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Radfahrer haben für diese Konstruktion einen Namen: Felgenknicker. Wer sein Vorderrad ruinieren möchte, dies ist die Gelegenheit. 

© Jörn Hasselmann

Von Felgenknickern und Kreuzberger Bügeln: Berlin hat kein Fahrradparkhaus, aber viele schlechte Ständer

Das Mobilitätsgesetz fordert 100.000 sichere Fahrradständer in Berlin. Niemand weiß, wie viele es gibt. Ein Streifzug zu den dümmsten Ständern der Stadt. 

Ein Fahrradparkhaus zu bauen, ist offenbar komplizierter als einen Großflughafen. Seit mehr als zehn Jahren wird diskutiert, werden immer wieder neue Standorte genannt. Passiert ist – nichts. Gar nichts. 

Die letzte Ankündigung stammt aus Charlottenburg. Am Stuttgarter Platz plant der Bezirk nun ein dreistöckiges Fahrradparkhaus – als Anhängsel an den dringend gewünschten Fixraum für Drogensüchtige. Stadtrat Oliver Schruoffeneger (Grüne) begründete den Plan so: „Die vielen Räder, die zurzeit mangels offizieller Abstellmöglichkeiten an Laternen und Verkehrszeichen angeschlossen werden, finden endlich einen sicheren Platz, an dem sie nicht stören.“

Allein für das Bebauungsplanverfahren kalkuliert das Bezirksamt zwei bis drei Jahre.

Sehr viel Zeit wird auch auf Landesebene noch verstreichen: Der Senat hat wenige Tage vor Weihnachten eine "Machbarkeitsstudie" zu mehreren Fahrradparkhäusern mit 500 bis 2000 Plätzen an Berliner S- und U- Bahnhöfen ausgeschrieben. "Sofern die Machbarkeit gegeben ist, wird optional ein Betreiberkonzept mit Bedarfsplanung erarbeitet", heißt es in dieser Ausschreibung. Wann gebaut wird, steht nicht drin. Das Mobilitätsgesetz aus dem Jahr 2018 fordert 100.000 sichere Fahrradständer in Berlin.

Wie viele Ständer es gibt, ist unklar. Wegen des stadtweiten Mangels werden Räder an alles gekettet und geschlossen, was stabil ist. Ein Überblick:

Felgenknicker gibt es auch montiert an die Wand, hier in der Babelsberger Straße in Wilmersdorf.
Felgenknicker gibt es auch montiert an die Wand, hier in der Babelsberger Straße in Wilmersdorf.

© Jörn Hasselmann

Felgenknicker. Kluge Fahrradfahrer benutzen die Dinger nicht - wegen der Diebstahlsgefahr. Es lässt sich ja nur das Vorder- oder Hinterrad anschließen - den Rahmen kann ein Dieb einfach wegtragen. Dennoch stellen Ladenbesitzer sie auf den Gehweg, Schulen schrauben sie an die Fassade. Bezirksämter stellten größere Exemplare auf, aber nur wenn irgendwo zwischen parkenden Autos ein Plätzchen frei ist. 

Die "offizielle" Bezirksamtsversion des Felgenknickers, hier an der Ansbacher Straße in Schöneberg.
Die "offizielle" Bezirksamtsversion des Felgenknickers, hier an der Ansbacher Straße in Schöneberg.

© Jörn Hasselmann

Felgenknicker gibt es auch aus Holz, was zwar nachhaltig ist, aber gar kein Anschließen mehr ermöglicht.

Zurück in die Innenstadt: Trotz der Vorschrift in der Bauordnung nach "guten" Ständern finden sich auch in teuer sanierten Altbauten oder hochwertigen Neubauten ganz fiese Exemplare. Beliebt sind derzeit Wendel, gerne aus Edelstahl, die eher wie Kunst am Bau wirken. 

Öko-Knicker aus einem Baumstamm, irgendwo am Mauerradweg.
Öko-Knicker aus einem Baumstamm, irgendwo am Mauerradweg.

© Jörn Hasselmann

Als sicherste, beste und günstigste Möglichkeit ein Rad anzuschließen, gilt eigentlich der so genannte Kreuzberger Bügel. Designer schaffen es dennoch, die Idee zu verhunzen. An scharfen Kanten verkratzt der Fahrradlack. Und wenn der Bügel zu kurz ist, halten vor allem Damenräder ohne Querstange nicht. 

Perfektioniert wurde der Irrsinn am Bahnhof Südkreuz. Hier wurden eckige Pfosten montiert, die für Damenräder völlig ungeeignet sind. Durch die kleine Öffnung oben passt auch nicht jedes Schloss. 

Architektens Traum: Die scharfen Ecken zerkratzen den Lack und zu kurz ist die Konstruktion auch. Barbarossaplatz in Schöneberg
Architektens Traum: Die scharfen Ecken zerkratzen den Lack und zu kurz ist die Konstruktion auch. Barbarossaplatz in Schöneberg

© Jörn Hasselmann

2013, also vor mehr als sieben Jahren, hatte das Abgeordnetenhaus den Senat aufgefordert, sich für mehr Fahrradabstellplätze, vor allem an Bahnhöfen, einzusetzen. An allen Berliner Bahnhöfen sieht es weiterhin chaotisch aus. Da Ständer fehlen wird jeder Briefkasten und jede Laterne zweckentfremdet. 

