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Scheeres holte den Rat von Erziehungswissenschaftler Köller (re.) und Staatssekretär a.D. Voges ein.

© Susanne Vieth-Entus

Vorschläge zur Rettung der Berliner Schulen: Was gegen miserable Leistungen und hohe Abbrecherquoten helfen soll

Höchste Ausgaben, kein Erfolg: Am Mittwoch soll Scheeres' Expertenkommission Wege aus der Berliner Schul-Dauerkrise aufzeigen.

Es ist die Stunde der Wahrheit für Berlins Schulpolitik: An diesem Mittwoch will die von Bildungssenatorin Sandra Scheeres (SPD) beauftragte Expertenkommission unter Leitung des Kieler Forschers Olaf Köller öffentlich machen, woran das Berliner Schulwesen krankt und wie dem beizukommen sein könnte. Schon jetzt ist zu hören: Es wird kein Stein auf dem anderen bleiben. Denn Berlin gibt – ohne Erfolg – überdurchschnittlich viel Geld aus. Das soll sich ändern.

Ein unfreiwilliges Paradebeispiel für das Vorgehen, ungesteuert große Summen auszugeben, liefert das Zehn-Millionen-Euro-Programm „Berlin Challenge“: 20 Schulen erhalten – auf Wunsch der SPD-Fraktion – in 2020/21 jeweils 470.000 Euro, also 235.000 Euro pro Jahr.

Der Senat gibt als Schwerpunkt die „Unterrichtsentwicklung“ an – wohl in der Erwartung, dass dann die Leistungen der Schüler besser werden. Allerdings gibt es deutliche Hinweise darauf, dass dieses Ziel verfehlt werden könnte.

Zu diesen Hinweisen gehört, dass die Schulen erst in den Sommerferien 2020 erfuhren, dass sie für das Programm ausgewählt wurden, obwohl seit Ende 2019 feststeht, dass das Geld für „Berlin Challenge“ im Doppelhaushalt verankert ist: Offenbar war es vor dem Lockdown nicht mehr gelungen, die Teilnehmer zu bestimmen.

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Die Folge: Die Schulen müssen innerhalb von drei Monaten ihre 235.000 Euro für 2020 ausgeben, damit das Geld nicht verfällt.

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Diese Auskunft erhielt jetzt der CDU-Abgeordnete Mario Czaja auf seine Anfrage zum „Challenge-Programm“. In der Antwort des Senats, die dem Tagesspiegel vorliegt, schreibt Bildungs-Staatssekretärin Beate Stoffers (SPD), dass die Mittel ab 1. September zur Verfügung stehen und bis „Kassenschluss“ am 11. Dezember ausgegeben sein müssen, damit sie nicht verfallen. Die Frage, wie in so kurzer Zeit erreicht werden soll, dass die angepeilte „Unterrichtsentwicklung“ befördert wird, treibt die Schulen nun um.

Die Schulen haben nur drei Monate Zeit 235.000 Euro auszugeben

Was die Sache zusätzlich erschwert: Die Berater, die den Schulen speziell für dieses Programm an die Seite gestellt werden sollen, sind noch nicht überall angekommen. Das aber bedeutet, dass die Schulen erstmal auf sich gestellt sind.

Dem Vernehmen nach suchten sie ihr Heil in der Anschaffung von Ausstattung, denn laut Programm sind ausdrücklich nicht nur Personal-, sondern Sachmittelausgaben erlaubt. Das große Ziel der Leistungssteigerung via Unterrichtsentwicklung sei längst in den Hintergrund gerückt, heißt es aus beteiligten Schulen: „Hauptsache, das Geld wird irgendwie ausgegeben, bevor es verfällt“, benennt ein Lehrer aus dem „Challenge-Team“ seiner Schule das aktuelle Ziel.

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Das aber widerspricht dem Ziel von Olaf Köllers Expertenkommission, dass die Lernprozesse in den Kernfächern verbessert werden sollten, um die Chancen der Jugendlichen zu erhöhen. Die Reduzierung der „sozialen und kulturellen Ungleichheiten in den Leistungen“ sollten ebenso angegangen werden wie die Zahl der Schüler ohne Abschuss.

Fast jeder siebte Schüler ohne Abschluss

Die Fakten sind klar und wurden vom Verband der Berliner Kaufleute und Industriellen (VBKI) am Dienstag nochmals zusammengefasst:

  • Nach dem IQB-Bildungstrend 2018 erreichen 33,9 % der Berliner Schüler den Mindeststandard in Mathematik nicht, im Vergleich zu 24,3 % im Bundesdurchschnitt.
  • Der IQB-Bildungstrend 2016 verzeichnet für Berliner Viertklässler 20%, die den Mindeststandard in Deutsch nicht erreichen, verglichen mit bundesweit 12,5 Prozent der Schüler.

Dass Berlin dem Ziel einer Leistungsverbesserung nicht auf die bisher übliche Art näher kommen kann, ist bereits hinlänglich bewiesen – etwa durch das Bonusprogramm, mit dem jährlich rund 270 Brennpunktschulen gefördert werden: Seit sieben Jahren gibt es das Programm und geschätzt 100 Millionen Euro dürften dafür bislang geflossen sein – ohne dass sich die Leistungen der Berliner Schüler verbessert hätten, wie im Evaluationsbericht deutlich stand.

