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Raed Saleh ist seit 2011 Vorsitzender der SPD-Fraktion im Berliner Abgeordnetenhaus.

© Kai-Uwe Heinrich

Was Raed Saleh in Berlin vorhat: „Die Wirtschaftspolitik muss zur zentralen Frage werden“

Der Berliner SPD-Fraktionschef glaubt, dass das Bußgeld für Maskenmuffel kommt, rügt die Wirtschaftspolitik der Grünen und findet Franziska Giffey wunderbar.

Von Ulrich Zawatka-Gerlach

Raed Saleh ist seit 2011 Vorsitzender der SPD-Fraktion im Berliner Abgeordnetenhaus. Der 43-Jährige will gemeinsam mit Bundesfamilienministerien Franziska Giffey die Führung der Landespartei übernehmen - und Michael Müller als Parteichef ablösen.

Herr Saleh, die Zahl der Coronafälle nimmt in Berlin wieder zu, wenn auch auf niedrigem Niveau. Haben Sie Angst vor einer zweiten Welle?
Die Gefahr ist da, das sagen auch die Fachleute. Um so wichtiger ist es, dass die Stadtgesellschaft dazu beiträgt, dass die Infektionszahlen niedrig bleiben. 

Wir haben in den letzten Wochen wieder viel zugelassen, wir wollen Normalität wiederherstellen, aber das geht nur mit den bewährten Hygieneregeln: Hände waschen, Abstand halten, Mund-Nasenschutz. Die wenigen Corona-Regeln, die es noch gibt, müssen eingehalten werden.

Die SPD will Bußgelder verhängen, wenn in Bus und Bahn jemand keine Masken trägt. Grüne und Linke sehen Sanktionen kritisch, wird sich die Koalition einigen?
Die überwältigende Mehrheit der Berliner hält sich an die Maskenpflicht, einige wenige sind ignorant. Grüne und Linke sagen, man muss die Leute überzeugen, mit ihnen reden. Keine Frage, das ist wichtig. 

Aber wer in einen Bus oder eine U-Bahn steigt und keine Maske aufsetzt, handelt verantwortungslos für sich und andere. Hartnäckige Verweigerer müssen mit Sanktionen rechnen. Das ist kein Thema für ideologische Debatten. Ich gehe davon aus, dass die Koalitionspartner dies letztlich unterstützen, vernünftige Entscheidungen zu Covid-19 haben Linke und Grüne bisher immer mitgetragen.

Wer soll die Maskenpflicht kontrollieren und Bußgelder verhängen? Die BVG-Kontrolleure sicher nicht, oder?
Es gibt Schwerpunktkontrollen der Polizei, um Raser auf den Straßen zu erwischen. Innensenator Andreas Geisel hat koalitionsintern angekündigt, dass er mit der Polizei über solche Schwerpunktkontrollen zur Einhaltung der Maskenpflicht im öffentlichen Nahverkehr, aber auch in der Gastronomie reden wird. 

Außerdem glaube ich: Wer einen Fahrschein kontrollieren kann, kann auch ein Bußgeld verhängen, wenn jemand ohne Mund-Nasenschutz unterwegs ist. Was rechtlich und praktisch machbar ist, wird jetzt geprüft.

Haben Sie die neue Corona-App schon installiert?
Selbstverständlich! Und ich bin sehr stolz auf die Millionen von Menschen im Land, die diese App bereits nutzen.

Wir haben alte Freiheiten neu gewonnen, aber die Berliner Wirtschaft kommt nur sehr, sehr langsam auf die Beine. Wann rechnen Sie mit einer halbwegs normalen Konjunktur?
Meine Hoffnung ist: sehr bald. Aber ich befürchte, dass die Normalisierung der wirtschaftlichen Lage lange dauern wird. Nur fünf Prozent der Berliner Unternehmer sagen, sie seien ohne Schaden durch die Coronakrise gekommen. 

