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Bezahlbarer Wohnraum ist in Berlin Mangelware.

© Christophe Gateau/dpa

„Wahltaktisches Manöver“: Wie Politik und Wohnungswirtschaft auf Giffeys Mietendeckel-Skepsis reagieren

Stoff für fünf Jahre Streit: Berlins SPD-Chefin will keinen „Automatismus“ bei der Verlängerung des Mietendeckels – und erhält Widerspruch.

Kaum ist die neue SPD-Vorsitzende in Berlin gewählt, da scheren die Sozialdemokraten aus dem Wettkampf um radikale Positionen in der Wohnungsbaupolitik mit Linken und Grünen aus. Franziska Giffey erteilte einem „Automatismus“ zur Verlängerung des Mietendeckels eine klare Absage. Im Interview mit dem RBB forderte sie stattdessen das Einschlagen „anderer Wege, damit eben Investoren nicht sagen, ich gehe woanders hin“.

In der rot-rot-grünen Koalition unter Giffeys Vorgänger Michael Müller gelten die Sozialdemokraten als Initiatoren des Mietendeckels und hatten diesen in enger Abstimmung mit Grünen und Linken erarbeitet.

Auch dies war allerdings innerhalb der Partei umstritten: Wirtschaftsexperten hatten das Mietenwohngesetz teils scharf kritisiert, weil dieses auch Genossenschaften und landeseigenen Firmen mit ohnehin moderaten Mieten Millionen kostet. Dieses Geld fehle beispielsweise für den altersgerechten Umbau des Wohnungsbestandes.

Widerspruch ist deshalb auch aus SPD-Parteikreisen zu hören: Giffey habe selbst den Leitantrag beim Landesparteitag eingebracht und dieser sehe in fünf Jahren die Prüfung „aller Instrumente“ vor, falls sich der Markt bis dahin nicht entspannt hat.

Die Berliner Juso-Vorsitzende Sinem Tasan-Funke sagte dem Tagesspiegel: „Wir Jusos sind überzeugt, dass wir an dem Mietendeckel festhalten müssen, um die Mieterinnen und Mieter wirksam vor dem Ausverkauf der Stadt zu schützen.“ Giffey soll am Mittwoch intern erklärt haben, ihre Aussagen seien nicht als Absage an eine Verlängerung gemeint gewesen.

Die Rückkehr zu einer Politik, die den Neubau und nicht die Regulierung des Bestandes in den Vordergrund stellt, dürfte in einer neuen Koalition nach der Berlin-Wahl im kommenden Jahr nur durch die Übernahme des Ressorts für Stadtentwicklung und Wohnen durchzusetzen sein. Eben dies strebt Giffey dem Vernehmen nach an. Kampflos will die Linke das nicht zulassen: „Ich kann verstehen, dass das spannendste Ressort im Senat so begehrt ist. Aber: Wir sind gekommen, um zu bleiben“, sagte Stadtentwicklungssenator Sebastian Scheel dem Tagesspiegel.

Schmidberger: „Frau Giffey biedert sich der CDU und den neoliberalen Kräften Berlins an“

Ob Scheel den Mietendeckel um weitere fünf Jahre verlängern will, ließ er im Ungefähren: „Der Mietendeckel ist ein auf fünf Jahr angelegtes Gesetz. Diese Zeit werden wir nutzen, um den Markt wieder ins Gleichgewicht zu bringen.“

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Giffeys Position in der Regulierungspolitik wertet der zweite Koalitionspartner der SPD als Rechtsruck: „Frau Giffey biedert sich der CDU und den neoliberalen Kräften Berlins an“, sagte die wohnungspolitische Sprecherin der Grünen, Katrin Schmidberger. „Die Stadt der Zukunft kann man nicht mit René Benko, Accentro und der Deutschen Wohnen bauen, sondern nur gemeinsam mit den Mietern“. Giffeys „wahltaktisches Manöver“ offenbare, dass „die SPD nicht gelernt hat aus 20 Jahren selbstverschuldeter und verfehlter Mietenpolitik“.

Auch die Grünen wollen die Atempause durch die Deckelung der Mieten nutzen, allerdings um ein „Mietenkataster“ aufzubauen. Ein entsprechendes Gesetz sei koalitionsintern in Arbeit. In das Register sollen Daten über alle Wohnungen in Berlin einfließen, darunter deren Eigentümer, Ausstattung, Höhe der Miete und Sanierungszustand.

Dies schaffe Transparenz und erlaube frühzeitig Verdrängung von Altmietern und andere Fehlentwicklungen zu erkennen und zu begegnen. Außerdem könne dank der Daten der Mietendeckel „bei Bedarf zielgenauer weiter entwickelt werden“.

Wegner: „Leider wird Giffeys Linie von der Berliner SPD nicht gedeckt“

CDU-Landeschef Kai Wegner sagte: „Frau Giffey spürt, dass der Senat mit dem Mietendeckel Unheil angerichtet hat. Leider wird ihre Linie von der Berliner SPD nicht gedeckt“. Der Wohnungsmangel werde notdürftig verwaltet, der Neubau „rasiert“. Rot-Rot-Grün reiße alle selbstgesteckten Neubauziele. „Ideologie baut keine Wohnungen.“ Mehr Mietwohnungen schaffen wir nicht gegen, sondern nur mit den Privaten. Dafür setze ich auf starke soziale Leitplanken und auf neuen, bezahlbaren Wohnraum.

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„Wir begrüßen die Klarheit sehr, Frau Giffey hat das zentrale Problem erkannt und deutlich angesprochen“ sagte die Chefin des BfW-Wohnungsverbandes Berlin Susanne Klabe. Wegen des Mietendeckels verliere die Wohnungswirtschaft das Vertrauen in das Land. Und „aus mangelndem Vertrauen bewilligen Banken keine Finanzierung für Neubau mehr“. Denn der Markt rechne mit einer Verlängerung des Mietendeckels.

Maren Kern, Chefin des Wohnungsverbandes BBU sagte: „Frau Giffey bestätigt, was bereits Bausenator Scheel gesagt hat: der Mietendeckel soll nach fünf Jahren auslaufen. Genauso steht es auch im Gesetz“.

Aus der Wohnungswirtschaft ist zu hören, dass der Bau von 15.000 bis 18.000 Wohnungen jährlich möglich ist, sofern der Senat landeseigene Unternehmen und Genossenschaften mit Bauland versorge. Die stark gestiegenen Immobilienpreise führten dazu, dass teils für das gleiche Geld neue Wohnungen gebaut werden könnten auf Landesflächen. Der Vorteil: Das vergrößere das Wohnungsangebot, was dämpfend auf die Mieten wirke.

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