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Daniel Kämpfe-Fehrle in seinem Büro im Roten Rathaus. Er koordiniert die Online-Beteiligungsplattform „meinBerlin“.

© Doris Spiekermann-Klaas

Von Fahrradbügel bis Begegnungsgarten: Über „meinBerlin“ können Berliner ihren Kiez online mitgestalten

Was leistet die Online-Plattform „meinBerlin“ für die Entwicklung der Stadt? Und ist sie repräsentativ? Über den Wert digitaler Bürgerbeteiligung.

Von zu Hause aus mitreden, wie die Stadt sich verändert – nicht erst seit der Corona-Pandemie versucht Berlin, das zu ermöglichen. Am 31. August 2015 ging die Website „meinBerlin“ online. Dort können Bürgerinnen und Bürger über einen Spielplatz im Monbijou-Park, die Zukunft des Nikolaiviertels oder den Einzelhandel in Charlottenburg diskutieren. Sogar einen Fotowettbewerb für Moabit gibt es.

Was macht ein Fotowettbewerb auf der Beteiligungsplattform? „Es geht darum, eine Bindung mit den Leuten vor Ort aufzubauen“, erklärt Daniel Kämpfe-Fehrle.

Als „Referent für E-Partizipation“ koordiniert er „meinBerlin“ für die Senatskanzlei und weiß, welche Formen der Beteiligung am meisten genutzt werden. „Am besten funktionieren ortsbezogene Projekte mit Karten. Da kann jeder sagen, hier muss dies, dort muss das hin. Die Leute kennen ihren Ort. Bei strategischen Vorhaben ist es schwieriger.“

600 Projekte, 5000 Ideen und 16 500 Kommentare gibt es inzwischen auf der Plattform, deren Entwicklung, Umsetzung und Betrieb seit 2014 rund 2,2 Millionen Euro gekostet hat.

Die Zahl der Beteiligungen erscheint zwar hoch, aber im einzelnen Projekt beschränkt sie sich oft auf wenige Stellungnahmen. Eine Handvoll Daumen hoch oder runter, ein paar Kommentare. Zur Verdeutlichung: Seit dem Start der Plattform im Sommer 2015 haben die rund 3,7 Millionen Berlinerinnen und Berliner pro Tag mit steigender Tendenz im Schnitt acht bis neun Kommentare auf der Plattform abgegeben.

„Wir bekommen Rückmeldungen, wie qualifiziert die Beiträge sind“

Kämpe-Fehrle ist dennoch zufrieden damit, wie sich meinBerlin entwickelt hat: „Wir bekommen Rückmeldungen, wie qualifiziert die Beiträge sind. Aber wir erhoffen uns natürlich noch mehr Kommentare.“ Man solle das Angebot nicht nur an der Beteiligung der 16 000 registrierten Nutzer messen, auch über Informationen könne man viel erreichen.

Wer die Seite besucht, kann mittels Karte und Liste nach laufenden Projekten suchen. Diese lassen sich filtern, so können Nutzer etwa nach dem Thema Integration in Mitte oder Bildung und Forschung in Spandau suchen. Eine Möglichkeit, viel diskutierte oder zeitnah endende Projekte anzeigen zu lassen, fehlt. Grundsätzlich gibt es zwei Kategorien, die aber gestalterisch nicht getrennt sind: die „formelle“ und die „informelle Beteiligung“. Erstere kommt mit sperrigen Titeln wie „Bebauungsplan II-187“ daher und will nicht mehr als ihre gesetzliche Pflicht zu erfüllen, nämlich entstehende Bebauungspläne zu veröffentlichen.

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Die informelle Beteiligung versucht sich hingegen daran, Berlinerinnen und Berliner tatsächlich anzusprechen. Die einzelnen Projekte werden von den jeweils zuständigen Berliner Ämtern erstellt. Diese entscheiden, wie Nutzer sich beteiligen können. Je nachdem können sie Vorschläge kommentieren oder per Daumen hoch oder runter bewerten, an Umfragen teilnehmen oder eigene Ideen formulieren.

