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Ein Betreuer bewegt sich in vielen Grauzonen, in denen ihm eine klare Orientierung fehlt, in denen er also den Rat eines Betreuungsvereins benötigt.

© Jens Kalaene/dpa

Was darf ich als betreuende Person?: Wie Betreuungsvereine in Berlin den Pflegenden von Bedürftigen helfen

Familienangehörige, Bekannte oder auch Nachbarn werden zu Betreuern von Bedürftigen ernannt. Doch die Aufgabe ist anspruchsvoll.

Uwe Wagner (Name geändert) blickt mit zitternden Fingern auf seine Vergangenheit. Auf dem Foto, das er umklammert, lacht er in die Kamera, umgeben von seiner Cousine und deren Kindern, Jahrzehnte her. Und je länger Wagners Blick sich auf sich selber heftet, umso glücklicher ist Werner Schubert (Name geändert).

Der 66-Jährige ist Wagners bester Freund, er hat ihm das Foto in die Hand gedrückt, er sitzt jetzt vor dem Rollstuhl, in dem sein Freund kauert, nach einem Schlaganfall halbseitig gelähmt, unfähig zu sprechen, geistig extrem eingeschränkt.

Schubert hat das Foto mit in dieses Pflegeheim in Kreuzberg gebracht, er wollte Wagner eine Freude bereiten, er wollte aber auch sehen, ob der Freund noch seine eigene Vergangenheit erkennt. Schubert sieht die Ansätze von Leuchten in Wagners Augen, er weiß jetzt: Zumindest in dieser Szene ist sein Freund geistig einigermaßen präsent.

Fünf Tage später sitzt Schubert in seiner Wohnung in Tempelhof. Während er die Szene im Heim schildert, zieht er ein grünes, gefaltetes Dokument aus der Brieftasche. Seine offizielle Verbindung zum Freund. Der Ausweis, der belegt, dass Schubert der vom Amtsgericht bestellte Betreuer von Uwe Wagner ist.

Darf ein Betreuer ein Auto verkaufen?

Doch Schubert hat ein Problem, Wagners Auto, 11.000 Euro wert. Der Ingenieur will es verkaufen, aber er ist doch nur Betreuer. Darf es das einfach so? Andererseits: Wagner ist gar nicht in der Lage, selber zu entscheiden. Also, was soll er tun?

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Genau für solche Fragen gibt es Betreuungsvereine, in jedem Berliner Bezirk einen. Anlaufstellen für Menschen, die einen Angehörigen, einen Nachbarn oder einen Freund offiziell versorgen.

In einem Büro in Pankow sitzen Expertinnen für solche Probleme. Marlen Klocke leitet den Betreuungsverein der Caritas, Brigitte Nentwig ist ihre Stellvertreterin. Das Auto also. „Hat ein Fahrzeug nur noch besseren Schrottwert, kann es ein Betreuer eigenständig verkaufen“, sagt Brigitte Nentwig. „Aber einen neuen Maserati nicht.“

Im Zweifelsfall entscheidet das Amtsgericht

Im Zweifelsfall entscheidet das Amtsgericht, wer was zu tun hat. Amtsgerichte sind ohnehin der Kern einer Betreuung. Ihre Juristen legen fest, wer einen Betreuer braucht und wer, nach einer Anhörung, die Aufgabe erledigen soll. Sie urteilen immer dann, wenn ein Betroffener nicht rechtzeitig eine Vollmacht ausgestellt hat. In der Regel werden Familienangehörige gewählt, es können aber auch Nachbarn oder Freunde sein. Wagner hat keine Familienangehörigen, Schubert hatte schon in der Charité seine Nummer hinterlassen, als Wagner dort noch lag. Deshalb kam das Amtsgericht auf ihn zu.

Betreuer werden nur bestellt, wenn eine Hilfsbedürftigkeit vorliegt. Psychische Krankheiten, geistige, seelische oder körperliche Behinderungen, das sind die Kriterien. Aber der oder die Betroffene muss nicht zwangsläufig ein Fall fürs Heim sein.

Marlen Klocke.
Marlen Klocke.

© Frank Bachner

Je nach Bedarf kümmern sich Betreuer etwa um Vermögensverwaltung, Gesundheitsfürsorge, Wohnungsangelegenheiten, Post, Gespräche mit Banken oder Versicherungen. Verboten ist die eigenständige Kündigung einer Wohnung oder der Verkauf einer Immobilie. Nur: Was darf man genau, was nicht? Viele Fragen, viel Ratlosigkeit. Auch Schubert wandte sich an einen Betreuungsverein.

Manche Betreuer haben keine Ahnung, was auf sie zukommt

Im Caritas-Büro, sagt Brigitte Nentwig, „landen unterschiedlichste Anrufe“. Menschen, die eine sehr klare Vorstellung vor ihrer Arbeit haben und dafür nur eine Bestätigung suchen, aber auch völlig überforderte Betreuer. „Die Aufgabe ist anspruchsvoll“, sagt Marlen Klocke. „Viele gehen mit einer völlig falschen Einstellung an die Aufgabe.“ Aber eine angemessene Vorbereitung auf die neue Herausforderung ist durchaus ein Problem. „Es ist schwierig, weil das Leben unberechenbar ist. Es kommen Probleme, die man teilweise gar nicht vorhersehen kann.“ Wer die Aufgabe ablehnt, darf aber nicht zum Betreuer ernannt werden.

