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Alt und noch älter: Häuser an der Frankfurter Allee in Friedrichshain.

© Wolfgang Kumm/dpa

Was tun gegen „Mietenwahnsinn“?: Enteignen behebt den Wohnungsmangel nicht

Die Angst vor dem Verlust der Wohnung verleitet zu einfachen Antworten. Beim Volksbegehren gegen die Immobilienkonzerne gibt es viele Zweifel. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Lorenz Maroldt

Die Wohnung zu verlieren, sei es durch Kündigung, Vertreibung mit unlauteren Mitteln oder wegen einer nicht mehr leistbaren Miete, ist für viele Menschen in Berlin zur ernsten Bedrohung geworden. Die Preissprünge sind exorbitant, nach einer Modernisierung oft astronomisch. Es kommt vor, dass die Preise um das Vierfache steigen. Das Durchschnittseinkommen wächst dagegen nur langsam, auf einem vergleichsweise niedrigen Niveau.

Die Koalition versucht gegenzusteuern, reaktiviert alte Regulierungsmaßnahmen, erfindet neue und macht Stimmung mit Feindbildern wie dem „Mietenmonster“. Doch wer als Eigentümer nichts anderes im Sinn hat als die maximale Verwertung, findet immer einen Umweg; gerade im Trend: das Vermieten möblierter Apartments auf Zeit. Da bleibt kein Deckel auf der Miete, und der Verkehrswert der Wohnung ist so hoch wie im unvermieteten Zustand.

Die Lage auf dem Wohnungsmarkt verändert den Charakter und die Stimmung der Stadt. Hedonistische Zuversicht weicht vielfach diffuser und zunehmend konkreter Angst; Weltoffenheit wandelt sich in Sehnsucht nach Abschottung und Ruhe; die Lust auf Fortschritt erlahmt und macht einem strukturellen Konservatismus Platz.

Das ist seit jeher und überall der Grund und Boden für simple Antworten auf komplexe Probleme und für schnelle Urteile bei der Suche nach den Schuldigen für unangenehme Veränderung. Deshalb will Trump an der Grenze zu Mexiko eine gigantische Mauer bauen. Und deshalb wollen Aktivisten und Teile der Berliner Koalition große Wohnungsgesellschaften enteignen. Hier wie dort glauben immer mehr Menschen daran, dass damit eine Lösung für ihre Probleme naht. Sie werden enttäuscht sein.

„Enteignung“ klingt für manche nach Sozialismus, nach DDR, nach Unrecht und staatlicher Willkür. Aber Enteignung oder Vergesellschaftung ist auch ein Mittel des demokratischen Rechtsstaats, geregelt im Grundgesetz. Sogar die britischen Liberalen haben schon gefordert, Investoren zu enteignen, wenn diese ihre Wohnpaläste in Chelsea nicht nutzen.

Rechtfertigt die Situation eine so drastische Zwangsmaßnahme?

Gegen ein Vergesellschaftungsgesetz, für das die Initiative von diesem Samstag an Stimmen sammelt, sprechen die Zweifel. Rechtfertigt die Situation wirklich eine so drastische Zwangsmaßnahme? Selbst alle großen Bestände enteigneter Gesellschaften wären zusammen zu klein, um damit entscheidend auf den Mietmarkt einzuwirken. Der Nutzen für die Allgemeinheit ist damit in Frage gestellt.

Von einer Vergesellschaftung profitieren einzelne Mieter unabhängig von ihrem Einkommen. Die Kosten sind kaum kalkulierbar, aber belasten Berlin auch wegen der Folgekosten in einer gefährlichen Dimension. Die Grenze von 3000 Wohnungen ist willkürlich. Städtische Gesellschaften sind nicht zwangsläufig die besseren Vermieter, wie sich in Ost und West zeigte. Die großen Preistreiber sind eher kleinere Spekulanten.

Und es gibt andere Wege zum Ziel, Berlin als sozial diverse, lebenswerte Stadt für möglichst viele Menschen zu erhalten. Der direkteste steht im „Stadtentwicklungsplan Wohnen 2030“ aus der Verwaltung von Senatorin Lompscher, deren Partei die Enteignen-Initiative unterstützt: „Der Wohnungsmangel ist eine der Hauptursachen für die dramatisch steigenden Preise (...) und die sozialen Folgen“, heißt es da. Mit Enteignungen wird dieser Mangel nicht behoben.

Wem gehört Berlin? Mit dem Recherchekollektiv Correctiv führt der Tagesspiegel ein großes Projekt zum Berliner Wohnungsmarkt durch. Hier gelangen Sie zur interaktiven Seite.

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