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Projektleiterin Susanne Reumschüssel vor einer in Schöneweide genutzten Kabeltrommel.

© Simone Jacobius

Von Fabrik zu Museum: Wie ein Verein die Erinnerung an den Industriestandort Schöneweide aufrechterhält

Die Aktiven des Schöneweider „Industriesalons“ kümmern sich um das historische Erbe des Ortsteils. Im Programm: Museum, Stadtführungen und Ausstellungen.

Von Simone Jacobius

Schöneweide im Wandel. Wieder einmal. Von der Gründungszeit des Kraftwerks Oberspree 1897 und der folgenden Industrialisierung über die Großwerke, in denen zu DDR-Zeiten 25 000 Menschen arbeiteten, hin zu einem künstlerisch geprägten Ortsteil, in dem immer mehr Eigentumswohnungen geplant sind. Seit 2009 kümmert sich der Verein „Industriesalon Schöneweide“ darum, die Geschichte des Ortsteils nicht in Vergessenheit geraten zu lassen.

Damals machte der historische Industriestandort noch einen verwahrlosten Eindruck, geschichtsträchtige Gebäude sollten abgerissen werden. Dazu viele Arbeitslose und Neonazis. „Die Bedeutung dieser Denkmallandschaft musste erst noch entdeckt werden“, erzählt Susanne Reumschüssel vom Verein „Industriesalon“.

Samsung wollte das Gebäude des Werks für Fernsehelektronik (WF), das mit einst 9000 Mitarbeitern größte Werk Ost-Berlins, weiterverkaufen. Ein bereits in den 1980er-Jahren von Mitarbeitern aufgebautes Museum wäre somit auf dem Schrott zu landen. Schon seit dem Kauf des Areals durch Samsung 1992 moderten historische Maschinen, Fotos und Werksbücher im Keller vor sich hin.

„Der Verein bot an, das Archiv leer zu räumen und für eine neue Unterbringung zu sorgen. So hatte Samsung ein Problem weniger und wir hatten historisch wertvolle Maschinen und Dokumente in Sicherheit gebracht“, sagt Reumschüssel. Mit viel Enthusiasmus verfolgten die Vereinsmitglieder ein Ziel: das letzte Werksmuseum von Schöneweide wieder zugänglich zu machen.

„Ein einsichtiger Eigentümer stellte uns eine alte Produktionshalle zur Verfügung. Die Arbeit konnte beginnen“, sagt die Projektleiterin. Geld spielte damals keine Rolle, gab es auch nicht, alles wurde ehrenamtlich gemacht. 2011 gab es Fördermittel für die Sanierung der alten Halle, so dass nun ein „richtiges“ Museum daraus wurde, mit Heizung und Sanitäranlagen.

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Unabhängig davon strömten die Besucher bereits im ersten Jahr. Viele von ihnen hatten bis zur Schließung der Werke dort gearbeitet. Der Industriesalon bot ihnen nun einen Platz der Erinnerung – an die große Industriegeschichte wie auch an das eigene Berufsleben.

Nachdem die diversen Objekte sicher in Regalen verstaut und dokumentiert waren, begann der Verein sich der Industriegeschichte zu widmen: Welche Rolle spielte das WF in der DDR-Wirtschaft? Viele Zeitzeugen meldeten sich, wurden befragt, Dokumente ausgewertet. Herausgekommen ist ein spannender Exkurs in die Industriegeschichte.

Vielseitiges Programm für Besucher

Seit einigen Jahren bietet der Verein auch Stadtführungen durchs Viertel an. Der Blick hinter die Kulissen und der marode Charme reizen viele Besucher, die aus ganz Deutschland kommen. Neben den spannenden Touren gibt es wechselnde Ausstellungen und Zeitzeugengespräche mit ehemaligen Ingenieuren des Werkes.

Es gibt eine Bastelgruppe, in der aus altem Elektronikteilen Schmuck geschaffen wird und im Repair-Café lernt jeder, seine kaputten Elektrogeräte selber zu reparieren.

Alles ehrenamtlich selbstverständlich. Das Besucherzentrum gibt zudem einen Einblick in die Zukunft des Ortsteils – im Spannungsfeld zwischen denkmalgeschütztem Erbe und den Anforderungen an eine Smart-City.

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Der Verein setzt sich weiter für eine angemessene Nachnutzung der denkmalgeschützten Gebäude ein. Vom 10. bis 12. September gibt es ein spezielles Programm. So geht es unter anderem um DDR-Diaprojektoren. Am Sonnabend wird um 15 Uhr eine Fotoausstellung des Fotokünstlers Hitch eröffnet, anschließend gibt es eine Klanginstallation auf der Vocata.

Denn auf Anweisung der DDR-Regierung entstanden im WF auch Musikinstrumente. Die kleine Vocata war eine davon. Auch eine „Elfchenwerkstatt“ für die Familie ist geplant. Hier werden Gedichte aus elf Wörtern kreiert, das ganze soll an das „Archiv der schreibenden Arbeiter“ erinnern, von dem durch den Verein 30 000 Texte gerettet wurden.

Industriesalon Schöneweide: Reinbeckhallen, Reinbeckstraße 10, 12459 Oberschöneweide

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