70 Millionen für Sprachförderung. Vieles verpufft. So war es immer.

Ähnlich verhält es sich mit den rund 1000 Stellen, die in die Sprachförderung fließen – eine jährliche Ausgabe von etwa 70 Millionen Euro: Seit der ersten Pisa-Studie von 2001 Jahren wird beklagt, dass die Sprachentwicklung der Berliner Schüler miserabel ist und dass die Sprachfördermittel vor allem als Vertretungsreserve missbraucht werden. Der damalige Bildungssenator Klaus Böger (SPD) gelobte bereits 2003 Besserung. Geändert hat sich nichts, wenn man die Ergebnisse betrachtet. Und die Schulen rechtfertigen die Zweckentfremdung mit dem hohen Krankenstand, der anders nicht zu kompensieren sei. Auch daran hat sich nichts geändert.

An Berlins Schulen gibt es eine Menge zu verbessern, aber der Löschsand landet oft an der falschen Stelle.
An Berlins Schulen gibt es eine Menge zu verbessern, aber der Löschsand landet oft an der falschen Stelle.

© Kitty Kleist-Heinrich

Während Eltern angesichts solcher Befunde von „organisierter Verantwortungslosigkeit“ im Berliner Schulwesen sprechen und resignieren, muss Köllers Expertenkommission Antworten suchen.

Wo sie sie zu finden glaubt, hatten der Kieler Forscher sowie der Berater der Kommission, der frühere Hamburger Staatsrat Michael Voges, bereits im November 2019 angedeutet: Man müsse Schulaufsicht, Schulinspektion und die Fortbildungsinstanzen „weiterentwickeln“, hieß es damals – Empfehlungen, die angesichts der Berliner Realität nicht verwundern.

Die Schulaufsicht müsste umstrukturiert werden

So fiel die Schulinspektion etwa fiel zuletzt damit auf, dass sie eine Schule mit guten Leistungsergebnissen wie die Friedrich-Bergius-Schule durchfallen ließ, während andere Schulen trotz miserabler Ergebnisse ein Schulterklopfen ernteten. Andere Bundesländer haben die Schulaufsicht bereits umgestellt, so dass sie sich nur noch auf Problemfälle konzentriert. Dem Vernehmen nach will die Bildungsverwaltung das Votum der Köller-Kommission für eine Neuaufstellung und Reduktion der Schulaufsicht nutzen.

Auch die Fortbildung und die Schulaufsicht stehen auf der Agenda

Bis heute hat sich auch die Zerstückelung der Fortbildung in das Berlin-Brandenburgische Landesinstitut für Schule und Medien in Ludwigsfelde (Lisum) und die regionale Fortbildung nicht richtig erschlossen. Dieses Konzept dürfte überarbeitet werden. Aber auch die Schulaufsicht soll nicht ungeschoren davonkommen. Sie war zuletzt etwa beim Skandal um die Tempelhofer Johanna-Eck-Schule und um die Staatliche Ballettschule und Schule für Artistik – negativ aufgefallen. Es ist die Schulaufsicht, die jetzt im Rahmen von „Berlin Challenge“ für ein „kongruentes Steuerungshandeln“ sorgen soll.

Die ausgewählten Challenge-Schulen kommen aus vier Bezirken:

  • Mitte: Miriam-Makeba-Grundschule, Herbert-Hoover-Schule, Hemingway Schule
  • Spandau: Klosterfeld-Grundschule, Robert-Reinick-Grundschule, Bernd-Ryke-Grundschule, Grundschule im Beerwinkel, B.-Traven-Gemeinschaftsschule, Schule am Staakener Kleeblatt
  • Neukölln: Rixdorfer Schule, Hans-Fallada-Grundschule, Herman-Nohl-Schule, Sonnen-Schule, Otto-Hahn-Schule, Zuckmayer-Schule
  • Marzahn-Hellersdorf: Pusteblume-Grundschule, Kerschensteiner-Schule, Konrad-Wachsmann-Schule, Wolfgang-Amadeus-Mozart-Gemeinschaftsschule.

Dem Vernehmen nach wurden Schulen sogar angesprochen, weil sich zunächst nicht genug gemeldet hätten. Letztlich war die Auswahl nicht besonders groß: Die Verwaltung ließ nur fünf Bewerber außen vor: aus Spandau die Schule an der Jungfernheide, aus Neukölln die Gemeinschafts-Schule auf dem Campus Rütli, das Ernst-Abbe-Gymnasium, die Karlsgarten-Grundschule sowie aus Marzahn-Hellersdorf die Caspar-David-Friedrich-Sekundarschule.

Ob das Votum der Expertenkommission dazu beitragen wird, dass die frischen Challenge-Millionen womöglich doch nicht für 3-D-Drucker, sondern für Mathematik- und Sprach-Coaches ausgegeben werden, ist offen.

Für Mario Czaja jedenfalls ist dieses Programm schon jetzt ein „weiteres Beispiel dafür, dass es in Berlin offenbar nicht an den finanziellen Mitteln fehlt, sondern die Gelder nicht effizient an die Schulen kommen“.

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