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Hautarzt Thomas Bauer hat jahrelange Erfahrung

© Mike Wolff

Vorsorgeuntersuchungen bei Männern: Ich hab’s gecheckt

Die Krankenkassen zahlen viele Vorsorgeuntersuchungen. Doch gerade Männer nutzen sie, anders als Frauen, zu selten. Weil deren Nutzen sie nicht überzeugt – oder aus Furcht? Unser Autor hat sich auf Darm-, Prostata- und Hautkrebs testen lassen.

Rente, Winter, Pflege: Vorsorge meint gemeinhin, sich für etwas in der Zukunft zu wappnen. In der Medizin aber bedeutet Krankheitsvorsorge nicht etwa, sich auf eine Krankheit vorzubereiten, sondern im Gegenteil diese zu vermeiden – zumindest aber sie zu heilen oder wenigstens im Fortschreiten zu stoppen. Und weil das üblicherweise auch noch preiswerter ist als die Erkrankung später zu behandeln, haben die Krankenkassen ein ganzes Portfolio an Vorsorgeuntersuchungen. In meinem Alter (52) stehen mir drei Krebsvorsorgeuntersuchungen zu, auch wenn es Krankenkassen gibt, die mehr anbieten: Alle zwei Jahre ein Screening auf Hautkrebs beim Hautarzt, die jährliche Vorsorgeuntersuchung auf Prostatakrebs beim Urologen und die jährliche Früherkennung Darmkrebs mittels Stuhltest auf nicht sichtbares Blut. Den kann auch der Hausarzt durchführen. Der Zufall will es, dass drei Untersuchungen in diesem Jahr wieder anstehen. Ich ergreife also die Gelegenheit und verabrede mich mit drei Ärzten zur Vorsorge – auch um mit ihnen über den Sinn der Vorsorge zu sprechen. Denn unumstritten sind all diese Untersuchungen nicht.

Ich habe einen Termin bei Michael Rausch, Internist im Ärztezentrum Nollendorfplatz, einer Gemeinschaftspraxis in Schöneberg. Rausch bietet wie viele Hausarztpraxen die Möglichkeit zur Darmkrebsvorsorge. Ich darf seit kurzem schon ab 50 zur Vorsorge-Darmspiegelung bei einem spezialisierten Facharzt, einem Gastroenterologen. Aber zwischen 50 und 54 gibt es einmal jährlich auch eine Früherkennung auf der Grundlage von Stuhlproben, in denen das Labor nach unsichtbaren Spuren von Blut sucht.

Die Tests sollen immer genauer werden

Früher nutzte man dafür extra beschichtete Teststreifen, den sogenannten Hämoccult-Test. Doch seit 2017 setzt sich immer mehr der iFOBT-Test durch, der mit immunologischen Methoden Blutbestandteile im Stuhl aufspürt. Deren Ursache könnte ein Krebsgeschwür oder ein blutender Polyp im Darm sein, aber auch vieles andere, etwa Zahnfleisch- oder Nasenbluten. Der Test soll aber genauer sein als der Hämoccult- Test, bei dem schon der Verzehr von Fleisch kurz vor dem Test zu falsch positiven Ergebnissen führen könnte. Und umgekehrt überdeckte ascorbinsäurehaltige Nahrung – also im Prinzip alles, was in größeren Mengen Vitamin C enthält, wie Kiwis, Kohl, Paprika oder Orangen – beim Hämoccult-Test eventuell vorhandene Blutspuren und führte so zu falsch negativen Aussagen.

iFOBT ist dazu noch etwas weniger aufwendig, denn statt drei Stuhlproben von mehreren Tagen reicht eine Probe aus. Angenehm ist der Test trotzdem nicht. Ich muss eine kleine Halterung in das WC-Becken legen, die beim Toilettengang Stuhl auffängt. Anschließend soll ich die Spitze des Teststabs an verschiedenen Stellen in die Stuhlprobe stecken. Dann schnell ab damit ins Laborröhrchen und diskret an der Anmeldung der Praxis abgeben. Die Probe geht dann an ein Speziallabor. Drei Tage später habe ich das Ergebnis: „Unauffällig.“ Lässt sich aber Blut im Stuhl nachweisen, bekäme ich eine Darmspiegelung zur Abklärung.