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50 Prozent der Gastronomen wissen nicht, ob sie finanziell überleben. Das bereitet mir Magenschmerzen. Am Anfang der Pandemie galt alles dem Gesundheitsschutz, der Bewahrung von Leben. Jetzt müssen wir die Wirtschaftskrise bekämpfen, und zwar so, dass sie nicht zu einer sozialen Krise wird.

Schön gesagt, aber was tun?
So wie seit Wochen in der Gesundheitsverwaltung Tag und Nacht gearbeitet wird, müssen jetzt auch die Lichter in der Wirtschaftsverwaltung die ganze Nacht brennen. Die Unterstützung der Berliner Wirtschaft muss zu einem gesamtstädtischen Projekt ausgerufen werden. 

Einiges ging schon verloren, auch ohne Corona. Der Abzug der Fashion Week nach Frankfurt/Main wird uns weh tun, damit gehen uns 300.000 Übernachtungen verloren, die Gastronomie und das Taxigewerbe leiden darunter. Es ist auch sehr wichtig, gerade jetzt, die großen Anker-Player in der Stadt zu halten, die viele kleinere Unternehmen nach sich ziehen. Und wir müssen um neue große Player werben.

Was meinen Sie mit „große Player“?
Die Internationale Automobil-Ausstellung (IAA) beispielsweise, die leider nicht nach Berlin, sondern nach München geht. Da gehen mindestens 800.000 Übernachtungen verloren. Folgefirmen hätten sich angesiedelt. 

Brandenburg hat um Tesla gebuhlt – und Tesla bekommen. In Berlin auf dem EUREF-Campus, im alten Gasometer in Schöneberg, entstehen gerade 2.000 hochinnovative Arbeitsplätze, weil der Unternehmer Reinhard Müller Firmen für moderne Mobilität auf seinem Gelände ansiedelt. So muss es laufen.

Im Januar haben sie auf der SPD-Fraktionsklausur in Nürnberg die grüne Wirtschaftssenatorin attackiert: „Liebe Ramona, mach Deinen Job!“ Ist Senatorin Pop die Zielscheibe der Sozialdemokraten, wenn es in Berlin mit der Wirtschaft nicht gut läuft?
Rot-Rot-Grün muss sich gemeinsam dazu bekennen, dass die Wirtschaftspolitik zur zentralen Frage wird. Arbeitsplätze hangen daran, Steuereinnahmen, Zulieferbetriebe.

Das ist kein Selbstläufer, da müssen wir klotzen und können es uns beispielsweise nicht leisten, dass die Karstadt-Häuser in Berlin zumachen. Dazu gehören klare Bekenntnisse: Karstadt am Hermannplatz ist uns willkommen!  

Der Google Campus in Kreuzberg hätte uns auch willkommen sein sollen. Es kann doch nicht sein, dass auf Grünen-Parteitagen über das Schicksal Berlins entschieden wird.

Noch einmal gefragt: Macht aus Ihrer Sicht Wirtschaftssenatorin Pop ihren Job nicht gut?
Ramona Pop meint es, anders als viele ihrer grünen Parteifreunde, mit der Standortpolitik ernst. Sie will die Wirtschaft voranbringen, aber ihr werden von der eigenen Fraktion und Partei permanent Fesseln angelegt. Es darf sich aber bei deutschen und internationalen Unternehmen nicht der Eindruck festsetzen: Berlin will uns nicht.

Wollen Sie die Dienstleistungsmetropole Berlin wieder zu einem Industriezentrum machen?
Berlin war immer gut beraten, denn richtigen Mix zu finden. Von Siemens über Start-ups und Soloselbstständige bis zum Handel und Tourismus. Berlin ist inzwischen ein exzellenter Wissenschaftsstandort, darauf können wir stolz sein. 

Apropos Tourismus: Gestern saß ich mit einem Gesprächspartner am Gendarmenmarkt, der Platz war gähnend leer, die Cafés auch. 

