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Opfer rechter Gewalt. Orazio Giamblanco ist seit einem Skinhead-Angriff schwer behindert. Die Tat ist jetzt 25 Jahre her, doch für den Italiener nimmt das Leiden kein Ende.

© Joe Kramer

Wegen rassistischen Angriffs in Brandenburg: Orazio Giamblanco ist seit 25 Jahren schwer behindert

Am 30. September 1996 schlug ein Skinhead im brandenburgischen Trebbin den Italiener Orazio Giamblanco halbtot. Das Opfer leidet noch immer, die Stadt gedenkt.

Von Frank Jansen

Er war erst wenige Tage in Trebbin. Orazio Giamblanco hatte auf einer Großbaustelle in der Kleinstadt südlich von Berlin einen Job als Hilfsarbeiter angetreten. Am Abend des 30. September 1996 ging er mit zwei Kollegen, auch Italiener, zu einer Telefonzelle. Giamblanco sprach mit seiner Lebensgefährtin, die zu Hause in Bielefeld geblieben war. Er erzählte von der Arbeit, alles soweit okay. Die Männer gingen zurück zur Containerunterkunft, plötzlich stoppte neben ihnen mit quietschenden Reifen ein Trabbi. Zwei Skinheads sprangen heraus, einer rief: „Seid ihr Italiener?“ Die Antwort interessierte gar nicht.

Ein Skinhead schwang seine Baseballkeule und schlug sie Giamblanco gegen den Kopf. Der zweite Rechte trat einem der Begleiter karatemäßig gegen den Hals. Dann sprangen die Schläger in den Trabant und rasten weg. Giamblanco lag am Boden. Blutend, bewusstlos, halbtot.

Das ist an diesem Donnerstag 25 Jahre her. Noch heute erscheint es wie ein Wunder, dass Orazio Giamblanco den Angriff überstanden hat. In zwei Notoperationen retteten ihn die Ärzte im Klinikum Luckenwalde, doch sein Leben war, ist und bleibt ruiniert.

Giamblanco, inzwischen 80 Jahre alt, leidet unter spastischer Lähmung, ständigen Kopfschmerzen, Magenproblemen, Depressionen. Er kann nur einige Schritte am Rollator gehen, meist sitzt er im Rollstuhl. Das Sprechen ist mühsam, zu verstehen sind die verschwommenen Worte kaum.

Der Angriff hat sich auf drei Leben ausgewirkt

Und der Ärger mit Ämtern und Krankenkassen zermürbt. Die Sachbearbeiterin einer AOK verweigerte ihm einen Elektrorollstuhl und stellte erst auf Anfrage des Tagesspiegel fest, dass sie gar nicht zuständig war. Drei Wochen später bekam Giamblanco den Rollstuhl.
Zahlreiche Physiotherapien haben über die Jahre bestenfalls bewirkt, den physischen und psychischen Zustand zeitweise zu stabilisieren. Dass Giamblanco überhaupt 80 wurde, ist vor allem zwei Frauen und ihrem unermüdlichen Einsatz zu verdanken. Für die 69-jährige griechische Lebensgefährtin Angelica Stavropolou und ihre Tochter Efthimia Berdes, 46 Jahre alt, dominiert die Pflege von Orazio den Alltag. Der so anstrengend ist, dass er die Frauen an den Rand ihrer Kräfte treibt. Seit nun einem Vierteljahrhundert. Der Schlag mit der Baseballkeule hat drei Leben getroffen.

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Seit 1996 berichtet der Tagesspiegel über den Fall Giamblanco, Jahr für Jahr mit einer Reportage aus Bielefeld über die endlose Qual des Opfers rassistischer Gewalt. Regelmäßig spenden Leserinnen und Leser für Giamblanco. Sein Schicksal berührt. Auch weil es exemplarisch für ein dunkles Kapitel in der jüngeren Geschichte Brandenburgs steht.

Brandenburg war ein Epizentrum der „Baseballschlägerjahre“

Nach der Wiedervereinigung Deutschlands tobten sich, im Osten weit mehr als im Westen, junge, gewalttätige Rechtsextremisten aus. Brandenburg war eines der Epizentren der so genannten Baseballschlägerjahre. Genährt wurde die Aggressivität schon damals von dem in der Bevölkerung weit verbreiteten Alltagsrassismus.

Daran hat sich nichts geändert. Rechte Gewalt belastet Brandenburg und die weiteren neuen Bundesländer immer noch stärker als den Westen. Und der Alltagsrassismus hat im Osten längst auch parlamentarisch in Gestalt der AfD eine enorme Wucht. Das zeigte sich nun wieder bei der Bundestagswahl. Die Rechtsaußenpartei wurde in Brandenburg bei den Zweitstimmen zweitstärkste Kraft, in Sachsen und Thüringen die stärkste.

Brandenburg zählt allerdings zu den Ländern, die dem Rassismus viel Engagement entgegensetzen. Dazu gehört auch eine zumindest punktuelle Erinnerungskultur. Im Juni benannte die Gemeindevertretung von Blankenfelde-Mahlow, nicht weit von Trebbin entfernt, eine Brücke nach Noël Martin. Der dunkelhäutige Brite war ebenfalls ein Opfer rassistischer Gewalt, auch im Jahr 1996.

Bei einem Angriff von zwei jungen Rechtsextremisten prallte Martin mit seinem Wagen gegen einen Baum. Danach war der Brite vom Hals abwärts gelähmt und noch schwerer behindert als Orazio Giamblanco. Im Juli 2020 starb Martin im englischen Birmingham, gerade mal 60 Jahre alt. Sein Tod könnte mit dazu beigetragen haben, dass in Trebbin überlegt wurde, welches Zeichen im September 2021, beim 25. Jahrestag des Angriffs auf Orazio Giamblanco, gesetzt werden sollte.

