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Einfach mal nicht zu viel vornehmen. Für Berlin sind erwartete Enttäuschungen allemal besser als enttäuschte Erwartungen.

© TSP

Vorsätze für Berlin: Ja, mach nur keinen Plan!

Berliner sind anfällig für gute Vorsätze zu Jahresbeginn – weil sie vorher so viel in die Grütze gefahren haben. Dabei zeigt gerade das Leben in dieser Stadt, dass zu präzise Ziele nur schlechte Laune machen. Ein Aufruf zu realistischer Gelassenheit.

Manche Leute brauchen das ja. Einen Stichtag, bis zu dem alles aufgeschoben werden kann. Und nach dem dann alles besser wird. Nie wieder rauchen, nie wieder beim Essen mit dem Handy daddeln, einmal in der Woche joggen. Was wir uns eben so vornehmen oder anderen vorschreiben. Und wenn wir das Finanzamt sind, ist diese Strategie auch ganz richtig, denn das Finanzamt will ja nicht irgendwelche Kohle irgendwann mal, wenn es grad passt, sondern zehn Mille am 10. Dezember. Aber die privaten Stichtage, die für nichts gut sind als uns zum angeblich besseren Menschen zu machen – sie nerven. Es hängt eine Beratungsindustrie dran, die uns erst mit möglichen Themen zum Vornehmen quält, dann mit Tipps zum richtigen Umgang damit und schließlich mit Erklärungen, warum es auch diesmal nicht funktioniert hat und was sich dagegen beim nächsten Mal machen lässt. Der übliche Ratschlag: nicht zu viel vornehmen!

Ich bin mehr für: gar nichts vornehmen. Anständig feiern in der Silvesternacht, dann den willkürlichen, irgendwann im franko-gerontologischen Kalender festgesetzten Tag des Jahresbeginns ignorieren und auf gar keinen Fall mehr tun, als den Kater zu bekämpfen. Das Grundprinzip lautet: Erwartete Enttäuschungen sind besser als enttäuschte Erwartungen. Wir sehen das beim Flughafen BER: Immer wieder hochnotpeinliche Verschiebungen seit 2010. Ärger, Entlassungen und Untersuchungsausschüsse – all das ist ohnehin peinsam genug. Mit den ganzen Stichtagen, die nach und nach zu Makulatur werden, ist es aber noch wesentlich peinlicher. Wie vergleichsweise schön hätte es sein können, wenn die Leute drunten einfach ihre Arbeit gemacht hätten oder das, was sie dafür halten, und dann hätte am 1.Mai 2025 in der Zeitung gestanden: Fertig! Losfliegen! Gerade wir in Berlin, das behaupte ich jetzt mal nach empirischer Auswertung von drei bis vier Bürogesprächen, sind extrem anfällig für das Ausdenkenwollen guter Vorsätze. Und warum? Weil wir so schrecklich viel vorher in die Grütze fahren – trotz oder gerade wegen der vielen Vorsätze, die jedes Jahr genau daraus erwachsen. Welche für ein Jahr die richtigen gewesen wären, weiß man ja eh erst hinterher.

Erwartete Enttäuschungen sind besser als enttäuschte Erwartungen. Siehe den BER

Das zeigt sich zum Beispiel bei Mario Czaja und seinem Lageso. Was auch immer sich Czaja Anfang 2015 vorgenommen hat, es hat ihn nicht wirklich weitergebracht. Und jetzt? Mein Gott, wird er sich zwischen „Dinner for One“ und Brandenburger Tor immer wieder gefragt haben, wie krieg ich das bloß hin nächstes Jahr, wie werde ich besser? Der Müller will mich rausschmeißen, die Linken wollen mich teeren und die Grünen federn – kann ich mich da überhaupt mit einem Glas Sekt sehen lassen? Oder sollte ich mich erstmal auf lauwarmes Bier beschränken, damit der niggelige Personalrat nicht wieder…

So also verderben Vorsätze die gute Laune, das beste aller Lebenselixiere. Dabei sind sie vollkommen sinnlos. Gut: Es wird nach diesem Silvester in Berlin wieder 673 Veganer mehr geben, daran haben wir uns gewöhnt, das sollen die Leute mit sich selbst abmachen und auch nicht vergessen, an die 669 Veganer zu denken, die parallel wieder Schluss machen. Weniger essen ist auch Quatsch, Diäten nützen nichts, außer sie treffen auf dem Konto ein, das ist gesichertes Wissen. Das Gelübde, nie wieder beim Essen aufs Handy zu glotzen, nützt auch nichts, denn die anderen machen ja nicht mit, und wollen wir dann einsam und allein an die Wand glotzen?

Weniger Geld ausgeben, die private Sparquote erhöhen? Das ist, wie uns die Ökonomen tagtäglich einhämmern, auch falsch, weil es das Konsumklima lähmt – und Schäuble guckt sowieso immer schon so grämlich. Mehr Geld ausgeben, das wäre mal ein Vorsatz, aber der zerschellt spätestens am lästigen Dispo, der auf Neujahrsriten keinerlei Rücksicht nimmt.

Wir sehen also: Das hat alles keinen Sinn. Frisch rein ins neue Jahr, nach links und rechts schauen und einfach mal loslegen. Wer sich keine Ziele setzt, der kann sie auch nicht verfehlen. Das könnte sich Berlin glatt ins Stadtwappen schreiben.

Dieser Text erschien zunächst als Rant in unserer gedruckten Samstagsbeilage Mehr Berlin.

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