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Das kommt ihr irgendwie seltsam vor. Miss Marple (Margaret Rutherford, li.) schöpft in "Der Wachsblumenstrauß" Verdacht.

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Von Kommissar Maigret zu Miss Marple: Bei Erbschaft Mord

In Kriminalromanen und -filmen steht am Anfang der verbrecherischen Handlung häufig ein Testament

Eine der ersten Erbschleichereien der Menschheitsgeschichte ist im Alten Testament dokumentiert, gleich am Anfang, im 1. Buch Mose, 25. Kapitel. Die Beteiligten: Erzvater Isaak und seine beiden Söhne, der Erstgeborene Esau und der jüngere Jakob. Esau war passionierter Jäger, kam oft mit Kohldampf nach Hause, so auch an einem Tag, als Jakob gerade gekocht hatte. Laut Luthers Übersetzung war es ein rotes Linsengericht. Offenbar sah es appetitlich aus und duftete gut, und so bat Esau um einen Teller voll, den Jakob auch zu geben versprach - gegen das Erstgeburtsrecht. An sich eine Unverschämtheit, doch Esau war einverstanden, beschwor es sogar. „Da gab ihm Jakob Brot und das Linsengericht, und er aß und trank und stand auf und ging davon.“

Erbrechtlich wäre solch ein Vorgang heute belanglos, die Position als Erstgeborener verschafft keine Vorteile mehr. Aber die im Buch der Bücher festgeschriebene Geschichte bietet doch ein frühes Beispiel der Probleme, die das Thema Erbschaft mit sich bringen kann und oft genug gebracht hat, im Großen wie im Kleinen. Allein 20 militärische Auseinandersetzungen verzeichnet Wikipedia unter dem Stichwort „Erbfolgekrieg“. Und wie oft führen Streitigkeiten in Erbengemeinschaften zum Zerfall familiärer Bindungen, münden in Verleumdungen, Prozessen, mitunter gar Betrug und Mord.

Eine unerfreuliche Nebenwirkung der erblichen Übertragung von Eigentumsrechten, doch andererseits auch ungemein unterhaltsam, nicht nur bei Lektüre des biblischen Falls Esau, dessen Dusseligkeit amüsiertes Kopfschütteln auslöst. Ja, man kann sagen, dass die Literatur- und die von ihr oft abgeleitete Filmgeschichte ohne den Handlungsfaktor Erbschaft erheblich ärmer gewesen wäre.

Selbst Lucky Lukes Hund Rantanplan ist als Erbe gefährdet

Ungezählt die Liste der Kriminalromane und verwandter Druckwerke, die sich um Erblasser und Erbnehmer in den unmöglichsten, juristisch fragwürdigen Konstellationen drehen. Nicht mal Lucky Lukes Begleiter Rantanplan, der dümmste Hund des Wilden Westens, ist davor sicher, würde doch die ihm in Heft Nr. 53 unverhofft zugefallene Riesenerbschaft im Falle seines Todes an Joe Dalton weitergereicht werden. Klar, dass der Erzschurke, unterstützt durch seine drei Brüder, da nachzuhelfen versucht.

Solch ein Plan muss misslingen, denn Rantanplan darf nicht sterben, wie auch in Robert Louis Stevensons Roman „Entführt. Die Abenteuer des David Balfour“ schon aus literarischen Gründen der Mordversuch scheitern muss, mit dem sich der tückische Onkel Ebenezer seines Neffen, des Titelhelden und rechtmäßigen Erben des Familienlandguts, zunächst zu entledigen sucht. Anderenfalls hätte sich Stevenson die ganze folgende, Mitte des 18. Jahrhunderts spielende Geschichte samt der titelstiftenden Entführung auf der Brigg „Covenant“ und Davids Flucht durchs schottische Hochland sparen müssen. Apropos Stevenson: Geht es nicht schon in seiner „Schatzinsel“ um eine Erbschaft, um die vom Seeräuber Flint zusammengerafften Reichtümer, die herrenlos auf einem einsamen Eiland herumliegen, bestimmt für den, der sie als erster zu fassen kriegt?

Freu dich nicht zu früh. Noch glaubt Dickie Greenleaf (Jude Law, li.) in Mr. Ripley (Matt Damon) einen Freund gefunden zu haben. "Der talentierte Mr. Ripley" (1999) war bereits die zweite Verfilmung des Romans von Patricia Highsmith.
Freu dich nicht zu früh. Noch glaubt Dickie Greenleaf (Jude Law, li.) in Mr. Ripley (Matt Damon) einen Freund gefunden zu haben. "Der talentierte Mr. Ripley" (1999) war bereits die zweite Verfilmung des Romans von Patricia Highsmith.

