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Lange Schlangen bilden sich vor den Wahllokalen in der Jane-Addams-Schule in Friedrichshain.

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Update

Berliner wählen bis 20 Uhr: Fehlende und falsche Stimmzettel – Wahlen in Berlin laufen teils chaotisch

In mehreren Wahllokalen in Berlin sind die Wahlscheine ausgegangen. Noch Stunden nach der ersten Ergebnisprognose um 18 Uhr gaben Menschen ihre Stimme ab.

Von Sonja Wurtscheid

Um 19.50 Uhr stand der oder die letzte Wähler:in in Prenzlauer Berg am Sonntagabend noch in der Warteschlange vor dem Wahllokal. Matthias Thieme wartete da laut eigenen Angaben bereits seit drei Stunden in der Schlange. "Draußen warten immer noch Menschen", twitterte er.

Auch in Malchow verließ der letzte Wähler erst 19.40 Uhr die Kabine, in Weißensee warteten da noch Menschen vor dem Lokal. Bereits relativ früh hatte sich am Sonntag abgezeichnet, dass bis 18 Uhr längst nicht alle Menschen ihre Stimme abgeben würden können.

Am Nachmittag verkündete die Landeswahlleiterin, dass jede und jeder, der bis 18 Uhr in der Schlange steht, auch wählen kann – egal, ob die Stimme dann erst, wie in Weißensee, zwei Stunden später in die Urne wandert. Wer sich kurz nach 18 Uhr in die Schlangen einreihte, hatte allerdings Pech: In der Prinzregentenstraße hätte ein 90-Jähriger, der laut eigener Aussage sich zum dritten Mal an diesem Tag anstand, gerne noch gewählt. Nun fühlte er sich betrogen.

Insgesamt sind die Berliner Wahlen deutlich chaotischer gelaufen als von der Landeswahlleitung erhofft. Mehrere Wahllokale mussten am Sonntag zeitweise schließen, weil sie keine Stimmzettel mehr hatten. Manche Wahllokale bekamen zudem die falschen Stimmzettel geliefert – nämlich Stimmzettel anderer Bezirke.

Der Bundeswahlleiter twitterte: "Die Landeswahlleiterin Berlin hat uns mitgeteilt, dass in Wahllokalen in Berlin Zweitstimmzettel der Wahl zum Abgeordnetenhaus fehlen. Wahllokale hatten, wie sich erst am Wahltag herausstellte, Zweitstimmzettel eines anderen Bezirks erhalten."

[Alle aktuellen Zwischenstände und Ergebnisse der Berliner Abgeordnetenwahl 2021 finden Sie auf unserer interaktiven Seite zur Wahl.]

Wegen vertauschter Wahlzettel war es in einigen Wahllokalen zu ungültigen Stimmabgaben und Verzögerungen gekommen. Betroffen waren Stimmzettel aus den Bezirken Friedrichshain/Kreuzberg und Charlottenburg/Wilmersdorf.

In den Wahllokalen 404, 407 und 408 in der Spartacus Grundschule in Friedrichshain lagen nach Angaben aus dem Wahllokal für die Abgeordnetenhauswahl nur Stimmzettel aus Charlottenburg/Wilmersdorf vor. Bis die richtigen Stimmzettel nachgeliefert wurden, mussten die Wahllokale zeitweise geschlossen werden. Zudem mussten einige Stimmabgaben auf falschen Stimmzetteln für ungültig erklärt werden.

Am frühen Nachmittag gingen in mehreren Wahllokalen die Stimmzettel aus. Etwa waren gegen 14 Uhr in der Giselerstraße in Wilmersdorf/Comenius-Schule nur noch 16 Zettel übrig, auch im Wahllokal in der Peter-Ustinov-Schule in Charlottenburg gingen die Scheine zur Neige. In der Hildegardstraße in Wilmersdorf gingen die Stimmzettel ganz aus. Wegen der Straßensperrungen aufgrund des Marathons war Nachschub vorerst nur schwer zu organisieren.