Wer dagegen zustimmt, der prallt oft aber an unerwartete Grenzen. Vor allem, sagt Brigitte Nentwig, spüren viele sehr schnell „Skrupel“. Betreuer tauchen ja plötzlich umfassend in das Leben eines anderen Menschen ein, selbst wenn es der eigene Vater oder die eigene Mutter ist. Vielleicht stoßen sie auf unerwartete Schulden, vielleicht auf persönlichste, unbekannte Details. „Gerade bei Schulden haben viele Probleme, sich abzugrenzen“, sagt Marlen Klocke. Vor allem, wenn es engste Angehörige betrifft. „Aber die Schulden des Klienten sind nicht die Schulden des Betreuers.“

Ein Betreuer bewegt sich in vielen Grauzonen

Ein Betreuer bewegt sich in vielen Grauzonen, in denen ihm eine klare Orientierung fehlt, in denen er also den Rat eines Betreuungsvereins benötigt. Wann ist denn jemand nach Ansicht eines Betreuers ein Fall fürs Heim? Wenn jemand dauernd die Kartoffeln anbrennen lässt? Wenn Tag und Nacht der Fernseher läuft? Das mag für den Laien ein Grund sein, fürs Amtsgericht und einen Gutachter sicher nicht. Gegen seinen Willen kann man nur bei schweren psychischen und physischen Einschränkungen eingewiesen werden. „Der Wunsch und der Wille des Klienten steht im Vordergrund. Das ist für einige Betreuer schwer auszuhalten“, sagt Brigitte Nentwig.

Vor allem, wenn man kein völlig entspanntes Verhältnis zu dem Menschen hat, den man versorgen muss. Kinder, die sich dem hilfsbedürftigen Vater oder der halbdementen Mutter emotional nicht sonderlich nahe fühlen, bekommen psychische Probleme. „Sie spüren dann ja auch noch den gesellschaftlichen Druck. Die hören dann: Das ist dein Vater oder deine Mutter, Du musst Dich um sie kümmern“, sagt Marlen Klocke.

Eine demente Frau trank auf dem gleichen Becher wie ihre Katze

Klocke und Brigitte Nentwig beraten aber nicht nur, sie betreuen auch hauptamtlich Menschen. Brigitte Nentwig hatte mal eine demente Klientin, die aus der gleichen Kaffeetasse trank wie ihre Katze, keine Badewanne, keine Dusche und keine Waschmaschine besaß und sich weigerte, ins Heim zu gehen. Also kaufte die Betreuerin Katzenfutter und andere Dinge und versorgte die Frau umfassend. „Sie lebte noch drei Jahre in der Wohnung“, sagt Brigitte Nentwig.

Permanentes Thema: Was ist einem Betreuer bei seiner Arbeit noch zuzumuten? Brigitte Nentwig kümmerte sich auch um eine demente Frau, die ihren halben Hausrat aus dem Fenster warf und mitten in der Nacht Nachbarn nach der Uhrzeit fragte.

Wie soll ein Betreuer die skurrilen Aktionen seines Klienten stoppen?

Diese Nachbarn verlangten von Brigitte Nentwig, sie möge dieses Theater stoppen. „Ja, wie soll ich das denn stoppen?“, erwidert sie im Caritas-Büro. Oder: Wie soll ein Laien-Betreuer so etwas stoppen? Können sie natürlich nicht. Ehrenamtlern, die sich mit solchen Fragen melden, gibt sie den Rat: Proteste an die Hausverwaltung oder den Vermieter. Die nachtaktive demente Frau erhielt letztlich eine „mietrechtliche Abmahnung“.

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Oder wie sollen Betreuer reagieren, wenn sie das Gefühl haben, der eigene Klient benötige eine ärztliche Untersuchung, weil irgendetwas nicht stimmt, aber kein erkennbarer Notfall vorliegt? Der Klient oder die Klientin lehnen einen Arztbesuch aber vehement ab. Was dann? Da droht ja notfalls eine Anzeige wegen unterlassener Hilfestellung. Der Rat der Expertinnen für so einen Fall: „Man kann niemanden zwingen. Also alles dokumentieren, damit man es notfalls vorlegen kann.“

Der Verein gibt Betreuern oft emotionale Hilfe

Zu den Standardsätzen von Brigitte Nentwig und Marlen Klocke bei ihren Gesprächen mit frustrierten Ehrenamtlern gehört: „Sie haben nichts falsch gemacht.“ Seelenmassage ist Teil ihres Jobs. „Wir bieten auch emotionale Unterstützung“, sagt Marlen Klocke, „aber im Zweifelsfall muss jemand seine Betreuungsaufgabe abgeben, wenn er sich überfordert fühlt.“

Werner Schubert ist davon weit entfernt. Bei einem Problem benötigte er nicht mal den Rat eines Vereins. Er hatte Uwe Wagners Mitgliedschaft in einem Tennisverein rechtzeitig gekündigt, trotzdem buchte der Klub anschließend den Jahresbeitrag ab. Aber nicht mit ihm, nicht mit Werner Schubert. „Das habe ich umgehend rückgängig gemacht.“

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