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Wo der Wein wächst. Auf dem Wachtelberg gedeihen die Reben.

© Kitty Kleist-Heinrich

Wein, Werder, Waschbär: Gute Tropfen aus der Mark

An vielen Orten in Brandenburg wurden dieses Jahr Trauben geerntet. Die Tradition lebt wieder auf – mit neuen Herausforderungen.

Von Sandra Dassler

Gegen die Vögel hat Jürgen Rietze ein Mittel gefunden: Um zu verhindern, dass sie seine Weinstöcke heimsuchen, lässt er Angstschreie von Staren und Jagdschreie von Greifvögeln von einer CD mittels Lautsprecheranlage über die Reben schallen. „Ich hatte gehofft, dass so etwas ähnliches auch gegen die Waschbären hilft“, sagt er. „Kojoten- oder Wolfsgeheul vielleicht – aber das kann man vergessen.“

Jürgen Rietze gehört zu den derzeit rund 50 Winzern, die in Brandenburg die alte Tradition des Weinbaus wieder aufleben lassen. Sie soll bereits im Mittelalter von Zisterziensermönchen begründet worden sein. In vielen Orten weisen Straßennamen wie „Am Weinberg“ noch darauf hin. Erst zu Beginn des 20. Jahrhunderts kam der Weinbau in Brandenburg zum Erliegen – wohl auch, weil immer wieder späte Frühjahrsfröste zu Totalausfällen führten und weil es inzwischen billiger geworden war, den Wein andernorts zu kaufen und nach Berlin und Brandenburg zu transportieren.

Schon der Alte Fritz ließ Wein anbauen

Die „Wiedergeburt des märkischen Weinbaus“ geht letztlich auf eine Anweisung der Partei- und Staatsführung der DDR zurück, wie sich Manfred Lindicke vom gleichnamigen Weinbauunternehmen in Werder (Havel) erinnert: „Mitte der 80er Jahre kam die Biografie Friedrichs II. heraus, der übrigens auch Wein anbauen ließ. Man besann sich plötzlich wieder auf die Geschichte und forderte die Betriebe auf, Traditionspflege zu betreiben.“

Lindicke arbeitete damals in der GPG Obstproduktion Werder und dort beschloss man, gemeinsam mit der Stadt den Weinbau am Wachtelberg wiederzubeleben.

„Das waren zwar nur 4,8 Hektar, die im Gegensatz zur Bewirtschaftung von jeweils 100 Hektar Süß- und Sauerkirschen kaum ins Gewicht fielen“, erzählt Lindicke, „aber wir mussten ja erst mal 13.000 Rebstöcke besorgen.“ Denn in der DDR gab es nur die zwei kleinen Weinanbaugebiete im Saale-Unstrut-Raum und in Sachsen. Von dort, genauer gesagt: aus Radebeul kamen 3000 Rebstöcke, weitere 1000 aus Jugoslawien und 9000 aus den „sozialistischen Partnerbetrieben“ in Ungarn, Bulgarien und der Slowakei.

Manfred Lindicke pachtete den Wachtelberg an 1. Januar1996 und gehörte zu den ersten Neu-Winzern Brandenburgs. Inzwischen gibt es eine Vielzahl von Betrieben und Vereinen, die insgesamt mehr als 35 Hektar Fläche bewirtschaften.

„Das ist zwar gegenüber von mehr als 26.000 Hektar in Rheinhessen und immerhin noch knapp 500 Hektar in Sachsen verschwindend gering“, sagt Peter Schubert, „aber darunter sind sehr viele sehr gute Weine.“

Schubert ist Weinbaureferent im brandenburgischen Ministerium für ländliche Entwicklung, Umwelt und Landwirtschaft und er schätzt den Jahrgang 2019 als sehr guten ein. Das Mostgewicht stimme, die Traubengesundheit sei hervorragend, obwohl die Menge durch kleinere Frostschäden etwas weniger sei als 2018.

Die diesjährige Weinlese war in Ordnung

Auch die meisten Winzer sind mit der diesjährigen Lese sehr zufrieden. Die Quantität sei ausreichend, die Qualität teilweise sogar hervorragend. Einige Weine, etwa aus Werder, Luckau und Großräschen, wurden bereits ausgezeichnet.

Die märkischen Winzer haben inzwischen gelernt, mit Schädlingen wie der Kirsch-Essig-Fliege, mit Vogelfraß und Klimabesonderheiten umzugehen, nur ein Problem macht vielen von ihnen zu schaffen – auch wenn es im wahrsten Sinne des Wortes oft verniedlicht wird: die Waschbären.

