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Wer mit Eseln wandert, muss ziemlich genau wissen, wohin er will. Die Tiere von Christine Möller fangen dann sogar an zu hopsen.

© Kitty Kleist-Heinrich

Wanderungen in Brandenburg: Esel, trekk Dich!

Esel sind gar nicht störrisch. Im Wald mit den zutraulichen Tieren zu wandern, macht Spaß – und lässt den Stadtstress vergessen.

Zum Beispiel Sir Henry. Der stand allein bei Leuten im Garten irgendwo auf dem Land und schrie herum, bis es allen reichte. Er sollte weg. Als Christine Möller davon hörte, dachte sie zuerst, wieso sollte mich das was angehen, aber dann hörte sie auch den Satz: „Wenn du ihn nicht willst ...“ Es waren drei Punkte, die Schlachthof bedeuteten.

Also griff Christine Möller zu. Das war 1995. Seitdem ist Sir Henrys Leben ein anderes geworden. Und ihres auch. Er wurde zum Dauer-Gast auf der „Grünen Woche“, zum versierten Kleindarsteller im Fernsehen – und vor allem zu einem Top-Wanderesel. Und sie zur Retterin von inzwischen 27 Eseln, großen wie kleinen, zur Expertin in Esel- und Muli- Haltungsfragen und zur Chefin der „Havelländischen Esel-Freunde“, die Eselwanderungen anbieten.

Eine Gruppe von sechs Mittdreißigern ist aus Berlin angereist. Hat mehr oder weniger problemlos den Weg gefunden zum spartanischen Hof am Rande von Paaren-Glien und tätschelt die ersten Esel, die gemächlich aus allen Ecken ihrer großen Koppel herangekommen sind. Und schon hat jemand „Wie süß!“ gerufen.

Die Koppel sieht nach dem heißen Sommer aus wie eine Steppe – was den Eseln gerade recht ist. Sie brauchen keine grünen Weiden. Je karger, desto besser. Gegen die Sonne schützen die großen offenen Zelte auf dem Gelände. Und für die Menschen gibt es eine überdachte Holzsitzgruppe und Sonnenschirme.

Sechs Berliner, drei Esel, eine Expertin

„Habt ihr Equidenerfahrung?“, fragt Christine Möller die Gruppe. Hä? Der Begriff bedeutet „pferdeartige Tiere“, zu denen Esel gehören. Aber egal, muss nicht sein.

Möller verteilt Halfter und Stricke und wacht, dass alles richtig sitzt. Mit kesser Lippe erklärt die 57-Jährige kurz, dies hier sei eine Eselrettung, alle Tiere kämen aus schlechten Haltungen. Dennoch würden sie Menschen mögen, wollten aber, dass der Mensch, der den Strick hält, weiß, was er tut. „Ihr braucht einen Plan“, sagt Christine Möller.

Und nun ran ans Tier: „Sir Henry geht mit!“, ruft sie, „und Donkey und Sandor.“ Zwei erfahrene Esel und ein jüngerer, Donkey, der noch nicht so lange bei ihr ist. Die Halfter sind flugs verschnallt – runter geht es vom Gelände und rein in den Wald. Und so laufen sie unter Bäumen: sechs Berliner, drei Esel und vorneweg Christine Möller, die ab und an laut „kommt, ja kommt!“ ruft. Und vielleicht liegt es daran, dass Mensch und Esel schon mehrere tausend Jahre gemeinsame Geschichte haben, dass die bunte Truppe kein bisschen seltsam wirkt. Menschen, die mit Eseln wandern? Ja, womit denn sonst?

Vorurteile meist unbegründet

„Hey, wir wollen überholen“, rufen die von hinten. Und schon hopst ihr Esel, es ist der junge Donkey, über einen Baum, der im Weg liegt. Die älteren Tiere, beide schon jenseits der 20, halten von solcherlei sportlichen Aktivitäten weniger. Wird sich jetzt gleich der erste „Störrischer Esel geht keinen Schritt weiter“-Moment abspielen? Nö. Die beiden älteren Eselherren lassen sich brav am Hindernis vorbeiführen. Überhaupt seien fast alle Vorurteile über Esel falsch, sagt Christine Möller. Esel seien nicht doof. Sie lernten viel schneller als Pferde. Wenn sie – anders als Pferde – in verstörenden Situationen nicht fliehen, könnte das daran liegen, dass sie ursprünglich aus bergigen Gegenden stammen, wo kopfloses Davonrennen ziemlich sicher mit Absturz enden würde. Also bleiben sie stehen und lassen sich beispielsweise schlagen. Wer so etwas hört, während ihm ein Eselchen getreulich folgt, muss unwillkürlich selbst stehen bleiben und das Tier erstmal kräftig herzen.