Senatorin Pop, die für den Tourismus in Berlin zuständig ist, hat gesagt: Das gute an Corona sei, dass die Einheimischen jetzt auch in Ruhe die Pandas sehen könnten. Naja… Ich erwarte von ihr etwas anderes – dass so schnell wie möglich herangeholt wird, was uns Corona genommen hat.

Reichen die Soforthilfen für die geschädigte Berliner Wirtschaft aus, muss nachgebessert oder aufgestockt werden.? Wird es bis zum Herbst ein Konjunkturpaket des Landes geben?
Der Senat wird am Dienstag voraussichtlich ein weiteres Hilfsprogramm, für Unternehmen zwischen 10 und 250 Mitarbeitern, beschließen. Für solche Hilfen, für Wirtschaft, Familien und Vereine, haben die Regierungsfraktionen 500 Millionen Euro im Nachtragshaushalt mobilisiert. Das muss über Kredite finanziert werden, aber es ist gut angelegtes Geld.

Genauso wie die Milliarden, die uns im landeseigenen Siwa-Fonds weiter für öffentliche Investitionen zur Verfügung stehen werden, plus einer Konjunkturrücklage aus Haushaltsmitteln, die wegen Corona nicht ausgegeben werden können.

Der Senat darf für 2020/21 bis zu sechs Milliarden Euro neue Kredite aufnehmen. Gesetzt den Fall, die wirtschaftliche und finanzielle Lage Berlins verbessert sich schneller als gedacht, wäre Rot-Rot-Grün dann bereit, weniger Schulden zu machen?
Das ist reine Spekulation. Was jetzt wichtig ist, ist der notwendige Weitblick, und den haben wir mit den Haushaltsbeschlüssen vor der Sommerpause bewiesen. So bleiben wir handlungsfähig, dafür werden uns andere Bundesländer noch beneiden.

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Sie interessieren sich auffällig für Wirtschaftsthemen. Wollen Sie nach der Abgeordnetenhauswahl im Herbst 2021 Wirtschaftssenator werden?
Mein Vater wurde einige Jahre vor der Rente arbeitslos, als die Firma Schlüterbrot pleiteging. Einen Anschlussjob fand er nicht mehr. So etwas prägt. Wer als Sozialdemokrat jene Menschen unterstützen will, die auf gute Arbeit angewiesen sind, der interessiert sich fast automatisch für Wirtschaftspolitik. Ansonsten bin ich leidenschaftlich gern Fraktionsvorsitzender.

Schon seit 2011 sind die Fraktionschef, und am 31. Oktober wollen Sie im Duo mit Bundesfamilienministerin Franziska Giffey zusätzlich Berliner SPD-Landesvorsitzender werden. Was folgt danach?
Schön an der Politik ist, wenn man die Gesellschaft zum Besseren verändern kann. Das macht Spaß. Deshalb werde ich auch, wenn mich mein Kreisverband Spandau unterstützt, 2021 wieder für ein Mandat im Landesparlament kandidieren. Ich bin auch optimistisch, dass Franziska Giffey und ich es hinbekommen, dass die Berliner SPD bei der Abgeordnetenhauswahl wieder stärkste Kraft wird.

30 Prozent, wie sie im Januar angekündigt haben?
…die mit Abstand stärkste politische Kraft. Es ist wunderbar, mit Franziska zu arbeiten, sie bringt die nötige Empathie, viel Herzblut und Tatkraft mit.

Michael Müller, der Regierende Bürgermeister und noch-Landeschef der SPD, schlägt sich in der Coronakrise gut. Er hat wieder Freude am Regieren. Hört er wirklich auf? Die in kleiner Runde getroffene Absprache, dass Müller in den Bundestag geht und Frau Giffey Spitzenkandidatin der Berliner SPD wird, will bisher niemand offiziell bestätigen. Warum so geheimnisvoll?
Franziska Giffey und ich kandidieren im Oktober für den Landesvorsitz. Das wird von Michael Müller unterstützt. Über die vielen Nominierungen der letzten Wochen und Monate, aus der ganzen Breite der Partei, freuen wir uns.

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