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Angeklagt. Seit mehr als fünf Monaten läuft der Prozess gegen Ali K. Er soll die damals 14-jährige Georgine Krüger vergewaltigt und erwürgt haben. Ihre Leiche wurde nie gefunden.

© Paul Zinken/picture alliance

Weil Vorsitzender in Pension ging: Richtertausch im Mordprozess Georgine Krüger

Am Dienstag wird der Mordprozess fortgesetzt – aber ohne den bisherigen Vorsitzenden Richter. Doch das Gericht hat vorgesorgt, um eine Panne zu verhindern.

Dem Mordprozess um die verschwundene Georgine Krüger ist auf den letzten Metern der Vorsitzende Richter abhanden gekommen. Wenn sich an diesem Dienstag im Gerichtssaal 537 die Zuschauer erheben, wird nicht mehr Peter Faust die Sitzung eröffnen, sondern sein ehemaliger Beisitzer Michael Mattern in der Mitte der Richterbank Platz nehmen. Peter Faust musste zum 1. Februar in Pension gehen.

Der Richtertausch ist eine weitere ungewöhnliche Facette in einem der spektakulärsten Kriminalfälle Berlins. Seit mehr als fünf Monaten steht Ali K. vor dem Berliner Landgericht. Die Staatsanwaltschaft wirft dem 44-Jährigen vor, das Mädchen im Jahr 2006 in seinen Keller gelockt, vergewaltigt und getötet zu haben. Bis heute aber gibt es keine Leiche, keine Beweise, nur Indizien.

Das Programm im Mordprozess ist eigentlich seit Ende Dezember abgearbeitet, doch die beiden Verteidiger haben immer neue Beweisanträge gestellt. Nun muss die 22. Strafkammer in neuer Besetzung verhandeln. Weil der Vorsitzende Faust offenbar damit gerechnet hatte, saß seit dem ersten Prozesstag eine Ergänzungsrichterin mit im Saal, die nun in die erste Reihe aufrutschen wird.

Doch nicht immer geht es so störungsfrei aus, wenn Urteile auf sich warten lassen. In Koblenz war 2017 ein Mammutprozess gegen mehrere Neonazis geplatzt, als der Vorsitzende Richter nach mehr als vier Jahren und 330 Verhandlungstagen in Pension musste und dem Gericht die Ergänzungsrichter ausgegangen waren. Zuvor hatten die Verteidiger mehr als 1000 Beweis-, Verfahrens- und Befangenheitsanträge gestellt.

Die Anklage lautete auf Bildung einer kriminellen Vereinigung, versuchte Brandstiftung, Landfriedensbruch, gefährliche Körperverletzung und Sachbeschädigung. Neonazis spotteten im Netz nach dem Aus über die Blamage der deutschen Justiz. Der rheinland-pfälzische Landtag widmete dem Skandal eine eigene Debatte.

Unvergessen. Für die Familie von Georgine Krüger ist es belastend, dass sich der Prozess weiter in die Länge zieht.
Unvergessen. Für die Familie von Georgine Krüger ist es belastend, dass sich der Prozess weiter in die Länge zieht.

© privat

In Sachsen-Anhalt platzte 2018 der sogenannte Dieselpanscher-Prozess, weil der Vorsitzende im längsten Steuerbetrugsverfahren des Landes 65 Jahre alt wurde. Einen Ersatz gab es nicht, dafür aber viele offene Beweisanträge.
Im Jahr 2014 hatte ein Potsdamer Richter gegen seine „Zwangspensionierung“ geklagt. Seine Beschwerde gegen die Regelung im brandenburgischen Richtergesetz blieb vor dem Bundesverfassungsgericht erfolglos. Die Karlsruher Richter haben das Verfahren gar nicht erst zur Entscheidung angenommen.

Ausnahmen gibt es nicht

Der Landesverband des Deutschen Richterbundes hatte den Kollegen unterstützt. Er forderte vom Brandenburger Justizministerium eine flexiblere Regelung. Aus Sicht des Ministeriums ist die Kritik unberechtigt. Zwar gebe es für Beamte die Möglichkeit, drei Jahre zu verlängern, wenn es dafür Bedarf gebe. Diese Regelung sei jedoch wegen der richterlichen Unabhängigkeit nicht übertragbar, heißt es. Bei Richtern sei wegen deren richterlicher Unabhängigkeit keine Bedürfnisprüfung möglich.

Die 22. Strafkammer am Berliner Landgericht, die die Mordanklage im Fall Georgine verhandelt, hatte nie offiziell verkündet, wie lange der Vorsitzende dem Prozess erhalten bleibt. Fragen der Nebenkläger zum weiteren Zeitplan bügelte Faust freundlich, aber entschieden ab. „Es gibt kein Recht darauf, dass das Gericht seine Pläne offenlegt.“

Der Richter sagte: Vielen Dank, das war's

Der Abschied fiel am 30. Januar dann eher unspektakulär aus: „Vielen Dank, das war’s“, sagte Faust und beendete mit der Sitzung auch seine langjährige Karriere. Er hätte den Fall Georgine sicherlich noch gerne entschieden, doch Ausnahmen sind im Richtergesetz nicht vorgesehen. Faust musste aufpassen, der Verteidigung auf der Zielgeraden nicht noch Gründe für eine Revision zu liefern. Die Beweisanträge der Anwälte arbeitete der Richter ruhig, aber zügig ab – und wurde dann doch vom Monatsende eingeholt.

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In Moabit gilt Faust als „Urgestein“, ein erfahrener, fairer Jurist, der in seiner Karriere schon etliche spektakuläre Verfahren entschieden hat. Faust war seit 1985 Richter und seit 1995 als Vorsitzender für schwere Verbrechen an Leib und Leben zuständig. Lebenslänglich verhängte Faust beispielsweise über Krankenschwester Irene B., den „Todesengel“ der Charité, wegen fünffachen Mordes an Patienten.

Als Leiter einer Strafvollstreckungskammer entschied er auch darüber, ob ein Straftäter auf Bewährung freikommt. Mehrere Jahre war er Vorsitzender des Berliner Richterbundes. Eine schwere Zeit erlebte Faust am Landgericht 2015, als ihn die „Bild“-Zeitung als schlampigsten Richter Deutschlands vorführte, weil er Akten liegen ließ, Fristen versäumt haben soll und die Justiz deshalb Beschuldigte wieder laufen lassen musste.

Drei neue Termine sind angesetzt

Dass sich der aktuelle Prozess weiter hinzieht, ist vor allem für Georgines Familie belastend. „Ich finde es schrecklich, dass der Richter jetzt ausgewechselt wird“, sagt die Schwester Michelle Krüger, 19. Zumal die Nachfragen des alten Vorsitzenden nicht den Eindruck erweckt hatten, dass er von der Unschuld des Angeklagten überzeugt war.

Das Berliner Landgericht hat für den Prozess zunächst drei weitere Verhandlungstage anberaumt. Nach der neuen Terminlage könnte das Urteil am 3. März gesprochen werden. Michael Mattern, seit 2013 Richter am Landgericht, übernimmt als dienstältester den Vorsitz – allerdings nur für diesen einen Prozess.

Vorsitzender Richter der 22. Strafkammer wird Thomas Groß. Er wechselt von der 15. Strafkammer, wo er über den sogenannten Rockerprozess entschieden hat. Im Oktober verhängte er nach einem Mammutprozess hohe Haftstrafen gegen mehrere Männer um den Hells-Angels-Boss Kadir P. – für den Mord an einem Mann in einem Wettcafé in der Residenzstraße im Januar 2014.

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