Der Beitrag stammt aus der neuen Ausgabe des Tagesspiegel-Magazins „Brandenburg“. Jetzt neu am Kiosk und im Tagesspiegel-Shop.
Der Beitrag stammt aus der neuen Ausgabe des Tagesspiegel-Magazins „Brandenburg“. Jetzt neu am Kiosk und im Tagesspiegel-Shop.

© Kitty Kleist-Heinrich

Die Wanderung ist eine von den kurzen. Das ganz große Esel-Mantra, die meditative Entspannung, die auf den langen Strecken entsteht, wenn alles Geplapper verstummt ist und alle Teilnehmer sich auf sich selbst und ihr Tier besinnen, entsteht hier nicht – aber dafür ist jetzt der Pausenplatz erreicht: eine Weide mit Wasserpumpe. Hurra!

Der Pumphebel quietscht, und kurz darauf plätschert Wasser aus zwölf Metern Tiefe in den großen Trog. Für die Esel ist es zum Trinken, danach kühlen die Menschen ihre wanderheißen Waden darin – und die Esel verziehen sich in den Schatten.

Bald hat die Gruppe die Beine gekühlt, den Durst gestillt, und die Pause ist zu Ende. Schon viel selbstverständlicher als zu Beginn der Wanderung finden Mensch und Tier zueinander. Es geht an breiten Entwässerungsgräben entlang – Vorsicht, dass die Esel da nicht reinrutschen! Hin zu dichten Beifußhecken – „Beifuß-Party für Esel!“ Durch den tiefen Sand an Feldrändern und wieder rein in den Schatten des Waldes.

Esel ziehen Menschen an

Ganz leise ist zwischen Vogelzwitschern und dem gelegentlichen Knacken von trockenem Holz das Rauschen von Autos zu hören – „wie unpassend“, möchte man seufzen. Oder ist es nicht doch gerade passend? Schließlich ist man in Brandenburg, das dieses Jahr den 200. Geburtstag des großen Wanderdichters und kritischen Fortschrittbeobachters Theodor Fontane würdigt. Und schon hat Fontane den Esel und den modernen Straßenverkehr zusammengedichtet: „Für uns bescheidne Esel, ist keine Gefahr zu besorgen“, ließ er in „In den Koppeln“ einen Esel sagen, der die Angst einer Pferdetruppe vor der Elektrifizierung der Trambahnen („Uns Pferde tödtet die Concurrenz“) nicht teilte. „Uns Esel ersetzt der Dampf mit seinem Schornstein schwerlich.“

Nun hat das Tier zwar nicht ganz recht gehabt, schließlich gelten einige Eselarten heute als bedrohte Nutztierrassen, aber dennoch: Die Menschen kommen angereist, ironischerweise mit dem Auto, um mit Eseln Zeit zu verbringen. Warum? Vielleicht weil Sir Henry, Sandor und Donkey so zutraulich sind, dass der Gedanke nicht fern liegt, einem Esel als Transportmittel den Vorzug zu geben. Welches moderne Verkehrsmittel könnte einem dieses angenehme Gefühl schon vermitteln?

Esel-Freunde Havelland. Kreis Havelland, Schönwalde, Ortsteil Paaren/Glien, esel-freunde.de. Weitere Anbieter: Packeseltouren Brandenburg, Barnim, Lunow-Stolzenhagen/ Ortsteil Stolzenhagen, packeseltouren-brandenburg.de; Eselnomaden Jan Prowaznik, Potsdam-Mittelmark, Brück/Neuendorf, eselnomaden.de; ia-Eseltrekking, Andrea Mantik, Kreis Ostprignitz-Ruppin, Stüdenitz-Schönermark, ia-eseltrekking.de

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