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Planet im Zentrum. Mitte, das ist: Arbeiterviertel, Schickimickiviertel, Regierungsviertel, Armutsviertel, Szeneviertel, Hansaviertel …

© Doris Spiekermann-Klaas

Wahlkreisserie zur Bundestagswahl: Wer gewinnt den Wahlkreis im Herzen der Hauptstadt?

Eva Högl gegen Frank Henkel und Özcan Mutlu. Ein Blick nach Berlin-Mitte, wo der Wahlkampf in diesem Jahr so spannend ist wie lange nicht mehr.

Von Laura Hofmann

WER WOHNT HIER?

Der durchschnittliche Mitte-Bewohner ist 38,9 Jahre alt … aber was heißt schon Durchschnitt in diesem Bezirk, der so unterschiedlich ist? In Wedding, einst Arbeiterbezirk, gibt es in der Pankstraße gefühlt mehr türkische Supermärkte und Cafés als in Kreuzberg. Rund um den Rosenthaler Platz hat sich die urbane Elite niedergelassen, trinkt grüne Smoothies am Weinbergsweg, schlendert über die Brunnenstraße mit ihren Galerien und Pop-Up-Design-Stores und macht Yoga am Arkonaplatz.

Der Bezirk, der sich auf knapp 40 Quadratkilometern erstreckt und aus sechs Ortsteilen besteht, wächst schneller als jeder andere in der Stadt. Seit 2010 sind 44.325 Bewohner dazugekommen, nirgends ist die Dichte an Migranten und Berlinern mit nichtdeutscher Staatsangehörigkeit höher, fast 19 Prozent der Einwohner haben einen Migrationshintergrund. Verdrängung ist ein Thema, das in Mitte viele umtreibt. Deutschlandweit steigen die Mieten am schnellsten im Brunnenviertel, wo es viele Studenten und junge Familien hinzieht. Nicht weit entfernt, ebenfalls in Gesundbrunnen rund um die Badstraße, liegt die Kinderarmut bei 70 Prozent.

Der Mix macht's. So hat Mitte bei den letzten Bundestagswahl abgestimmt - die große Optik zeigt die Ergebnisse für 2013.
Der Mix macht's. So hat Mitte bei den letzten Bundestagswahl abgestimmt - die große Optik zeigt die Ergebnisse für 2013.

© Datenaufbereitung/-analyse: Tagesspiegel Data - Tsp/Bartel

WELCHES WAHLDUELL WIRD AM SPANNENDSTEN?

Eva Högl, 48, will ihr Direktmandat auch bei dieser Wahl verteidigen. Die Vize-Fraktionschefin der SPD im Bundestag und Spitzenkandidatin der Partei in Berlin hat ihren Wahlkreis bereits seit 2009 – damals trat sie das erste Mal als Direktkandidatin an – und 2013 gewonnen. 2009 bekam sie 26 Prozent der Erststimmen – das war das niedrigste Erststimmenergebnis für einen Wahlkreis seit der Bundestagswahl 1953, das für den Gewinn eines Direktmandates ausreichte. Laut dem In-or-Out-Faktor des Tagesspiegels liegt Högl auch in diesem Jahr in den Umfragen vorne, ihr Sieg gilt jedoch als „unsicher“ (Meinungsforschungsinstitut Civey) oder sogar als „sehr unsicher“ (Forschungsgruppe Wahlen).

Mitte in Zahlen und politischen Farben.
Mitte in Zahlen und politischen Farben.

© Tsp/Bartel - Landeswahlleiterin

Högl ist zwar auf das Direktmandat nicht angewiesen, weil sie auf Platz eins der Landesliste der Berliner SPD steht. Es wäre allerdings ein Prestigeverlust für die Juristin, wenn sie den Wahlkreis ausgerechnet an Frank Henkel, 53, CDU verliert, der in seiner Partei kaum Rückhalt genießt. Özcan Mutlu, 49, Grüne, wird nach der Wahl sein Büro im Bundestag wohl räumen müssen. Er hat es nur auf den vierten Listenplatz geschafft.