Trotz der Fortschritte gegenüber dem Hämoccult-Test sinkt die Bereitschaft für diese Vorsorge. Nach Angaben der Barmer Ersatzkasse nahmen 2012 noch rund 151 000 Berliner einen entsprechenden Stuhltest in Anspruch, im Jahr 2017 nur noch rund 107 000, ein Rückgang von 29 Prozent. Sich mit dem eigenen Stuhl zu befassen, ist offenbar nicht jedermanns Ding.

Frauen fangen viel früher mit der Vorsorge an

Mit den Worten von Michael Rausch im Hinterkopf, dass Vorsorgeuntersuchungen vor allem dazu da seien, ein „Verhältnis zu seinem Arzt aufzubauen“, vereinbare ich mit Frank König, Urologe in der Wilmersdorfer Gemeinschaftspraxis Aturo, eine Prostatakrebsvorsorge. Unser Verhältnis steht noch am Anfang, ich bin das erste Mal in seiner Praxis. Ob ich wohl jemals so weit sein werde, dass ich „mein Urologe“ sage, zu dem ich gehen müsse? Woran liegt es eigentlich, dass Frauen die Worte „meine Gynäkologin“ so viel leichter und öfter verwenden? Wahrscheinlich daran, dass sie viel eher damit anfangen, zur Krebsvorsorge zu gehen, und mehr Zeit haben, sich an die regelmäßigen Arztgänge zu gewöhnen. In Deutschland können Frauen bereits ab dem 20. Lebensjahr jährlich zur Früherkennung von Krebs in den Genitalorganen beim Gynäkologen erscheinen. Ab 30 kommt die jährliche Tastuntersuchung auf Brustkrebs hinzu. Bei Männer geht das erst ab 45 Lebensjahren los. Ab dann haben sie jährlich die Möglichkeit einer Vorsorgeuntersuchung auf Prostatakrebs. Laut dem Früherkennungsprogramm der Krankenkassen heißt das, dass ich mich von einem Urologen abtasten lassen muss: die Genitalien, die dazu gehörigen Lymphknoten in der Leiste und die Prostata – vom Enddarm aus.

Der Urologe streift einen Gummihandschuh über

Internist Michael Rausch vom Ärztezentrum am Nollendorfplatz.
Internist Michael Rausch vom Ärztezentrum am Nollendorfplatz.

©  Kai-Uwe Heinrich

Frank König kommt gleich zur Sache. Ich möge die Hose bis zum Oberschenkel herunterziehen und mich seitlich auf die Untersuchungsliege in seinem Sprechzimmer legen, und das bitte ganz entspannt, was angesichts dessen, was man unter der „großen Hafenrundfahrt“ alles befürchtet, so manchem schwerfallen dürfte. Der Urologe streift einen Gummihandschuh über, trägt Gleitgel auf, schiebt seinen Zeigefinger ohne Zögern ins Rektum und tastet die Prostata rundherum ab. Das dauert nur wenige Augenblicke und ist tatsächlich nicht schlimm. Beim Vorgespräch hatten wir die eine unsichere Frage schon geklärt: Muss man sich, also den Enddarm, auf die Untersuchung vorbereiten, eventuell sogar einen Einlauf...? „Nein, nicht nötig“, ist die kurze Antwort des Urologen, der solche Untersuchungen häufig machen muss.

Kurz danach das Auswertungsgespräch. Die Untersuchung habe keine Auffälligkeiten gezeigt. Also alles gut? „Das ist das Problem bei der Prostataabtastung, dass man das so nicht beantworten kann“, sagt Frank König. Denn: „Wenn der Urologe eine Verhärtung ertasten kann, ist der Krebs sehr weit fortgeschritten. Da stehen die Heilungschancen schlecht.“ Von Früherkennung könne also keine Rede sein. Hinzu kommt, dass der Arzt mit seinem Finger nur die zum Darm zeigende Seite der Prostata ertasten kann. Die andere Seite des etwa kastaniengroßen Organs ist dafür unerreichbar – ein Krebs an dieser Stelle also auch nicht zu entdecken.