Der Standardständer am Bahnhof Südkreuz: Damenräder halten nicht an dem Pfosten und kippen um. 
Der Standardständer am Bahnhof Südkreuz: Damenräder halten nicht an dem Pfosten und kippen um. 

© Jörn Hasselmann

Der erste Eintrag zum Stichwort "Fahrradparkhaus" in Berlin datiert im Tagesspiegel-Archiv aus dem Juli 2008. Damals konnte sich die Verwaltung eine solche Anlage unter dem Bierpinsel in Steglitz "vorstellen". Passiert ist nichts. Kurz nach Eröffnung des Hauptbahnhofs 2006 stellten Radfahrer erstaunt fest, dass es kaum Ständer gibt.

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Seitdem wird immer wieder auch der Hauptbahnhof als Standort für ein Parkhaus genannt. Passiert ist, natürlich, nichts. Vergrößert wird der Mangel durch fehlende Pflege. Niemand fühlt sich in der Stadt zuständig, Schrotträder zu beseitigen. An manchen Ecken des Hauptbahnhofs ist jedes zweite Rad eine Leiche. Das sieht auch hässlich aus und erhöht das Gefühl der Unsicherheit. 

Angesichts fehlender Ständer sind Laternen beliebt. Das Ergebnis, ebenfalls am Südkreuz
Angesichts fehlender Ständer sind Laternen beliebt. Das Ergebnis, ebenfalls am Südkreuz

© Jörn Hasselmann

Ähnlich wie am Hauptbahnhof sieht es an allen großen Stationen aus. Ein Fahrradparkhaus gibt es nirgendwo. Mittlerweile haben mit Potsdam, Bernau und Oranienburg drei Städte in Brandenburg Fahrradparkhäuser an Bahnhöfen.

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In Holland oder der Schweiz sind sie mit teilweise mehreren tausend Plätzen längst Standard. Die bis 2016 SPD-geführte Verkehrsverwaltung kündigte 2014 den Bau zweier Parkhäuser am S-Bahnhof Mexikoplatz und am U-Bahnhof Krumme Lanke für 2015 an. Dann wurden Ostkreuz, Gesundbrunnen und Zehlendorf genannt. Gebaut wurde nichts. 

Auch der berühmte, perfekte "Kreuzberger Bügel" wird sinnlos, wenn niemand die Fahrradleichen entfernt. Irgendwann wächst Unkraut drüber. 
Auch der berühmte, perfekte "Kreuzberger Bügel" wird sinnlos, wenn niemand die Fahrradleichen entfernt. Irgendwann wächst Unkraut drüber. 

© Jörn Hasselmann

Unter den Linden, am Anfang Dezember eröffneten Umsteigebahnhof zwischen U5 und U6, wurden auf dem Mittelstreifen zahlreiche Kreuzberger Bügel aufgestellt. Es geht also. Vor einigen Jahren, bei der Umgestaltung der Tauentzienstraße waren Fahrradständer ganz einfach vergessen worden

Wenn sich Bezirke nicht mehr kümmern, sieht es schnell so aus wie am Bahnhof Schöneweide. 
Wenn sich Bezirke nicht mehr kümmern, sieht es schnell so aus wie am Bahnhof Schöneweide. 

© Jörn Hasselmann

Derzeit soll es berlinweit 30.000 Plätze bei BVG und Bahn geben. Die Bahn hatte im Sommer dieses Jahres die Abstellanlagen an 76 S-Bahnhöfen mit Platz für 8144 Fahrräder an das Land Berlin übergeben. Zuvor hatte der Senat die Erstellung der Anlagen finanziert, die DB die Flächen zur Verfügung gestellt und die S-Bahn Berlin hat für Planung, Errichtung, Instandhaltung und Reinigung gesorgt.

Studie verdeutlicht Radparkplatz-Mangel

2019 hatte die Verkehrsverwaltung ein Planungsbüro beauftragt, die Situation bei Bahn und BVG zu ermitteln: Ergebnis: Für 160 Stationen im gesamten Stadtgebiet liegen die Ergebnisse vor. Sie zeigen, dass an vielen Stationen schon heute die Abstellmöglichkeiten nicht ausreichen. Und da immer mehr Bürger*innen aufs Fahrrad steigen, werden an nahezu allen untersuchten Stationen bis 2030 deutlich mehr Stellplätze benötigt:

An 90 Stationen werden zusätzlich Abstellanlagen von mittlerer Größe (100 bis 500 Fahrräder) gebraucht. An 15 Stationen ist bis 2030 "eine deutlich höhere Nachfrage von zusätzlich 500 bis zu mehr als 1000 Plätzen erkennbar", teilte "Infravelo" mit, das ist eine landeseigene Gesellschaft, die sich um den Radverkehr kümmern soll. Gezählt wurden Ständer und Räder bislang an 160 von 280 Bahnhöfen, die Ergebnisse sind im Internet veröffentlicht. Die Zahlen für die restlichen 120 Bahnhöfe sollen bald folgen. Fazit der Infravelo: "Fahrradparkhäuser könnten hier die Lösung sein."

Sichere Abstellanlagen sind wichtig, um das Massendelikt Fahrraddiebstahl in den Griff zu bekommen, heißt es seit Jahren beim ADFC und der Polizei.

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