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Klaus Wowereit am 54. Jahrestag der Beendigung der Blockade Berlins. 2003 war das.

© Kai-Uwe Heinrich

Vor 67 Jahren endete die Berlin-Blockade: Ist das Luftbrücken-Gedenken noch zeitgemäß?

Auch in diesem Jahr wieder wird an das Ende der Berlin-Blockade erinnert. Aber ist das offizielle Gedenken noch mehr als ein Ritual? Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Hermann Rudolph

An diesem Donnerstag wird mit einer Feierstunde vor dem Luftbrückendenkmal am Flughafen Tempelhof an die Beendigung eines dramatischen Kapitels der Geschichte Berlins erinnert, zum 67. Mal, wie die Einladung offenbart. Michael Müller, der Regierende Bürgermeister, vollzieht damit ein Ritual, das für Berlin einen beträchtlichen Stellenwert hat. Oder hatte?

Es ist ja nicht zu bezweifeln, dass dieser Gedenktag, Jahr für Jahr treulich begangen, inzwischen ganz schön alt geworden ist. So dass sich die Frage aufdrängt, ob und wie dieser öffentliche Akt und die mit ihm verbundene kollektive Erinnerung noch in die Stadt von heute passt. Brauchen wir ihn noch? Können wir noch etwas mit ihm anfangen?

Dabei schlagen nicht nur die bald 70 Jahre zu Buche, die zwischen dem dramatischen Ereignis und der Gegenwart liegen. Obwohl das ausreichte, an einem Gedenktag zu rütteln – das Problem wird plastisch dadurch illustriert, dass der Regierungschef, der sich der Aufgabe zu unterziehen hat, zum Zeitpunkt der Luftbrücke noch nicht geboren war, genauso wenig wie übrigens sein Vorgänger. Schwerer wiegt der Wandel der Situation der Stadt.

Das Ausharren verschaffte den Berlinen neuen Halt

Mauerfall, Vereinigung von Stadt und Land, Wiedergewinn der Hauptstadtrolle – da ist nichts mehr, was auf das alte Heldenlied vom Widerstand einer Stadt und ihrer Verbündeten verwiese. Der gesamte Resonanzboden des Gedenkens, der es durch die Nachkriegsjahrzehnte trug – Teilung, östliche Bedrohung, Kalter Krieg –, ist verschwunden. Die Blockade und ihre Bewältigung, das Leben mit Stromsperren und Trockengemüse, und ihre Beendigung sind ins Plusquamperfekt gerückt. Eine historische Kraftprobe ist zur vollendeten, abgeschlossenen Vergangenheit geworden. Es ist die Gegenwart der Stadt, die das Heute vom gestern trennt – glücklicherweise.

Andererseits ist der Rang des Ereignisses ganz unbestreitbar. Das dramatische Jahr 1948/1949, die als tollkühn bis unmöglich geltende Anstrengung der Versorgung einer ganzen Stadt aus der Luft und das Ausharren der Bevölkerung bei schmalen Rationen und anhaltendem Nervenkrieg, verschaffte den Berlinern in dieser chaotischen Nachkriegslage in Deutschland und Europa einen ersten Halt. Das betrifft die hoch angespannte politische Situation, aber auch die psychisch-symbolischen Folgen ihrer Bewältigung: mit einem Mal begriffen Sieger und Besiegte, dass sie gegenüber der sowjetischen Bedrohung in einem Boot saßen, wurde West-Berlin zum Eckstein der westlichen Welt, gewann die Halb-Stadt ihre historische Rolle, die deutsche Frage und mit ihr die europäische Lage offen zu halten. Kann man sagen, die dramatische Aktion stand am Anfang der Geschichte, die 40 Jahre später mit dem Umbruch 1989 endete? Die berlinische Verknappung in Anspruch genommen: Man kann.

Gewiss, dieser Gedenktag würde auf die Dauer zur reinen, ermüdenden Routine, wenn er für das stände, was der Philosoph Nietzsche, als er über den Nutzen und den Nachteil der Historie für das Leben nachdachte, die „antiquarische“, also um sich selbst kreisende Geschichte nannte. Michael Müller hat im übrigen in seiner letztjährigen, ersten Rede zum Blockade-Ende die Erinnerung durchaus aktuell gedeutet, indem er sie mit dem Gebot der Hilfe für Flüchtlinge und Asylsuchende verband.

Das Ende der Blockade war eine Art Ende des Krieges

Allerdings bleibt fraglich, ob solche Aktualisierung ausreicht, die Erinnerung lebendig zu halten. Man wird beispielsweise schon darüber nachdenken müssen – ohne gleich ein Sakrileg darin zu vermuten –, ob dieser Tag vor allem zu runden Daten in großem Rahmen zelebriert werden sollte. Die Feier zu 50 Jahren Luftbrücke 1998, mit der Beschwörung des „Geistes von Berlin“ durch den amerikanischen Präsidenten Bill Clinton auf dem Tempelhofer Rollfeld, war ein Beispiel für die motivierende Kraft, die von der Anlehnung an das Dezimalsystem ausgehen kann.

Aber auch dieser Tag liegt mittlerweile bald 20 Jahre zurück, bei dem Veränderungstempo von Stadt und Welttheater eine halbe Ewigkeit, und es ist ein anderer Geist, der heute in Berlin weht, in Tempelhof und anderswo. Ob ein Gedenkakt leistet, was er soll, nämlich die Vergegenwärtigung entscheidender Kapitel eines Stadtschicksals, hängt deshalb vor allem von der Stadt selbst ab.

Die vergangene Zeit ist da auch nur ein Faktor, nicht weniger wichtig ist ihre mentale Verfassung – ihre Fähigkeit, ihre Bereitschaft zur Erinnerung. Die Frage, ob und wie Berlin sich an die dramatischen Monate erinnern sollte, in denen hier die Zukunft Europas auf der Waage lag, sind eine Probe darauf, wie es um die Erinnerungskultur in dieser Stadt bestellt ist. Weshalb begehen Engländer und Franzosen Jahr für Jahr am 11. November noch immer unter breiter Anteilnahme das Ende des Ersten Weltkriegs? Eine Art Ende eines Krieges war das Ende der Blockade auch.

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