Der Unterschied von PSA-Wert und freiem PSA-Wert

Ist das dann eine sinnvolle Vorsorge? König antwortet ebenso diplomatisch. „Dass die Krankenkassen die regelmäßige Tastuntersuchung bezahlen ist gut dafür, die Männer überhaupt in die Vorsorgeuntersuchung zu bekommen“, sagt König. Auch um ihnen möglicherweise dabei auch einen Test anraten zu können, den die Krankenkassen zwar nicht bezahlen, den König aber für deutlich sinnvoller in der Krebsvorsorge hält. „Ich bin ein Fan des PSA-Wertes“, also des Gehalts an „prostataspezifischem Antigen“, eines in der Prostata gebildeten Eiweißes, im Blut. Und da sei er sich mit den meisten seiner Kollegen einig. „Wohl fast jeder Urologe kennt seinen PSA-Wert.“

Ein erhöhter PSA-Wert könne ein erster Hinweis auf Krebs sein, was weitere Untersuchungen klären können – etwa des sogenannten freien PSA-Wertes. Das ist eine weitere Kontrollzahl, deren Bestimmung aber aufwändiger und damit teurer ist als der PSA-Wert, für den die Patienten als Eigenleistung um die30 Euro bezahlen müssen. Wenn auch dieser auffällig ist, folgt eine MRT-Untersuchung des Organs. Letztendliche Gewissheit bringt aber nur eine Biopsie, also die Entnahme und Laboruntersuchung von Gewebeproben aus der Prostata.

Aber auch ein Fan kennt die Grenzen: „Der PSA-Wert ist kein Tumormarker, sondern ein Prostatamarker“, sagt König. Ein Tumormarker wäre ein Messwert, der den klaren Rückschluss auf ein Krebsgeschwür zulässt. Der PSA-Wert dagegen wird von vielen Faktoren beeinflusst. Eine Prostataentzündung, eine Harnröhreninfektion oder eine gutartige Vergrößerung. Selbst Radfahren oder Sex kann den PSA-Wert vorübergehend erhöhen. Aber eben auch ein bösartiger Tumor.

"Wir haben nun mal nichts besseres"

Umgekehrt bedeutet es, dass Männer, die eigentlich keinen Krebs haben, durch die Untersuchungslogik aus auffälligen PSA-Werten, MRT-Befund und schließlich einer Biopsie erst einmal über eine gewisse Zeit in Krebsangst versetzt werden. 80 Prozent der Männer mit einem deutlich erhöhten PSA-Wert – also jenseits des Grenzwertes von vier Nanogramm/Milliliter – würden deshalb unnötig biopsiert, räumt König ein. „Aber bei den übrigen 20 Prozent wird der Krebs so in einem noch gut behandelbaren Frühstadium entdeckt. Das ist doch ein Erfolg.“ Laut dem deutschen Krebsforschungszentrum ist der Wert der PSA-Bestimmung für die Krebsfrüherkennung hoch umstritten. Denn ob Männer, die regelmäßigen ihren PSA testen lassen, länger und vor allem besser leben, stehe nicht fest. „Aber wir haben nun mal nichts Besseres“, sagt König. Ich lasse den PSA-Wert bestimmen. Er wird mir schon drei Tage später per Post mitgeteilt. Nicht auffällig, zum Glück.

Bleibt noch die Begutachtung meiner Haut. Das regelmäßige Screening auf weißen und schwarzem Hautkrebs gilt auch nicht als gänzlich unumstritten. Obwohl zum einen immer mehr Menschen an Hautkrebs erkranken, zum anderen gerade der schwarze Hautkrebs – das maligne Melanom – sehr aggressiv ist und schnell Metastasen bildet. Deshalb ist seine Erkennung im Frühstadium sehr wichtig, um den Tumor entfernen zu können, bevor er metastasiert. Doch es gibt auch hier Kritik. So kritisierte im Jahr 2016 eine medizinische Kommission in den USA, die die US-Regierung in Fragen der Krankheitsvorsorge berät, die zu dünne Datenlage. Es müssten sich 100 000 Menschen der Ganzkörperinspektion unterziehen, um einen Todesfall am Melanom zu verhindern. Ist das ein zu hoher Preis?

Ich hoffe, dass es bei mir bei den zehn Minuten bleibt

Tastet die Prostata ab. Der Urologe Frank König von der Praxis Aturo.
Tastet die Prostata ab. Der Urologe Frank König von der Praxis Aturo.

