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Vor dem Kriminalgericht in der Moabiter Turmstraße hat jetzt auch der Freund des Mordopfers Maryam H. ausgesagt.

© Joko/Imago

„Wenn du Ehre hast, dann sag, was du gemacht hast“: Freund der ermordeten Maryam H. wendet sich im Gericht direkt an Angeklagten

Die Brüder von Maryam H. stehen unter dringendem Mordverdacht. Jetzt sagte der Freund des Opfers aus und wandte sich mit eindringlichen Worten an sie.

Ihre Liebe haben sie gegenüber den Brüdern verheimlicht. Maryam H. habe nie in Gegenwart ihrer Brüder mit ihm telefoniert, sagte der Zeuge. Zwei Tage nach ihrem Verschwinden sei ihm klar gewesen, dass etwas Schlimmes passiert sein muss. „Sie hätte ihre Kinder nie allein gelassen“, sagte der 31-Jährige. Dann wandte er sich direkt an den älteren Angeklagten: „Wenn du Ehre hast, Afghane bist, ein Mann bist – dann steh auf und sag, was du gemacht hast.“

Sayed Yousuf H. und Seyed Mahdi H., nach ihren Angaben 26 und 23 Jahre alt, sollen ihre Schwester am 13. Juli 2021 unter einem Vorwand aus dem Haus gelockt haben. Sie sollen sie gedrosselt, gewürgt, ihr mit einem wuchtigen Schnitt die Halsschlagader durchtrennt haben. In einem Rollkoffer hätten sie die Leiche nach Bayern gebracht und dort in der Nähe des Wohnortes des älteren Bruders verscharrt.

Die Staatsanwaltschaft geht von einem Mord aus niedrigen Beweggründen aus. Sie hätten ihre 34-jährige Schwester getötet, weil sie „entgegen der Moralvorstellungen der Angeklagten eine teilweise moderne Lebensführung verfolgte“, in der sie sich Anweisungen der Brüder widersetzt und zudem eine Liebesbeziehung geführt habe, heißt es in der Anklage. Die Brüder haben bislang zu den Vorwürfen geschwiegen.

„Er kam mir komisch vor“

Der Freund war zur Polizei gegangen und hatte Maryam H. als vermisst gemeldet. Zwei Vermutungen habe er geäußert – „die Brüder oder der Ex-Mann, weil er oft gedroht hatte“, sagte der 31-jährige Zeuge nun vor dem Landgericht. Seine Anzeige sei nach seinem Eindruck zunächst „teilnahmslos“ aufgenommen worden. Er habe sich mit dem älteren Bruder getroffen, der aus München angereist sei. „Er kam mir komisch vor“, sagte der Zeuge mit iranischen Wurzeln. Yousuf H. habe ihn verbal angegriffen: „Wer bist du? Du bist nicht mehr ihr Familienhelfer!“

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Sie hätten sich dann gegenseitig verdächtigt. Er habe sich zunächst nicht vorstellen können, dass ein Bruder seine Schwester tötet, so der Zeuge. Zumal Maryam H. ihren Bruder Yousuf „richtig geliebt“ habe. „Sie hat mir gegenüber immer positiv über ihre Brüder gesprochen.“ Was Yousuf H. sagte, „war für sie unanfechtbar“. Yousuf H. sei derjenige gewesen, „der was zu melden hatte in der Familie“. Und der Zeuge zeigte sich überzeugt: „Wenn er nicht gewesen wäre, wäre der Mord nicht passiert.“

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Maryam H. beschrieb der Zeuge, ein Psychologe, als eine „traditionelle Frau“. Sie sei religiös gewesen, habe gebetet, fremde Männer nicht angesehen. Das Kopftuch habe sie mit Überzeugung getragen. Auf ein Video angesprochen, das Maryam H. in einer Shishabar ohne Kopftuch und angetrunken zeigt, sagte der Zeuge, eine Bekannte habe seine Freundin erpresst. „Geld oder ich zeige das Video den Brüdern“, habe die ebenfalls aus Afghanistan stammende Frau gefordert. „Maryam hatte Angst, ihre Brüder könnten das Video sehen, sie war da in extremer Panik. Für mich war das Video keine große Sache“, sagte der Zeuge. Die erpresserische Bekannte sei die einzige Person gewesen, mit der Maryam H. Probleme hatte.

Die Brüder hatten ein mittelalterliches Weltbild

Maryam H. – als 16-Jährige wurde sie in Afghanistan zwangsverheiratet, in Berlin ließ sie sich 2018 scheiden – hatte sich in den früheren Familienhelfer verliebt. „Sie wollte, dass ich zu ihren Brüdern gehe und einen Heiratsantrag mache“, schilderte der 31-Jährige. „Ich fand, es ist noch nicht der richtige Zeitpunkt.“ Einen Tag vor ihrem Verschwinden hätten sie noch darüber gesprochen. „Ich habe den Brüdern auch nicht vertraut“, sagte der Zeuge. Er habe ihnen einige Zeit zuvor „schwören müssen, dass ich keinen Kontakt zu ihr haben werde.“ Bei der Polizei soll der Zeuge erklärt haben, die Brüder hätten ein mittelalterliches Weltbild.

[Mehr zum Thema: Ein sogenannter Ehrenmord? Der Tod einer jungen Afghanin in Berlin – eine Rekonstruktion (T+)]

Als die Ermittlungen anliefen, war zunächst der Freund unter Verdacht geraten und festgenommen worden. Am nächsten Tag war er wieder frei. Viele Indizien führten zur Festnahme der Brüder am 3. August. Videoaufnahmen, die Auswertung von Handydaten, an der Leiche ein Stück von einem Gummihandschuh mit DNA des jüngeren Bruders. Der Tatort allerdings wurde bislang nicht entdeckt. Der Zeuge vermutete nun, der Mord sei in der Berliner Wohnung des jüngeren Angeklagten geschehen.

Der Fall hatte in Berlin und ganz Deutschland eine Debatte um den Begriff Ehrenmord ausgelöst. Und um gescheiterte Integration von Flüchtlingen – es handelt sich bei den Angeklagten um zwei Männer aus Afghanistan, die als Jugendliche nach Deutschland eingereist sind, ohne je anzukommen. Sie seien den Moralvorstellungen ihrer erzkonservativen Familie aus Afghanistan verbunden geblieben. Der Prozess geht am Freitag weiter.

Kerstin Gehrke

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