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Bersarin – mit Zigarette – am Tag der Berliner Kapitulation am 2. Mai 1945.

© akg-images

Vor 75 Jahren starb Nikolaj Bersarin: Dieser Mann verhalf Berlin nach Kriegsende zum Neustart

Verwaltung aufbauen, Lebensmittelverteilung regeln, Filmwesen und Theater reaktivieren: Stadtkommandant Nikolaj Bersarin fuhr Berlin wieder hoch. Er starb am 16. Juni 1945.

Mit Blumen war im Frühsommer 1945 kein Geschäft zu machen. Der Besitzer einer Marienfelder Großgärtnerei dürfte also erstaunt gewesen sein, als Mitte Juni ein von der sowjetischen Stadtkommandantur beauftragter Mann bei ihm auftauchte und Rosen verlangte. Wie viele es denn sein sollten? „Das, was Sie in zwei Stunden schneiden können.“

Das Blütenmeer war für Generaloberst Nikolaj Bersarin bestimmt: Am 16. Juni 1945 war der erste sowjetische Stadtkommandant von Berlin an der heutigen Kreuzung Am Tierpark/Alfred-Kowalke-Straße in Friedrichsfelde tödlich verunglückt. 

Eine 2005 von den Berliner Freunden der Völker Russlands gepflanzte Birke und ein vom Lichtenberger Bezirksverband der Linken aufgestellter Gedenkstein erinnern dort an den nach der Wende lange Zeit umstrittenen Toten. Viele assoziierten mit der „Russenzeit“ der ersten Nachkriegsmonate Vergewaltigungen, Plünderungen und Übergriffe. 

Dagegen standen die Bemühungen gerade Bersarins um die Reorganisation der Verwaltung und Infrastruktur, um die Versorgung der Berliner mit Lebensmitteln, ja die Neubelebung des Kulturlebens. Leistungen, die vor 20 Jahren vom Abgeordnetenhaus mit rot-rot-grüner Mehrheit mit dem Votum für eine erneute Ehrenbürgerschaft gewürdigt wurden, während die 1975 vom Ost-Berliner Magistrat beschlossene Ehrenbürgerschaft nach der Wende nicht in die Gesamtberliner Liste übernommen worden war. Gut möglich, dass eine 1999 vom Deutsch-Russischen Museum in Karlshorst ausgerichtete Bersarin-Ausstellung bei der erneuten Ehrung geholfen hat.

Als Kommandeur der 5. Stoßarmee, dessen Soldaten am 21. April 1945 als erste Berliner Boden betreten hatten, war Bersarin drei Tage später von Marschall Georgi Schukow, Oberbefehlshaber der 1. Weißrussischen Front, zum Berliner Stadtkommandanten ernannt worden.

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In der Stadt tobten da noch die letzten Kämpfe. Daher fehlt auf dem „Befehl des Chefs der Besatzung der Stadt Berlin Nr. 1“ ein exaktes Datum, steht dort nur „… April 1945“. Bersarin übernahm damit „die gesamte administrative und politische Macht“, erließ ein Verbot der NSDAP und der ihr unterstellten Organisationen, befahl den Versorgungsbetrieben, Krankenhäusern, Bäckereien und Lebensmittelgeschäften, ihre Arbeit wiederaufzunehmen, erlaubte zugleich Vergnügungsstätten, Restaurants und Kirchen zu öffnen. 

Der Befehl richtete sich aber auch an die Angehörigen der Roten Armee: Ohne Erlaubnis der Kommandanten sei „die eigenmächtige Aussiedlung oder Umsiedlung der Einwohner, Entnahme von Gütern und Werten und Haussuchungen“ verboten.

Birke und Stein. In Friedrichsfelde wird an Bersarin erinnert.
Birke und Stein. In Friedrichsfelde wird an Bersarin erinnert.

© Andreas Conrad

Bersarin habe bestimmt nichts mit den Übergriffen der ersten Nachkriegsmonate zu tun, habe vielmehr zu jenen Personenkreisen der Sowjetarmee gehört, „die sich damals bemühten, solche Vorfälle zu verhindern, das Leben recht schnell zu normalisieren“, erinnerte sich 1995 der Historiker Wolfgang Leonhard, der Ende April 1945 mit der Gruppe Ulbricht aus Moskau nach Berlin zurückgekehrt war.

Erster Schritt auf dem Weg zur Normalisierung war der Aufbau einer neuen Verwaltungsspitze: Er verlief eher improvisiert, gründete sich auf Empfehlungen, doch bereits am 19. Mai konnte Bersarin den neuen Magistrat in sein Amt einführen, mit dem Bauingenieur Arthur Werner als Oberbürgermeister.

„Die sowjetische Führung wollte die Berliner gewinnen“

Bereits am 13. Mai hatte die Stadtverwaltung unter Berufung auf einen Befehl Bersarins über die mit Lebensmittelkarten geregelte Verteilung von Nahrungsmitteln informiert. Die nach Berufsgruppen gestaffelten Mengen mögen heute gering erscheinen, die Versorgung war aber besser als in den letzten Tagen unter NS-Herrschaft und selbst in der Sowjetunion, was unter den Angehörigen der Roten Armee teilweise auf Unverständnis stieß, wie Andreas Hallen in seinem Beitrag zum Ausstellungskatalog des Deutsch-Russischen Museums feststellte. In der guten Versorgung habe aber auch Kalkül gelegen: „Die sowjetische Führung wollte die Berliner gewinnen.“

Der Befehl Nr. 8 vom 30. Mai 1945 enthielt schließlich präzise Weisungen zur Instandsetzung von Strom-, Wasser- und Gasversorgung, Kanalisation und U-Bahnverkehr, Arbeiten, die Bersarin nicht nur anordnete, sondern durch tägliche Inspektionen, oft in schlichtem Overall statt in Uniform, auch kontrollierte. 

Besonders aber hatte es ihm die Wiederbelebung der Kulturstadt Berlin angetan. Am 18. Mai wohnte er im Haus des Rundfunks in der Masurenallee dem ersten öffentlichen Rundfunkkonzert durch das Orchester des Deutschen Opernhauses bei, tags darauf traf er sich mit Gustav Gründgens, Paul Wegener und anderen, um mit ihnen über die Zukunft von Film und Theater zu sprechen. Möglich, dass Heinrich George die Haft in Sachsenhausen ohne den Tod Bersarins erspart geblieben wäre.

Am 16. Juni 1945 war dieser mit einer Ordonnanz von Karlshorst zur Stadtkommandantur in Alt-Friedrichsfelde 1 gestartet. Offiziere seines Stabes hatten dem begeisterten Motorradfahrer eine Zündapp KS 750, ein schweres Wehrmachtsgespann, geschenkt, die Bersarin an dem Morgen erstmals ausprobierte. An der Unglückskreuzung hatte ein Verkehrsposten einer Lkw-Kolonne Vorfahrt gegeben. Bersarin konnte nicht rechtzeitig bremsen, raste in einen Lastwagen. Er und sein Begleiter waren sofort tot.

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