Erst 2009 fuhren drei Trebbiner Kommunalpolitiker zu Giamblanco

Trebbin hatte die Geschichte lange verdrängt. Erst 2009 fuhren drei Kommunalpolitiker mit dem Tagesspiegel nach Bielefeld – und wurden herzlich begrüßt. Dennoch war der Besuch bei Orazio Giamblanco und den beiden Frauen für die Trebbiner ein Schock. Sie hatten Tränen in den Augen. Konfrontiert mit dem körperlichen und seelischen Leiden sagte Peter Blohm, damals Vorsitzender der Stadtverordnetenversammlung, „ich konnte mir das nicht vorstellen“.

Immerhin hatte das Rathaus ein Spendenkonto für Giamblanco eingerichtet. Treibende Kraft war der junge, parteilose Verordnete Hendrik Bartl. Er hatte 2008 dem Stadtparlament die jährliche Reportage des Tagesspiegels vorgelesen. Bartl war auch 2009 bei dem Besuch in Bielefeld dabei. Doch bis 2020 tat sich dann nicht mehr viel. Bis ausgerechnet die Satirepartei „Die Partei“, eigentlich notorisch unernst, aber mit einem Mitglied im Stadtparlament, eine Idee äußerte, die Trebbin nicht ignorieren konnte.

Im Februar 2020 stellte der Stadtverordnete Sascha Riedel mit einem weiteren Kommunalpolitiker den Antrag, das in Bau befindliche, große Gerätehaus der Trebbiner Feuerwehr nach Orazio Giamblanco zu benennen. Ein Vorschlag mit Hintergedanken. Der Chef der Feuerwehr, Silvio Kahle, auch er ist Stadtverordneter, gehörte 1996 zur Skinheadszene der Kleinstadt. Der Vorschlag von „Die Partei“ war allerdings nicht nur für Kahle ein Problem.

Im Stadtparlament brach ein Gerangel aus, das Monate dauerte. An die Tat von 1996 und an das Schicksal von Giamblanco zu erinnern, war zwar Konsens, auch Kahle war dafür - aber musste es so prominent am Neubau der Feuerwehr sein? Im Dezember 2020 gab es dann einen Kompromiss.

Die Stadtverordneten beschlossen nach langer Debatte, den Tatort von 1996 umzubenennen. Aus dem Haltinger Platz, einer Stellfläche für Autos bei der alten Feuerwache, wird der „Orazio-Giamblanco-Platz“. Außerdem wird eine Stele mit einer Inschrift aufgestellt, die an den Angriff erinnert und zur Bekämpfung von Rassismus und Antisemitismus aufruft. Auch Feuerwehrchef Kahle und die zwei Verordneten der AfD stimmten dafür. Am Donnerstag gibt es nun um 17 Uhr an dem Parkplatz eine kleine Zeremonie.

Der Täter sympathisiert mit der AfD

Die Einigung war für „Die Partei“ kein Grund, Ruhe zu geben. Im März brachten Sascha Riedel und ein weiteres Mitglied am Zaun vor dem Rohbau des Gerätehauses ein großes Plakat an mit der Aufschrift „Orazio-Giamblanco-Feuerwache“. Darunter stand: „Ein würdiges Gedenken darf nicht versteckt erfolgen“. Das Plakat hing nicht lange. Nach einer Stunde hätten es „Ordnungskräfte“, wie Riedel später mitteilte, vom Bauzaun entfernt.

Orazio Giamblanco und die beiden Frauen freuen sich trotz der Querelen in Trebbin, dass überhaupt daran gedacht wurde, an den rassistischen Angriff zu erinnern. In Bielefeld wurde sogar überlegt, am 25. Jahrestag nach Trebbin zu kommen. Das Rathaus hatte eine Einladung geschickt. Doch die Reise fällt aus.

Angelica Berdes und ihre Tochter berichteten vor zwei Wochen, Orazio habe sich im August bei einer Fahrt nach Düsseldorf mehrmals übergeben. Am Dienstag sagte Efthimia Berdes, Orazio habe mehrere Tage im Krankenhaus gelegen, weil Magenprobleme und Kopfschmerzen wieder schlimmer wurden. Orazio selbst konnte am Telefon kaum sprechen. „Bin kaputt“, die Stimme klang schwach, „so wenig geschlafen ... Kopfschmerzen...“ Er hustete stark. Ihn auf den 25. Jahrestag des Angriffs in Trebbin anzusprechen, wäre Quälerei gewesen.

Der Täter, Jan W., so alt wie Efthimia Berdes, wurde 1997 vom Landgericht Potsdam zu 15 Jahren Haft verurteilt. Nach acht Jahren kam W. vorzeitig frei, er hatte mit der rechten Szene gebrochen und belastete Mittäter von 1996. Zehn Jahre nach der Tat entschuldigte sich W. in zwei Briefen bei Giamblanco und den beiden Frauen. Alle drei nahmen die Entschuldigung an.

Doch W. ist offenbar immer noch diffus rechts. Auf seiner Facebook-Seite nennt er seit einigen Jahren bei „Gefällt mir“ die AfD. Mit dem Tagesspiegel spricht W. nicht mehr, seitdem in einer Reportage die Sympathie für die Rechtspopulisten erwähnt wurde. Es wäre eine Überraschung, würde der einstige Skinhead am 25. Jahrestag in Trebbin bei der kleinen Zeremonie am Tatort auftauchen.

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