©  Mike Wolff

Das Screening dauert in der Regel zehn Minuten. „Wenn man nichts findet“, sagt der Hautarzt Thomas Bauer, in dessen Praxis in Wilmersdorf ich mich nun – im wahrsten Sinne des Wortes – oberflächlich begutachten lasse. „Wenn etwas verdächtig erscheint und genauer untersucht werden muss, dann dauert es länger.“ Ich hoffe sehr, dass es bei mir bei den zehn Minuten bleibt.

Der Arzt bittet mich, bis auf die Unterhose meine Kleidung abzulegen. Er breitet ein Blatt Papier auf dem Boden aus, auf dass ich mich barfuß stelle. Von Kopf bis Fuß werde ich nun zunächst etwas grober für den allgemeinen Überblick in Augenschein genommen. Anschließend begutachtet Bauer meine Haut mit einem Dermatoskop, eine Art Speziallupe mit einer starken Lichtquelle, jeden kleinsten Punkt auf der Haut, der ihm mit seiner jahrelangen Erfahrung untersuchungswürdig erscheint. Hautkrebsscreening ist eine Erfahrungssache. „Ein Hautarzt lernt während seines gesamten Berufslebens immer mehr dazu, um Hautkrebs in immer früheren Stadien entdecken zu können.“ Bauer macht das seit 25 Jahren, hat also einen großen Erfahrungsschatz.

Auf dem Kopf, im Mund, auf den Fußsohlen

Selbst unter den Haaren auf dem Kopf, im Mund, vor allem am Zungengrund, und auf den Fußsohlen schaut Bauer genau hin. Finger und Zehenzwischenräume kommen ebenso dran, wie der Schambereich. Und auch die Pobacken spart der Arzt nicht aus. Denn auch da kann der Hautkrebs lauern. Er fahndet sowohl nach schwarzem wie auch nach dem – weniger gefährlichen, weil nicht metastasierenden – weißen Hautkrebs. Und er fragt nach, ob mir selbst Hautveränderungen aufgefallen sind. Na ja, die eine oder andere schon, sage ich. Oder eigentlich frage ich das: Ist das was, Herr Doktor? Dann kommt oft von ihm die ebenso beruhigende wie ernüchternde Auskunft: Kein Krebs, aber eine alterstypische Erscheinung. Alterstypisch ...

[Diesen und weitere interessante Artikel rund um das Thema Krebs finden Sie im aktuellen Gesundheitsratgeber „Tagesspiegel Onkologie“. Das Magazin kostet 12,80 Euro und ist erhältlich im Tagesspiegel-Shop, www. tagesspiegel.de/Shop, Tel. 29021-520 sowie im Zeitschriftenhandel. Folgende Krebs-Vorsorgeuntersuchungen werden von den Kassen übernommen: Gebärmutterhals (für Frauen, einmalig zwischen 20 und 22 Jahren), Brust (für Frauen, jährlich, ab 30), Prostata (für Männer, ab 45), Darm (für Frauen und Männer, ab 50).]

Und natürlich berücksichtigt der Arzt auch frühere Screenings, so man denn bereits bei ihm war, und prüft, ob sich in den vergangenen zwei Jahren auf der Haut etwas verändert hat. Entweder er hat sich beim letzten Mal Notizen in der Patientenakte gemacht oder von verdächtigen Arealen Videoaufnahmen gespeichert, um zwei Jahre später den Stand vergleichen zu können.

Findet Bauer ein krebsverdächtiges Muttermal, eine Warze oder eine auffällige Hautveränderung, schneidet er sie sofort heraus. Und schickt das Gewebe ins Labor, wo der Krebsverdacht unter dem Mikroskop geklärt werden kann. Erst dann ist Sicherheit da. Es ist also möglich, dass ein Patient beunruhigt werden muss. „Es dauert bis zu zwei Wochen, bis das Ergebnis vorliegt.“ Bauer ist vom Hautscreeningprogramm überzeugt. „Es werden immer kleinere Melanome in frühen Stadien entdeckt.“ Ich werde wohl in zwei Jahren wieder meine Haut zum Doktor tragen.

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