Manfred Lindicke war nach der Wiedervereinigung einer der ersten Winzer in der Region. Schon in der DDR bestellte er Weinberge.
Manfred Lindicke war nach der Wiedervereinigung einer der ersten Winzer in der Region. Schon in der DDR bestellte er Weinberge.

© Kitty Kleist-Heinrich

Die lebten zu Zeiten Friedrich II. bekanntlich noch brav in der Neuen Welt, wie wir von ihrem „bekanntesten Vertreter“, dem niedlichen und frechen Meeko aus dem Disney-Film „Pocahontas“ wissen.

Frech sind die etwa seit Mitte des 20. Jahrhunderts als sogenannte Neozoen verstärkt in Europa auftretenden Waschbären immer noch und immer noch finden viele Menschen sie niedlich. Die betroffenen Winzer können das nicht nachvollziehen. „Waschbären sind gnadenlose Räuber“, sagt beispielsweise Hilmar Schwärzel, der in Müncheberg eine „Obstbauversuchsstation“ leitet, eine Anlage, in der alte Obstsorten erhalten werden: „Sie rauben zu Land, zu Wasser und in der Luft. Singvögel, Enten – alles, was im Schilf brütet, töten sie. Zerstören Dächer und Gärten, fressen Weinberge und Obstgärten leer und übertragen zu allem auch noch schwere, ja für den Menschen sogar tödliche Krankheiten.“

Letzteres hört man immer wieder, auch von vielen Winzern aus Sachsen. Der Waschbär übertrage nicht nur Flöhe, sondern auch die Eier eines Band- und eines speziellen Spulwurms, die sich beim Menschen an Organe oder an das zentrale Nervensystem andockten und zur Erblindung oder gar zum Tod führen könnten. Das Tückische sei, so Hilmar Schwärzel, dass man die kleinen Eier, die der Waschbär im Fell trage und überall verteile, nicht einmal anfassen, sondern nur einatmen müsse, um gefährdet zu sein.

"Waschbären sind wie Wanderratten"

Einige Wissenschaftler relativieren die gesundheitlichen Gefahren. So weise der mitteleuropäische Waschbär deutlich weniger Parasiten auf und übertrage demnach auch weniger Krankheiten als sein nordamerikanischer Artgenosse. Und an den Folgen einer Übertragung mit dem Waschbärenspulwurm seien bislang „nur“ drei Menschen gestorben, die engen Kontakt mit handaufgezogenen Waschbären hatten.

Hilmar Schwärzel überzeugt das nicht. Er tötet jedes Jahr etwa 120 bis 130 Waschbären, um sein Obst und seinen Wein halbwegs zu retten. Und er wünscht sich, dass der Staat wenigstens fünf Euro Abschussprämie zahlt, damit die Kosten für die Munition gedeckt sind. „Wer Waschbären niedlich findet, sollte sich mal die grässlich verstümmelten Sumpfschildkröten anschauen, denen die Extremitäten herausgerissen wurden“, sagt er. „Waschbären sind wie Wanderratten. Mit denen kann man sich nicht arrangieren.“

Die gute Nachricht: Das Endprodukt Wein ist sicher. Durch die Gärung kann kein Keim oder Parasit überleben.

Und so können es sich die Gäste in der Straußenwirtschaft von Manfred Lindicke in Werder an diesem Wochenende ein letztes Mal in diesem Jahr richtig gut gehen lassen. „Meine Berliner Kunden lieben und schätzen den Wein“, sagt er. „Leider trifft das für viele Gastronomen in der Hauptstadt nicht zu. Wenn man denen vorschlägt, regionale Weine ins Angebot aufzunehmen, verweisen sie darauf, dass sie schon deutsche Weine im Angebot hätten: aus der Pfalz und dem Rheinland.“

Doch immer mehr Berliner Weinkenner entdecken Brandenburg, sagt Winzerin Cornelia Wobar aus Großräschen. Sie hat mit ihrem Mann Andreas einen Weinberg an einer stehengebliebenen Böschung des ehemaligen Braunkohle-Tagebaus Meuro angelegt. Und viele Kunden in der Hauptstadt gewonnen, als sie am Tag der Deutschen Einheit ihren Wein präsentierte. Aus einer Landschaft, die es vorher gar nicht gab: dem Lausitzer Seenland.

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