Gute Erfahrungen mit dem Tool hat Matthias Rogahn gemacht, Radverkehrsplaner aus dem Bezirksamt Pankow. Ende November lief ein Beteiligungsprojekt aus, in dem gefragt wurde, wo es im Bezirk neue Fahrradbügel braucht. Bürgerinnen und Bürger konnten auf einer Karte Markierungen setzen und ihre Wahl begründen – etwa mit einem Park oder einer Schule in der Nähe. „Wir haben über 600 Ideen bekommen, damit sind wir sehr zufrieden.“ Die Vorschläge bringen Sicherheit in die Planung.

Von Einzeiler bis Fachvortrag

Bei der Diskussion um die Umgestaltung des Platzes der Berliner Luftbrücke in Berlin-Tempelhof reicht die Bandbreite der Kommentare von Einzeilern wie „Grüne Fahrradwege!“ bis hin zu fachlichen Abhandlungen über die Verkehrssituation rund um den Platz.

Aber können aus solchen Wortmeldungen belastbare Erkenntnisse gewonnen werden? „Wir machen keine repräsentativen Umfragen“, betont Kämpfe-Fehrle. Das liegt auch am Nutzerprofil der Plattform, das einem durchschnittlich 47,5 Jahre alten Mann mit Hochschulabschluss entspricht. Das ergab eine plattforminterne Umfrage.

In dem Profil findet sich das breite Spektrum der Berliner Bevölkerung nicht wieder. „Man kann nicht mit einem Werkzeug alle Menschen erreichen“, sagt Daniel Kämpfe-Fehrle. Man müsse auf mehreren Kanälen kommunizieren, meinBerlin sei eine weitere, niedrigschwellige Möglichkeit dafür. „Digitale Beteiligung kann niemals allein funktionieren. Es ist wichtig, auch in die Quartiere zu gehen und zum Beispiel über Kontaktpersonen die Bevölkerungsgruppen zu erreichen, deren Stimmen ansonsten nicht gehört werden“, sagt Daniel Kämpfe-Fehrle.

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Im virtuellen Maschinenraum von meinBerlin arbeitet die Open Source Software Adhocracy, entwickelt vom gemeinnützigen Berliner Verein Liquid Democracy. Dessen Vision: Eine demokratische Kultur, in der Mitgestaltung für alle selbstverständlich ist. Carolin Klingsporn, gelernte Stadtplanerin, ist Teil des Teams. Wenn sich jemand für die Software interessiert, liefert Liquid Democracy nicht nur das digitale Produkt, sondern bietet auch Schulungen zu guter Beteiligung an. „Jeder neue Input, der in ein Projekt fließt, ist ein Mehrwert“, sagt sie.

Auch eine Online-Plattform leidet unter Corona

Die Plattform meinBerlin wird Stück für Stück weiterentwickelt, Projektersteller geben konstant Feedback an Liquid Democracy, die laufend neue Beteiligungsmodule hinzufügen. Neu ist etwa die online ergänzte Offline-Versammlung. Diese kann nun live gestreamt und kommentiert werden, um die analoge und digitale Welt zu vernetzen.

[Wer sich an der Entwicklung seines Kiezes beteiligen möchte, kann dies online unter mein.berlin.de tun. Dafür ist eine Registrierung per E-Mail-Adresse notwendig, das soll die Plattform vor Missbrauch schützen.]

Aufgrund der aktuellen Pandemie muss dieses Feature allerdings noch auf seinen breiten Praxiseinsatz warten. Und sogar die rein digitale Plattform bleibt von Corona nicht verschont. Besonders im Frühjahr war die Benutzung gesunken. „Da hatten die Leute anderes im Kopf“, sagt Daniel Kämpfe-Fehrle. Inzwischen sei die Beteiligung aber wieder angelaufen.

Bereits vor der Einführung von meinBerlin gab es Beteiligungsangebote der Stadt, diese waren allerdings auf verschiedenen Seiten verstreut – meinBerlin sammelt sie auf einer Webseite. Aktuell können Berlinerinnen und Berliner dort unter anderem an einem digitalen Stadtforum „Pandemie“ mitwirken. In diesem werden am 18. Januar ab 18 Uhr die Auswirkungen der Corona-Pandemie auf die Stadtentwicklung diskutiert. Bis dahin können Themenvorschläge und Fragen an Gäste des Forums eingereicht werden.

Marian Schuth

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