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Wie ein offenes Buch. Künstlerische Illustration des Gefäßinneren mit roten Blutkörperchen.

© imago/Science Photo Library

Was Ärzte aus Blut herauslesen können: Ein ganz besond'rer Saft

Unser Blut ist wie ein offenes Buch, es enthält sehr viele Informationen über den Gesundheitszustand eines Menschen. Was Mediziner aus Laborwerten alles herauslesen können.

Blut – was ist das eigentlich?

Blut besteht hauptsächlich aus Blutzellen und Plasma (einer wässrigen Lösung) sowie Hormonen, Nährstoffen, Stoffwechsel- und Abfallprodukten. Zu den Blutzellen gehören die roten Blutkörperchen (Erythrozyten), die weißen Blutkörperchen (Leukozyten) und die Blutplättchen (Thrombozyten). Die roten Blutkörperchen sind die mengenmäßig größte Gruppe der Blutzellen. Der hohe Anteil von eisenhaltigem Hämoglobin sorgt für ihre rote Farbe. Sie gelangen bis in die kleinsten Gefäße. Ihre Aufgabe ist es, Sauerstoff überall in den Körper hin zu transportieren und das Abfallprodukt Kohlendioxid zur Lunge zurückzubringen. Die weißen Blutkörperchen finden sich im Blut und im Gewebe. Sie gehören zum Abwehrsystem unseres Körpers. Erkennen sie fremde Substanzen wie Krankheitserreger, machen sie diese unschädlich. Und die Blutplättchen schließlich sind für die Blutgerinnung wichtig. Bei Verletzungen lagern sie sich direkt an das betroffene Gewebe an und verschließen die Wunde wie ein Pflaster.

Was wird an den Blutwerten sichtbar?

„Zu hohe Blutfette, ein geringer Eisenwert und Schilddrüsenhormone, deren Konzentration sich unverdächtig im Normalbereich bewegt. Dazu Hämoglobin, Leukozyten und die Blutgerinnung. Bei Bedarf auch Gamma-GT, Aldosteron oder Troponin.“ Was für den Laien wie ein Buch mit sieben Siegeln klingt, ist für die Mitarbeiter eines klinischen Labors Alltag: Sie untersuchen Blut und erfassen, was in welcher Menge darin enthalten ist. „300 bis 400 verschiedene Parameter können bei uns gemessen werden“, sagt Karl Winkler, Ärztlicher Direktor des Instituts für Klinische Chemie und Laboratoriumsmedizin am Uniklinikum Freiburg.

Weit über 70 Prozent der Diagnosen in der Medizin, schätzt der Lipidologe, also Experte für den Fettstoffwechsel, werden mit Hilfe des Labors gestellt. Dabei geht es in den meisten Fällen um die Bestätigung oder Ergänzung einer Diagnose, die zum Beispiel schon per Röntgen oder Ultraschall gestellt worden ist, mitunter wird die Erkrankung aber erst durch das Laborergebnis diagnostiziert. Die Technik wird stetig verfeinert, so dass immer neue Parameter hinzukommen. „So können wir zum Beispiel seit Kurzem im Blut sehen, wie schwer eine Hirnverletzung ist“, sagt Winkler. Auch bei den Tumormarkern, anhand derer der Verlauf einer Krebserkrankung verfolgt werden kann, verbessern sich die Diagnosemöglichkeiten ständig.

Die Laboranalyse von Blut kann also nicht nur bei der Diagnose helfen, sondern auch Auskunft darüber geben, ob eine Therapie anschlägt oder nicht. Dafür werden die gleichen Parameter zu verschiedenen Zeitpunkten im jeweils frisch entnommenen Blut getestet.

Warum nimmt der Arzt mehrere Röhrchen Blut ab?

Bei einer Standardblutabnahme fließt das Blut des Patienten in drei verschiedene Röhrchen. Zunächst gelangen 8,5 Milliliter Blut in das sogenannte Serumröhrchen. Hier soll das Blut gerinnen, so dass sich die festen Bestandteile von den flüssigen des Blutes trennen. Das ist für die späteren Untersuchungen wichtig. Dann werden 4,5 Milliliter Blut in das Blutbildröhrchen gefüllt, das auch als EDTA-Röhrchen bezeichnet wird. EDTA steht für Ethylendiamintetraessigsäure. Diese verhindert, dass das Blut im Röhrchen gerinnt. Ein drittes Röhrchen enthält ebenfalls 4,5 Milliliter Blut und wird Gerinnungsröhrchen genannt. Auch hier wird mit einem Konservierungsmittel – diesmal Citrat – verhindert, dass das Blut gerinnt. Es wirkt jedoch anders als EDTA, sodass die Gerinnungsfaktoren noch gemessen werden können. Sind zusätzlich zum Standardblutbild Messungen nötig, werden eventuell weitere Röhrchen gebraucht.

Wie schnell müssen Blutproben getestet werden?

„Unser Geschäft ist sehr zeitkritisch“, sagt Mediziner Winkler, das heißt: Je schneller eine Blutprobe verarbeitet werden kann, desto besser. Am unempfindlichsten ist das Serum. Da hier die Gerinnung zügig einsetzt, bildet sich ein sogenannter Blutkuchen, die festen Bestandteile des Blutes verklumpen. Sie werden mithilfe einer Zentrifuge vom Serum getrennt. Das Serum entspricht damit dem, was die Zellen in die freie Blutbahn abgeben. „Das ist in der Regel recht stabil, sodass wir bis etwa eine Woche nach der Entnahme nachmessen können“, sagt Winkler. Das einzige Risiko: Beim Zentrifugieren können die roten Blutkörperchen platzen, den roten Blutfarbstoff Hämoglobin freigeben und so das Serum verunreinigen. Das wäre damit unbrauchbar.