Ein Wahlvorstand aus einem Wahllokal in Wilmersdorf sagte dem Tagesspiegel: "Wir mussten eine Stunde Pause machen, weil wir keine Stimmzettel mehr hatten und keiner wählen konnte." Er sei extra in ein anderes Wahllokal gefahren, um dort Stimmzettel zu holen. "Die hatten aber auch nur noch zehn." Nach fast einer Stunde sei dann eine neue Ladung Stimmzettel eingetroffen. Seitdem kam bereits ein Wahlvorstand eines anderen Lokals vorbei, "um bei uns Stimmzettel zu schnorren", berichtete der Wahlvorstand.

Landeswahlleitung kann sich Fehlen der Stimmzettel nicht erklären

Die Wartenden hätten überwiegend ruhig reagiert. Die meisten hätten einfach gewartet, sagte der Wahlhelfer. Es habe aber auch einige gegeben, die die Wahl anzweifeln wollten.

Auch wer etwa in der Münsterschen Straße wählte, konnte sich gegen 15.30 Uhr entscheiden: Ein Wahlhelfer bot Wartenden an, dass sie sofort wählen könnten, wenn sie auf die blauen Zettel – Zweitstimme fürs Abgeordnetenhaus – verzichten würden, denn die seien gerade nicht vorrätig. Einige nahmen das Angebot an, zehn Minuten später gab es wieder blaue Wahlzettel.

Aber auch aus dem Wahllokal in der Papageno-Grundschule in Mitte berichtete eine Wahlhelferin knapp eine halbe Stunde vor Schließung, um 17.22 Uhr, dass man nun zu Fuß losginge, um in einem anderen Wahllokal um Stimmzettel für die Erststimme zur Abgeordnetenhauswahl zu bitten. "Wenn die welche haben, hoffentlich." Anderswo wurde versucht, die dem Stau vor dem Wahllokal mit selbstgebastelten Wahlkabinen zu begegnen, so dass ein Platz mehr für die Stimmabgabe zur Verfügung stand.

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Der Sprecher der Landeswahlleitung in Berlin, Geert Baasen, sagte, er könne sich die Engpässe nicht erklären. "Wir haben für 110 bis 120 Prozent der Wahlberechtigten Stimmzettel drucken lassen", sagte er dem Tagesspiegel. "Es ist mehr beauftragt worden als es Wahlberechtigte gibt." Die Landeswahlleitung habe den Druck der Stimmzettel in Auftrag gegeben, ebenso wie deren Verteilung. "Wieso die jetzt fehlen, kann ich mir nicht erklären."

Am Nachmittag arbeiteten die Bezirke mit höchster Priorität daran, die Probleme zu lösen, sagte Baasen. Wie die Engpässe genau zustande kamen, ließe sich wahrscheinlich erst am Montag sagen. Die Landeswahlleitung habe bereits Beschwerden von Wahlberechtigten erhalten.

Bis zu 90 Minuten Wartezeit vorm Wahllokal

Viele Wähler:innen klagten am Sonntag zudem über lange Wartezeiten vor den Wahllokalen. Selbst der Regierende Bürgermister stand rund 25 Minuten in der Schlange. Andernorts warteten die Menschen bis zu drei Stunden auf den Platz in der Wahlkabine.

Fehler am Wahltag bedeuteten grundsätzlich, "dass man die Wahl anfechten kann", sagte Landeswahlleitungssprecher Baasen. Das könne jeder Wahlberechtigte tun, der von den Problemen betroffen war. Allerdings: Entscheidend sei, ob die Probleme am Wahltag mandatsrelevant waren. Sprich, ob das Ergebnis durch die Pannen beeinflusst wurde. Das entscheidet der Verfassungsgerichtshof Berlin-Brandenburg, wie Baasen sagte.

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