Eva Högl (SPD) will im Bundestag bleiben.
Eva Högl (SPD) will im Bundestag bleiben.

© picture alliance / dpa

Das Thema Mieten eint die großen Parteien, besonders der Direktkandidat der Linken, Steve Rauhut, 45, hat sich den Wohnraum zum Schwerpunkt gemacht und fordert mehr Wohnungen in öffentlicher Hand. Auch Högl möchte bei der Mietpreisbremse nachjustieren. Den Fokus auf die innere Sicherheit legen CDU und AfD. Beatrix von Storch, 46, Direktkandidatin der AfD, fordert mehr Polizeiwachen an öffentlichen Plätzen mit hoher Kriminalität und eine Strafrechtsreform, die Mindeststrafen für Gewaltverbrechen festschreibt. Henkel sagt, die CDU sei „für mehr Wachstum, mehr Arbeitsplätze, für Sicherheit und einen nachhaltigen gesellschaftlichen Zusammenhalt“. Die Direktkandidatin der FDP, Katharina Ziolkowski, 43, ist Cyber-Politik-Expertin und träumt von einem überall verfügbaren freien und schnellen WLAN für den Bezirk. Um Wartezeiten in Behörden zu vermeiden, will sie die Durchsetzung des E-Government unterstützen. Und der Bundestagsabgeordnete Mutlu setzt auf Bildungsförderung als Instrument zur Integration.

Herausforderer: Berlins ehemaliger Innensenator Frank Henkel (CDU).
Herausforderer: Berlins ehemaliger Innensenator Frank Henkel (CDU).

© dpa

HAT MAN HIER ÜBERHAUPT EINE WAHL?

Seit 2002 ist die SPD in Mitte Wahlkreissieger. Davor gehörte der Bezirk zum Bundestagswahlkreis Berlin-Mitte – Prenzlauer Berg. Kurz nach der Wende, bei der Wahl 1990, war der Westen des Bezirks, Gesundbrunnen und Wedding, noch schwarz, die CDU erreichte hier teilweise Zustimmungswerte um die 50 Prozent. Doch schon ab 1994 löste die SPD die Christdemokraten als stärkste Partei ab. 2009 wurden die Grünen dann für eine Wahl auch im Westen erfolgreich, in der City konnten sie auch 2013 noch in einigen Wahlbezirken Siege einfahren. Im Osten von Mitte hat die Linkspartei traditionell den besten Stand. Bei der Wahl zum Berliner Abgeordnetenhaus 2016 konnte die SPD vier der sieben Wahlkreise für sich entscheiden. Die Grünen kamen auf zwei, die Linke auf einen. Auf unserer historischen Wahlkarte können Sie sehen, wie Ihr Kiez seit der Bundestagswahl 1990 gewählt hat.

UND WAS WAR DAS SKURRILSTE IM WAHLKAMPF?

Die CDU hat ein begehbares Wahlprogramm. Mit dem #fedidwgugl-Haus im ehemaligen Kaufhaus Jahndorf macht die Partei auf digital und jung. #fedidwgugl was? Der Hashtag steht für den Wahlspruch „Für ein Deutschland, in dem wir gut und gerne leben“. Drinnen stehen unter anderem die Roboter Emma und Dave, die Zettel beschreiben und an die Fensterscheibe anbringen. Es gibt Lunch mit Yoga und manchmal legen auch DJs auf. Um die Ecke, am Rosenthaler Platz, trinkt Jens Spahn (CDU) seinen Kaffee nicht mehr gerne, weil er den so oft auf Englisch bestellen muss. Mit seiner Wutrede gegen Berliner Hipster war der Wahlkampf um eine Anekdote reicher. Und die AfD forderte noch den Rücktritt Eva Högls (wovon genau, ließ sie offen), weil diese bei einer Denkmaleinweihung in Kreuzberg hinter Martin Schulz, der gerade zum Terror in Barcelona sprach, Faxen machte. Sie hatte nicht mitbekommen, wovon der SPD-Kanzlerkandidat sprach und wies in einer wütenden Erklärung die Rücktrittsforderungen von sich.

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