© imago images/Everett Collection

Juristisch mag das Erbrecht weder bei den Schatzsuchern um Jim Hawkins noch bei den Piraten um Long John Silver gegriffen haben. Und unter heutiger Sicht wäre so ein Fall wohl „eine der billigen Sensationsaffären, bei denen ein Konzernanwalt, der Wert auf guten Ruf legte, zahlen würde, um sie nicht übernehmen zu müssen“. Einer wie der Schneider- Johnson-Fall, den George Carey, in Eric Amblers Roman „Schirmers Erbschaft“ junger Sozius in der Firma Lavater, Powell und Sistrom in Philadelphia, dann aber doch übernehmen muss. Ein Fall um ein Riesenvermögen ohne bekannten rechtmäßigen Erben, dessen Verwicklungen mit der Desertion des Sergeanten Franz Schirmer von den Ansbacher Dragonern nach der Schlacht von Preußisch-Eylau 1807 beginnen und sich bis ins nördliche, vom Bürgerkrieg zerrissene Griechenland um 1949 hinziehen. Erst dort kann Carey den rechtmäßigen Erben aufstöbern, einen ehemaligen, nun bei kommunistischen Partisanen kämpfenden Feldwebel der Wehrmacht. Der schlägt das Erbe aber aus, zugunsten des nun als Erbnehmer profitierenden Bundesstaates Pennsylvania.

Keiner will das Schirmers Erbe

Der späte Nachfahre des Sergeanten Schirmer, darin eine literarische Ausnahmefigur, erliegt also nicht dem verführerischen Reiz, den solch ein Erbe, ein bereitstehendes oder erst herbeizuführendes, darstellt. Ganz anders da der talentierte Mr. Ripley in Patricia Highsmiths gleichnamigen Roman: ein skrupelloser Glücksritter, der Dickie Greenleaf, den haltlosen Sohn eines schwerreichen amerikanischen Werftbesitzers, mit vermeintlicher Freundschaft umgaukelt, ihn ermordet, dessen Identität übernimmt, dann Dickies Selbstmord vortäuscht und das Testament fälscht, selbstverständlich zu seinen eigenen Gunsten. Und so haarsträubend es auch klingen mag: Er kommt durch, und Patricia Highsmith kann vier weitere Ripley-Romane folgen lassen.

Ebenso unmoralisch, doch ohne Mord läuft dagegen die Erbschleicherei ab, die George Simenon berühmter Kommissar in „Maigret und der verstorbene Monsieur Gallet“ als Vorgeschichte des vermeintlichen Mordfalls aufzudecken vermag. Der betrügerische Handlungsreisende Émile Gallet heißt eigentlich Tiburce de Saint-Hilaire, ein verarmter französischer Adliger, dem einst ohne sein Wissen eine große Erbschaft bevorstand. Der wahre Gallet dagegen, ein Betrüger, Hallodri und Frauenheld, wusste es besser, kaufte dem mittellosen Schlossherrn Namen und Identität ab, lebte dank der tatsächlich erfolgten Erbschaft in Saus und Braus, während der eigentliche Erbe zum armen Gallet absank.

Zum Glück liegt beim Mordversuch eine Schere bereit

Ohne Erbschaften und ihre Folgen hätten Krimifans also auf viele spannende Geschichten verzichten müssen. Für den Film gilt das nicht weniger. Ja, oft haben die einschlägigen Bücher auch den Weg ins Kino gefunden, aber zwingend ist dieser Ursprung nicht. Man denke nur an Alfred Hitchcocks „Bei Anruf Mord“, in dem Grace Kelly fast einem von ihrem geldgierigen Ehemann initiierten Mordanschlag zum Opfer fällt. Zum Glück liegt eine Schere bereit.

Doch weichen Romanverfilmungen ohnehin oft von der Vorlage ab. Während Anthony Minghella in „Der talentierte Mr. Ripley“ Patricia Highsmith weitgehend getreu folgt, mit Matt Damon als unmoralischer Tom, wurde ihr in René Cléments „Nur die Sonne war Zeuge“ von Alain Delon gespielter Mörder zum Schluss doch noch überführt, als die Leiche seines Opfers überraschend auftaucht.

Verbrechen mit Tücke. An sich wollten Miss Marple (Margaret Rutherford) und Mr. Stringer (Stringer Davis) bei Mr. Enderby nur Spenden sammeln. Doch da taumelt ihnen der Hausherr buchstäblich zu Tode erschreckt entgegen. Auch dieser Fall aus „Der Wachsblumenstrauß“ von 1963 wird von der schrulligen Amateurdetektivin gelöst.
Verbrechen mit Tücke. An sich wollten Miss Marple (Margaret Rutherford) und Mr. Stringer (Stringer Davis) bei Mr. Enderby nur Spenden sammeln. Doch da taumelt ihnen der Hausherr buchstäblich zu Tode erschreckt entgegen. Auch dieser Fall aus „Der Wachsblumenstrauß“ von 1963 wird von der schrulligen Amateurdetektivin gelöst.

© imago images/M. Evans

Sogar den Austausch der den Fall lösenden Hauptfigur haben Erbschaftskrimis beim Wechsel auf die Leinwand gut überstanden. In Agatha Christies Roman „Der Wachsblumenstrauß“ klärte Superhirn Hercule Poirot den Fall, in der gleichnamigen Verfilmung ist es Margaret Rutherford als Miss Marple. Wieder beginnt es mit Mord, ein schwerreicher Eigenbrötler wird auf perfide Weise zu Tode gebracht. War es einer aus der geldgierigen Verwandtschaft? Der Erblasser traute ihr offenbar allerhand zu, wie aus dem Testament zu erahnen ist: „Das hinterlassene Geld ist sofort allen betreffenden Parteien auszuzahlen, in der Hoffnung, das es sie alle so unglücklich wie nur möglich machen werde.“ Der Zank ums Erbe kann beginnen.

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