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Meditativ. Für viele Spreewald-Besucher sind die Holzkähne vor allem eine Tourismus-Attraktion. Doch auch heute noch werden mit ihnen etwa Baumaterialien oder Kohle an Wassergrundstücke transportiert. Foto: Patrick Pleul/dpa

© picture alliance / dpa

Vorschlag des Brandenburger Kulturministeriums: Spreewaldkahn soll immaterielles deutsches Kulturerbe werden

Nicht nur Herzstück des Spreewald-Tourismus, sondern auch alltägliches Transportmittel: Der Spreewaldkahn soll zum immateriellen deutschen Kulturerbe werden.

Von Sandra Dassler

Die Nachricht aus dem brandenburgischen Kulturministerium kam kurz vor Ostern: Der Spreewaldkahn soll Teil des immateriellen deutschen Kulturerbes werden. „Die Menschen im Spreewald freut das sehr“, sagt Steffen Franke, der Vorstandsvorsitzende der Kahnfährgenossenschaft Lübbenau. „Damit würdigt man schließlich ein ziemlich einzigartiges Transportmittel, das man nirgendwo sonst auf der Welt findet. Und vielleicht hilft die Aufmerksamkeit dafür auch bei der Lösung eines großen Problems: Es gibt nämlich fast keine Kahnbauer mehr im Spreewald.“

Dabei sind die großen Kähne noch immer das Herzstück des Spreewald-Tourismus – und es gab sie schon, als der Dichter Theodor Fontane Mitte des 19. Jahrhunderts in einem von ihnen auf Hochwaldtour ging. Sein nach der Reise in der „Neuen Preußischen Zeitung“ erschienener Bericht trug wesentlich zur Popularität des Spreewalds als Reiseziel bei.

Ohne Kähne ging hier lange nichts. Die slawischen Stämme besiedelten vom 6. bis zum 9. Jahrhundert nicht nur die Ränder, sondern auch das Herz der in der Eiszeit entstandenen Lagunenlandschaft – und nutzten dabei die natürlichen Wasserstraßen für den Transport von Mensch und Tier, Baumaterialien und Lebensmitteln auf Einbäumen.

Reste von diesen finden sich auch heute noch manchmal im Schlamm der Fließe, wie die Wasserstraßen im Spreewald genannt werden. Einer der ältesten Einbäume ist im Freilandmuseum des Spreewalddorfes Lehde ausgestellt. Die Vorläufer der Spreewaldkähne gab es in vielen Größen und Varianten.

Maximal 9,5 Meter lang und 1,90 Meter breit darf der Spreewaldkahn sein

Heutzutage hat das Landesamt für Bauen und Verkehr in der Landesschifffahrtsverordnung festgelegt, was ein Spreewaldkahn ist. Wie bei der echten Spreewaldgurke sind hier gewisse Maße einzuhalten – eine Länge von maximal 9,5 Metern und eine Breite von 1,90 bis maximal zwei Metern. Der Kahn darf sechs- bis achthundert Kilogramm wiegen und muss mindestens 15 Zentimeter Freibord haben, sagt Steffen Franke. „Freibord ist der Abstand zwischen der Wasserlinie und dem Deck und soll dafür sorgen, dass das Wasser nicht auf die Ladung läuft, wenn mal eine Welle kommt“.

Mit der Ladung sind nicht die Touristen gemeint. Vielmehr werden auch heute noch jede Menge andere Sachen mit dem Kahn befördert. Das liegt daran, dass noch immer etwa ein Viertel aller Grundstücke im Spreewald wesentlich besser vom Wasser aus erreichbar sind. So sieht man häufig auch mit Kohle oder Baumaterialien beladene Kähne.

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Die bestanden ursprünglich aus Holz, wurden aber in den vergangenen Jahrzehnten zunehmend von Metallkähnen ersetzt. Für manche Fährleute ist das ein Tabubruch, die meisten sehen es inzwischen aber pragmatisch. „Natürlich sind die alten Holzkähne schön“, sagt Steffen Franke. „Aber mit ihnen kann man nur die Sommersaison vom 1.Mai bis 7.Oktober bestreiten, weil sie im Herbst aus dem Wasser müssen.“ Die Kähne würden dann kopfüber an Land gelagert, um auszutrocknen – eine Kahnfahrt im Winter sei mit ihnen nicht möglich.

Im Spreewald setzt man inzwischen aber nicht nur auf sanften, sondern auch auf ganzjährigen Tourismus. Und das geht eben nur mit den pflegeleichteren Metallkähnen. „Wichtig ist, dass das Handwerk des Kahnbauens nicht ausstirbt“, sagt Steffen Franke. Die Nachfrage sei groß – und jetzt sind auch endlich wieder Fahrten ohne Corona-Beschränkungen möglich.

Vier neue Vorschläge für das immaterielle Kulturerbe kommen aus Brandenburg

Tatsächlich schätzen viele Besucher vor allem die Stille bei einer Spreewaldfahrt. Der Motor wird nur in Ausnahmefällen eingesetzt, die meiste Zeit benutzt der Fährmann nur seine Muskelkraft und stakt den Kahn mit der Ruderstange, dem sogenannten Rudel, übers Wasser. Dann ziehen Felder und Wiesen, Pflanzen, Tiere und Menschen ganz langsam vorüber – und so mancher stressgeplagte Großstädter huldigt im Biosphärenreservat wenigstens für ein paar Stunden der Entschleunigung.

Nun also sollen die Kähne auch offiziell gewürdigt werden. Insgesamt hat Brandenburg vier neue Vorschläge für das bundesweite immaterielle Kulturerbe, das von der Unesco gefördert wird, unterbreitet. An dem Auswahlverfahren sind laut Brandenburger Kulturministerium die Bundesländer, die Kulturministerkonferenz, die Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien und die Deutsche Unesco-Kommission beteiligt.

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Neben dem Spreewaldkahn hat Brandenburg auch das Finsterwalder Sängerlied vorgeschlagen, das Klemmkuchenbacken mit handgeschmiedeten Eisen im Fläming sowie den handwerklichen Kachelofenbau in Velten. Bereits zuvor anerkannt wurden unter anderem die Bräuche der Sorben und das Kaspertheater in Bad Liebenwerda.

Der Saisonstart für die Kähne über Ostern sei schon mal vielversprechend gewesen, sagt Steffen Franke. Überhaupt profitiere der Spreewald davon, dass viele Menschen in diesen Zeiten sicher- gehen wollten und lieber Urlaub im eigenen Land machten. Eine Fahrt mit dem guten alten Spreewaldkahn gehöre da einfach dazu. „Das kann man deshalb mit Fug und Recht als Kulturerbe bezeichnen“, sagt Franke.

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