablegte, von dem er wissen musste, dass er es kaum würde einhalten können?

Gab es jemanden, mit dem er über derlei Dinge sprechen konnte? Später war da der Kaplan, mit dem er die Kreuzberger Bonifatius-Gemeinde leitete. Die beiden sprachen über Frauendinge, als sie kaum mehr ausweichlich erschienen. Da waren Frauen zum Kaplan gekommen, um ihn um Beistand in ihrem Kampf um des Pfarrers Liebe zu ersuchen. Dass Wido Krajewski über Zweifel an seiner Tauglichkeit fürs Amt gesprochen hätte, daran kann sich der damalige Kaplan nicht erinnern. Nur an den einen Satz: Im Verdrängen bin ich groß.

Nur gut, könnte man sagen. Denn Wido Krajewski war ein ausgesprochen beliebter Pfarrer, nicht nur bei den Frauen. So zugetan und handfest ging er mit den Menschen um, er ließ sie spüren, dass die Kirche für sie da war und nicht umgekehrt. Er machte Gottesdienste zu Spektakeln, eine Trauerandacht etwa, bei der er mit der Faust gegen den Sarg donnerte und rief: Hier ist nicht Frau Hoffmann drin!, weil da drin die körperlichen Überreste von Frau Hoffmann lagen und sonst gar nichts. Don Krawallo haben sie ihn genannt, weil er seine Meinung laut und überall verkündete.

Jemand, der mit ihm hin und wieder unterwegs war, sagte, wenn man mit Wido Krajewski die Yorckstraße herunterlaufe, fühle sich das an, als rolle eine Bugwelle voran. Zu übersehen war er wirklich nicht. 1,90 groß, ein Körperbau, der jeden wissen ließ, dass dies kein Mann der Enthaltsamkeit war. Statt Soutane trug er eine abgetragene blaue Latzhose, obenrum ein schlabberiges T-Shirt. Krajewski im Kollar, dem weißen, Atem hemmenden Priesterkragen? Undenkbar! An den Füßen trug er Birkenstocksandalen, im Winter immerhin mit Socken.

Vor ein paar Jahren sollte er mal die Predigt zu einer silbernen Hochzeit in einem sittenstrengeren Teil Westdeutschlands halten. Wegen seiner Redekunst war er eingeladen worden, nicht wegen seiner Kleiderordnung. In der Einladung stand folglich: Um festes Schuhwerk wird gebeten. Wido Krajewski erschien in Gummistiefeln und leitete seine Predigt mit der Klage über ihre unbequeme Bauart ein.

Warum nun die Reaktion des Bischofs, der ihn nicht sehen wollte, damals in der Kreuzberg-Zeit? Fürchtete er Krajewskis polternde Beschwerde über irgendeinen Missstand, einen Disput über die „religiösen Geisterfahrer“, wie der Pfarrer die vatikanischen Sittenwächter gerne nannte? Oder hatte er Kenntnis von den Frauengeschichten und wollte auf keinen Fall Stellung dazu nehmen? Man weiß es nicht.

Man weiß, dass Wido Krajewski nach nur fünf Jahren von der Pfarrstelle an der Yorckstraße abberufen wurde, obgleich er dort so beliebt war und gerne hätte bleiben wollen. Er wurde Pfarrer bei der Caritas, wohnhaft in Waidmannslust. Weiter weg von Kreuzberg konnte man innerhalb West-Berlins kaum versetzt werden.

1986 bekam er endlich wieder eine Pfarrstelle in einer Gemeinde, wenn auch in einer eher bürgerlichen Gegend, Tempelhof. Er genoss die Arbeit mit den Menschen, er fuhr mit seinem VW-Bus durch die Gegend, genau das richtige Auto für jemanden, der seine Aufgabe nicht allein darin sieht, anderen den Weg zu weisen, sondern der sie mitnehmen will auf seinem Weg. Selbstverständlich genoss er es auch, nach dem Weg gefragt zu werden. Es gibt die Leute, die sagen, dass kaum jemand so gut zuhören konnte wie er, und es gibt solche, die die Betonung eher darauf legen, dass Wido Krajewski gerne zu den Leuten sprach.

Wieder erlangte er die Sympathien der Gemeinde, und wieder war es die Mutter Kirche, die ihn abberief. Er war 65 und wollte gern noch fünf weitere Jahre Pfarrer bleiben. Bis 70 ist das üblich. Aber Gemeinden wurden zusammengelegt, und da setzt die Kirche in aller Regel neue Pfarrer ein. So begab sich dieser nach wie vor baumstarke Mann, der seinen Beruf so liebte, in den vorzeitigen Ruhestand und fiel in ein tiefes schwarzes Loch.

Was half, war, wenn er helfen konnte: Vertretungsdienste in verschiedenen Gemeinden. Er predigte auch weiter im Radio. Und er lebte, schon seit längerem, mit einer Frau zusammen – nicht in einer Ehe, aber in einem Haus. Als sie krank wurde, kümmerte er sich um sie.

Als er selbst mit Krebs ins Krankenhaus musste, kamen lauter Leute, die dort arbeiteten, in seinem Zimmer vorbei. Sie kannten ihn und mochten ihn seit seiner Zeit bei der Caritas. Jetzt lag er hier und war nicht mehr der laute Riesenkerl, der allen anderen Mut machte. In dem Krankenhaus, in dem er 73 Jahre zuvor auf die Welt gekommen war, starb er.

Bei der Trauerfeier saß die Frau, mit der er zusammengelebt hatte, in der dritten Reihe. Sie freute sich, als ihr Name genannt wurde. Man nahm Notiz von ihr. Der Priester, der in Kreuzberg Kaplan gewesen war, hielt die Trauerpredigt; er wusste, wie wichtig die Frau im Leben von Wido Krajewski gewesen war. Wegen eines Kirchenschwures hatte es ehelos bleiben müssen, offiziell allein dem Dienst gewidmet. Die Frau bat darum, dass ihr Name in der Zeitung nicht genannt wird. David Ensikat

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