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Leuchtet die Zukunft für Berlin und Brandenburg hell?

© dpa

Was die Flughafen-Eröffnung bedeutet: Endet mit der BER-Baustelle das Berliner Scheitern?

Ein Jahrzehnt unterhielt der BER das steuerzahlende Publikum mit Pannen und Peinlichkeiten. Nun ist der Airport fertig - was macht das mit Berlin? Ein Essay

Mit Berlin hatte Johann Wolfgang von Goethe nicht viel am Hut; aber in seinem „Faust“, Teil 2, setzte er der Stadt und seinem berühmtesten Flughafen ahnungsvoll ein Denkmal: „Alles Vergängliche ist nur ein Gleichnis; das Unzulängliche, hier wird’s zum Ereignis.“

Und so kam es dann auch. Ein ganzes Jahrzehnt lang unterhielt der unvollendete BER das steuerzahlende Publikum mit einer so dermaßen abgehobenen Serie von Unzulänglichkeiten, Pannen und Peinlichkeiten, dass selbst Ungläubige irgendwann meinten, da habe wohl der Teufel seine Hand im Spiel. Der Flughafen wurde zum Fluchhafen und Mephisto sein Orakel, als Geist, der stets verneint – jedenfalls die Eröffnung.

Nur der Flughafenpfarrer hielt tapfer dagegen, Monat für Monat im BER-Magazin spendete er Trost in düsterer Zeit mit unvergänglichen, anspielungsreichen Gleichnissen wie diesem: „Die Sekunden verrinnen und dann die Minuten, schließlich die Stunden. Ein Tag vergeht und ein neuer Tag bricht an.

Seit 2000 Jahren warten wir als Christinnen und Christen auf die Wiederkehr von Jesus Christus. Inzwischen hat sich bei uns mehr Geduld eingestellt.“ Und bei manchen auch Gleichgültigkeit. Sich dreißig Jahre über eine Sache zu ärgern, ist schließlich genauso anstrengend, wie dreißig Jahre darüber zu lachen.

Die Geschichte des BER beginnt im Jahr 1990: „Neuer Airport entsteht im Süden von Berlin“, meldeten die Agenturen. Und so lässt sich die Geschichte des Flughafens auch als Parabel auf die Geschichte des wiedervereinten Berlin betrachten – auch in der Stadt wurden die Unzulänglichkeiten zum Ereignis, zum Stadtgespräch in Büros und Kneipen.

[Endlich fertig! Aus der Dauerbaustelle BER wird ein internationaler Flughafen. Doch viele Probleme bleiben. Lesen Sie alle Beiträge zum neuen Hauptstadtflughafen auf unserer Themenseite.]

Tatsächlich fand sich am BER fast alles wieder, was auch Berlin lange prägte: Überheblichkeit bis zum Größenwahn, Bruchlandungen, fröhliche Ignoranz, organisierte Unzuständigkeit, Verschiebung, Verschwendung, Planlosigkeit, Kleingeistigkeit, Hochstapelei; aber auch Fantasie, Improvisation, Glücksrittertum, lustvoller Fatalismus und eine Überdosis Selbstironie.

"Berlin kriegt keinen hoch", titelte die taz nach der Absage 2012

Natürlich sollte der BER nicht nur irgendein Flughafen sein, nein: Es musste „der modernste Flughafen Europas“ werden, so stand es in den Einladungskarten zur Eröffnungsparty 2012, so stand es auf Tassen, Teddys und Plakaten. Das war Berlin sich schuldig, so viel Hybris darf hier schon mal sein. Geplant war nicht weniger als „eine Kathedrale des Luftverkehrs“, mitten in der atheistischen Mark. Und alle glaubten daran.

Als dann im Mai 2012 die geplante Eröffnung platzte, war in der armen, aber aufstrebenden Stadt der Wowereit-Jahre im ersten Schock von einem Imageschaden die Rede. Der BER sollte für Berlin doch ein Zeichen des Aufbruchs sein in eine neue Zeit der wirtschaftlichen Ernsthaftigkeit, ein Symbol für den Wandel: heraus aus der Wirrnis der Nachwendejahre, hin zu einer wirklichen Metropole. Und nun das. Die ganze Welt lachte über Berlin, und in Frankfurt und München, den großen deutschen Flughafenkonkurrenten, lachten sie ganz besonders laut. „Berlin kriegt keinen hoch“, titelte die „taz“.

Lange Gesichter: 2012 mussten die Landeschefs Klaus Wowereit und Matthias Platzeck die verschobene Eröffnung erklären.
Lange Gesichter: 2012 mussten die Landeschefs Klaus Wowereit und Matthias Platzeck die verschobene Eröffnung erklären.

© David Gannon/AFP

Da lachte Berlin lieber mit. Von wegen Imageschaden! Die Nichteröffnung wurde als Teil der einzigartigen Berliner Folklore willkommen geheißen: ein bisschen cool, ein bisschen schlampig. Mal kommt der Handwerker später, mal kommt er gar nicht. Mal dauert die Party länger, mal fällt sie aus. Berlin ist anders – und wird die Stadt nicht genau dafür von vielen geschätzt, für die Unberechenbarkeit, für die Überraschung, für die Hemdsärmeligkeit? Na bitte. Nur in Berlin ruft der Elektriker, der die Klingel reparieren soll, Stunden nach dem Termin an und sagt: „Ich habe zweimal geklingelt, aber Sie haben nicht aufgemacht.“ Wie soll man da rechtzeitig einen Flughafen fertig bekommen?