Kritischer sieht das Zeitfenster für das Blutbildröhrchen aus. Um ein kleines Blutbild zu erstellen, hat das Labor einen Tag Zeit. Soll es ein großes Blutbild werden, das mehr und detailliertere Parameter enthält, muss das Blut innerhalb von höchstens acht Stunden nach der Entnahme untersucht worden sein. In einem großen Blutbild werden die drei Formen der weißen Blutkörperchen genau angeschaut und gezählt: Lymphozyten, Monozyten und Granulozyten können anhand ihrer Form unterschieden werden. Wird die Blutprobe zu alt, verlieren die weißen Blutkörperchen ihre strukturellen Eigenschaften und können von den Wissenschaftlern nicht mehr differenziert werden.

Wie zuverlässig sind die Ergebnisse einer Blutanalyse?

„Blutwerte sind eine extrem dynamische Angelegenheit“, sagt Karl Winkler. „Deshalb sollten Werte, die für eine Diagnose herangezogen werden, unbedingt in mehreren Blutproben erhoben werden. Viele unterschätzen, wie schnell sich schon einfache Dinge aufs Blut auswirken können, zum Beispiel, was wir essen.“ Auch Parameter, die Hinweise auf eine Erkrankung geben können, schwanken stark. Wird ein Patient beispielsweise auf das Aids auslösende HI-Virus untersucht, sind das immer zwei Tests. Einer auf Sensitivität, ein zweiter – mit einer neuen Probe – auf Spezifität. „Nehmen wir die fiktive Skala von 1 bis 100“, sagt Karl Winkler, „darauf lege ich meine Grenze fest: Ab welchem Wert sage ich, da ist was?“ Bei einem Sensitivitätstest liegt dieser Wert sehr tief, hier im Beispiel bei 20. „Damit habe ich eine hohe Sensitivität hergestellt und ich erwische mit diesem Test viele Menschen, weil sie über dem Wert liegen, aber nicht automatisch krank sind. Das ist wie ein Filter, mit denen ich alle rausziehe, die potenziell krank sind.“

Menschen, die in diesem Test ein positives Ergebnis haben, werden darüber nicht informiert, denn er sagt ja noch nichts über die Erkrankung aus. Für sie alle folgt ein zweiter Test, den sogenannten Spezifitätstest. Für diese Blutprobe wird der Wert jetzt sehr hoch eingestellt, etwa auf 80. Damit werden dann aus der Masse der potenziell Betroffenen die tatsächlichen Patienten herausgefiltert. Weil der Wert bei zwei Tests hoch war, kann der Arzt davon ausgehen, dass das Ergebnis sicher ist, der erste Verdacht wurde mit dem zweiten Test bestätigt.

Während die einzelnen Werte im Blut starken Schwankungen unterliegen können, sind Labormessungen sehr präzise. „Wenn sich die Blutwerte eines Patienten von einer zur nächsten Untersuchung unterscheiden, können die Mediziner sicher sein, dass die Schwankungen nicht von den Geräten kommen“, sagt Winkler. Dafür sorgen regelmäßige Kontrollen. Wer sich an ein zertifiziertes klinisches Labor wendet, kann also davon ausgehen, dass die ermittelten Blutwerte korrekt sind.

Wie viel sagt der Referenzbereich aus?

Wer eine Analyse seiner Blutwerte hat, findet hinter jedem Wert eine Spanne von Zahlen, in der der Wert sich bestenfalls befinden soll. Das ist der Referenzbereich. Liegt der Wert eines Parameters darüber oder darunter, sind viele Patienten alarmiert: Irgendwas, denken sie, ist nicht in Ordnung – eine Fehleinschätzung. „Der Referenzbereich sollte nicht als Normalbereich missverstanden werden“, sagt Karl Winkler. Diese Annahme suggeriere, dass jemand, dessen Wert innerhalb des Bereiches liegt, gesund ist, und jemand, dessen Wert außerhalb liegt, krank. „Damit hat das aber nichts zu tun“, sagt Winkler und erklärt, wie Referenzbereiche entstehen: Von einer großen Gruppe gesunder Personen wird der Wert eines Parameters berechnet. Der so entstandene Mittelwert – mit einer Spanne nach oben und unten – dient als Referenzbereich. Etwa 95 Prozent der gesunden Bevölkerung fallen in diesen Bereich, die restlichen fünf Prozent liegen außerhalb - und sind trotzdem meist gesund. „Der Referenzbereich ist immer nur eine Teilinformation“, sagt Winkler, „die fehlenden Informationen für das Gesamtbild hat der behandelnde Arzt.“ Der kann Faktoren wie Alter, Geschlecht, Lebensumstände, bestehende Erkrankungen oder Medikamenteneinnahme im Zusammenhang mit dem ermittelten Wert außerhalb des Referenzbereiches betrachten und feststellen, ob Handlungsbedarf besteht oder nicht.

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Claudia Füssler

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