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Die Schauspieler sind auf kleinen Inseln in einem Meer aus Kerzen verteilt. Die Besucher wandeln von Station zu Station.

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Von Prinzen, Narren und Träumern: Berliner Theater öffnet „Lichterlabyrinth“ auf dem Tempelhofer Feld

Tausende Kerzen und märchenhafte Figuren: Eine Theaterinstallation bespielt derzeit das Tempelhofer Feld. Sie handelt von großen Reisen und von Versöhnung.

Ein Prinz, der kein König werden will. Eine Vogelfrau, die von einer Leiter aus eine Ballade über das Fliegen vorträgt. Eine Frau, die zwischen stehengebliebenen Uhren lebt. Ein Lampenträumer, der zwar von einem Land weiß, aber den Weg dorthin nicht kennt. Diese Figuren haben einen Traum und suchen nach seiner Verwirklichung.

Mit der Theaterinstallation „Die große Reise“ zeigen Bille und Stefan Behr vom Theater Anu poetische Figuren, die ihren Weg gehen. Inmitten von Windungen aus 3500 Kerzen begegnen Zuschauer auf dem nächtlichen Tempelhofer Feld diesen märchenhaften Gestalten.

Das „Lichterlabyrinth“ sei dabei ein Symbol für die Lebensreise, die Figuren verkörperten menschliche Archetypen, sagt die 39-jährige Bille Beer. An den kommenden beiden Wochenenden können sich Besucher durch diesen Irrgarten aus Lichtern bewegen.Bereits seit mehreren Jahren bespielt das Theaterensemble das ehemalige Flugfeld und auch diese Inszenierung ist nicht das erste Mal zu sehen.

„Die große Reise ist unser ältestes Baby“, sagt die Theatermacherin Bille Behr, „die Figuren werden wie ein Wein immer besser.“ So entwickeln sich Figuren und Schauspieler des Ensembles gewissermaßen gemeinsam weiter. Manche begleiten die Beers schon seit über zehn Jahren.

Das Theater Anu hat Stefan Behr 1998 im hessischen Heppenheim gegründet, 2004 kam seine Partnerin Bille dazu. Seit 13 Jahren hat das Ensemble seinen Hauptsitz in Berlin. Die Inszenierungen von Bille und Stefan Behr kreisen um das Verhältnis von Natur und Mensch, Licht und Schatten, zwischenmenschliche Begegnungen und Stimmungen.

Der ewige Traum vom Aufbruch

Inspiriert wurde die „große Reise“ von großen Epen, in denen ein Held aufbricht, etwa dem „Parzival“ von Wolfram Eschenbach oder Homers „Odysee“. Auf diesen Reisen wird der Held mit unterschiedlichsten Situationen, Figuren und letztlich mit sich selbst konfrontiert. Und auch dieser ewige Traum vom Aufbruch, der Veränderung und dem Ankommen wird auf dem verlassenen Flugfeld mitreflektiert.

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Wie für diese Helden und die Figuren der Behrs ist auch für die Zuschauer das Motiv der Reise bedeutend: Sie treffen auf ihrem Weg durch das Kerzenlabyrinth einen Narren, den Prinzen oder aber die Vogelfrau. Sieben Szenen spielt das Ensemble verteilt auf kleinen Inseln im Lichtermeer. Jede Szene dauert 15 Minuten und wird dann wiederholt. In kurzen Abständen lässt der Narr, der Wächter des Labyrinths, neue Zuschauer hinein.

Welt und Menschheit versöhnen

Mit dieser Form des Spielens versuche das Theater Anu, poetische Welten zu erschaffen, die Raum geben sollen für die Versöhnung des Menschen mit der Welt, sagt Bille Behr. Die Theatermacher verbinden dabei eigene Musikkompositionen mit dem Spiel der Darsteller, brennende Kerzen mit der Dunkelheit. Die Fantasiewelten sollen stets im urbanen Raum, in der Öffentlichkeit entstehen.

Theatermacherin Bille Behr will mit ihren Inszenierungen eine „Atmosphäre der Verbundenheit“ herstellen.
Theatermacherin Bille Behr will mit ihren Inszenierungen eine „Atmosphäre der Verbundenheit“ herstellen.

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„Wir möchten in dieser Inszenierung Nähe durch Distanz herstellen“, sagt die Theatermacherin und verweist dabei auch auf die Corona-Pandemie. Eine Umarmung mit den Darstellern, das Weitergeben eines Koffers oder einer Feder sei diesen Sommer zwar nicht möglich. „Aber der Kontakt beginnt mit den Augen“, sagt Bille Behr. Im Grunde gehe es darum, eine „Atmosphäre der Verbundenheit“ herzustellen.

Der Theaterbesuch als Auszeit von der Pandemie

Bei vergangenen Vorstellungen habe sie das Bedürfnis des Publikums gespürt, einmal eine Pause von den Beschränkungen der Corona-Pandemie zu machen. „Die Menschen haben ein Begehren nach seelischer Nahrung, nach Verbundenheit und Narration“, sagt Bille Behr. Pathetisch fügt sie hinzu: „Und hier auf dem Tempelhofer Feld habe ich das Gefühl, dass man die Erdkrümmung, den Kosmos erahnen kann.“

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So harmonisch wie ihre Theaterwelten seien die vergangenen Monate für das frei arbeitende Ensemble nicht gewesen, sagt Bille Behr. Wirtschaftlich sei die Zeit des Lockdowns schwierig gewesen. Die meisten Projekte hätten nicht verwirklicht werden können, Vorstellungen mussten abgesagt werden.

Das Ensemble sei wie eine große Familie und „eine große Familie bedeutet große Sorgen“, sagt die Künstlerin. „Aber wir sind die letzten, die den Kopf in den Sand stecken“, sagt sie. Wie die Berliner Zuschauer diesen Sommer die Inszenierung wahrnehmen werden? „Ich schätze, dass sie dieses Jahr noch bedachter durch das Labyrinth gehen werden“, sagt Behr. Vom 5. bis 8. August und 12. bis 15. August jeweils ab 21.15 Uhr. Weitere Informationen und Tickets (28, erm. 18 €) gibt es hier.

Felicia Klinger

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