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Und während Experten aus aller Welt nach Jahren des vergeblichen Bemühens, ein Rezept für den Kabelsalat unter den Deckenplatten zu finden, eine Sprengung mit Dynamit empfahlen, entwickelte sich der BER nicht trotz, sondern wegen seines Zustands zum internationalen Markenzeichen. Es gibt heute BER-Brettspiele, BER-Ratespiele, BER-Witzebücher. Im Berliner „Legoland“ bauten sie den BER originalgetreu nach, 100000 Steine, sechs Monate Bauzeit, Maßstab 1:65. Besonders schnell war das allerdings nicht – in Originalgröße wäre der Lego-BER bei dem Tempo auch erst nach dreißig Jahren fertig gewesen.

Kabelsalat Berliner Art. Das Ausmaß des Chaos am BER wurde erst nach und nach bekannt.
Kabelsalat Berliner Art. Das Ausmaß des Chaos am BER wurde erst nach und nach bekannt.

© Patrick Pleul/dpa

Der Flughafen, der kein Flughafen war, wurde zur Kulisse für Krimis und Modeshootings, die Berliner Fotografin Judith Berger ließ ein Model nackt mit Rollkoffer vor dem Terminal posieren. Bei Google kam der BER in der Kundenbewertung jahrelang auf durchschnittlich 3,9 von 5 Sternen, anerkennend kommentierten die User: „Sehr geringer Fluglärm“, „Keine langen Schlangen“, „Klimaneutral“. Der Tag der offenen Tür erfreute sich großer Beliebtheit, die Führung „Erlebnis BER“ zog Hunderttausende Besucher an, der „Airport Run“ über die verwaiste Startbahn wurde zu einem Klassiker des Laufsports. Berlin versteht es eben, mit großem Willen zur Improvisation aus allem ein Event zu machen.

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Die BER-Eröffnung habe ich mir deshalb immer so vorgestellt: Der Flughafenchef stolpert über ein liegen gebliebenes Kabel und schießt im Fallen mit dem Korken einer Flasche Dom Perignon eine schlampig festgeschraubte Säule im Terminal um. Unterm schwankenden Dach reißt eine Deckenplatte aus ihren brüchigen Dübeln und platscht in die kofferberghohe Festtagstorte. Während sich der Prüfingenieur aus dem Landkreis Dahme-Spreewald die Sahne aus den Augen reibt, rennt ein Biber panisch durch den Security-Check und löst einen Großalarm aus.

Der Schönefelder Schützenverein marschiert auf. Die Sprinkleranlage versprüht Kölnisch Wasser, aus den Lautsprechern erklingt „Help!“ von den Beatles, auf den Bildschirmen erscheint ein Video der Eröffnungsabsage-PK von 2012, Klaus Wowereit spricht: „Der BER ist und bleibt eine Erfolgsgeschichte.“ Ein Wildpferd aus dem Stall der Flughafengesellschaft galoppiert über die Startbahn und versucht abzuheben, der Flughafenpfarrer rezitiert die BER-Genesis, Buch Hartmut Mehdorn: „Wir werden fertiger und fertiger.“ Aus der Brandschutzanlage erklingt ein rasselnder Husten, rosaroter Qualm steigt auf und vernebelt die Einflugschneise...

Läuft die BER-Eröffnung so, wie sie sich Chefredakteuer Lorenz Maroldt immer vorgestellt hat?
Läuft die BER-Eröffnung so, wie sie sich Chefredakteuer Lorenz Maroldt immer vorgestellt hat?

© Naomi Fearns

Nichts davon wird passieren. Zur Eröffnung gibt es keine Feier, das war schon vor Corona klar. Nur endlich aufmachen. Ganz nüchtern. Ganz so, wie Flughafenchef Engelbert Lütke Daldrup, vor drei Jahren als letzte Hoffnung vom Regierenden Bürgermeister abkommandiert, die Dinge hier erledigt hat.

Heute ist der BER nicht mehr der modernste Flughafen Europas, sondern der erste Vintage-Flughafen der Welt; beim ersten Spatenstich hatte Apple ja noch nicht mal das iPhone erfunden, die Welt war eine andere. Der neue, alte Flughafen ist schön, aber mit seinen Walnusspanelen und Wildledersitzen wirkt er, als wäre hier die Zeit stehen geblieben. Und er ist fertig, der BER, ganz anders als Berlin, das einer noch immer gültigen Erkenntnis von Kerl Scheffler zufolge ja dazu verdammt ist, immerfort zu werden, niemals zu sein.

Heilsbringer. Engelbert Lütke Daldrup schaffte, was in Berlin kaum mehr für möglich hielt.
Heilsbringer. Engelbert Lütke Daldrup schaffte, was in Berlin kaum mehr für möglich hielt.

© Michael Kappeler/AFP

Was also bedeutet die Eröffnung des BER heute für Berlin? Bleibt es bei der „Allegorie“, die Ex-US-Botschafter John Kornblum gerade in der „New York Times“ zog, der zufolge beide, der BER und Berlin, „charmant, respektlos, exzentrisch und völlig dysfunktional“ sind? Oder perpetuiert sich hier nur ein Klischee, das zwar irgendwie passt, aber nie stimmt?

Der Flughafenchef selbst hält jede Art dieser Symbolik für übertrieben, und wahrscheinlich hat er recht: Ein Flughafen ist ein Flughafen, oder, in der kontemporären Form, eine Shoppingmall mit Startbahn. Außerdem ist der BER sowieso nur zu 33 Prozent ein Berliner. Der Rest geht auf Brandenburg und den Bund, aber wer mag über die schon lachen? Berlin bleibt eben doch Berlin.

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