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Verfallen. So sah die einstige Baracke vor dem Beginn der Sanierung aus.

© Seemann-Torras Architektur

Vom Lager zum Loft: Eine ehemalige Zwangsarbeiterbaracke wird zum schicken Eigenheim

Wo einst Zwangsarbeiter lebten, wohnen nun Familien in Designer-Ambiente. Der Fall aus Marzahn-Hellersdorf empört den SPD-Abgeordneten Sven Heinemann.

Ein Berliner Architektenbüro hat elegante Wohnungen in das Gebäude eines ehemaligen Nazi-Zwangsarbeiterlagers in Marzahn-Hellersdorf eingebaut – und damit einigen Ärger ausgelöst. Doch weil Bauflächen knapp sind in Berlin, können sich immer mehr Menschen vorstellen, in historisch belasteten Häusern oder auf entsprechend Arealen zu wohnen. „Unglaublich und geschmacklos“, findet das der SPD-Abgeordnete Sven Heinemann und fordert: Das Land Berlin müsse solche Grundstücke ankaufen, um sie dem Wohnungsmarkt zu entziehen.

Lichtdurchflutete Räume, eingerichtet mit modernen Designermöbeln: Auf etwa 380 Quadratmetern hat das Architektenbüro Seemann-Torras an der Wuhle in Marzahn-Hellersdorf zwei moderne Wohnungen geschaffen. „Das Konzept erhält den Charakter einer Baracke, ohne auf Komfort und Ästhetik für eine Familie zu verzichten“, warb das auf die Sanierung denkmalgeschützter Bauten spezialisierte Unternehmen auf seiner Website. Auf Facebook und Twitter erregte diese Formulierung den Unmut zahlreicher User. Denn in dem beschriebenen Objekt waren während des Zweiten Weltkriegs Zwangsarbeiter eingesperrt. Der Vorwurf der Kritiker: Eine Lagerbaracke zu „Luxuswohnungen“ umzubauen sei zynisch und unsensibel gegenüber den Opfern.

In den sozialen Netzen und per E-Mail habe sie viele grobe Beleidigungen erhalten, sagt die Architektin Annelie Seemann. Inzwischen hat das Büro den Text geändert und um Entschuldigung gebeten. „Aber wir stehen zu dem Projekt“, heißt es. Die Kritiker hätten den Grundgedanken missverstanden. Durch die Sanierung sei das denkmalgeschützte Gebäude vor dem Verfall bewahrt worden. Ziel sei es gewesen, trotz der schwierigen Geschichte des Hauses „etwas Positives“ zu entwickeln, so Seemann.

Die Bauherren leben inzwischen im Haus. Ihre Namen möchten beide Familien jedoch nicht in der Zeitung lesen. Sie fürchten, selbst zum Ziel von Drohungen zu werden. „Uns ist ein sensibler Umgang mit Erinnerungsorten sehr wichtig“, teilten sie dem Tagesspiegel schriftlich mit. Vor dem Kauf 2016 hätten sie sich zwar gefragt, „ob wir überhaupt in einem geschichtsträchtigen Gebäude mit schrecklicher NS-Vergangenheit wohnen wollen.“ Letztlich hätten sie sich aber für den Kauf und eine Sanierung „unter Berücksichtigung der ursprünglichen Bausubstanz“ entschieden. Die sei dann „in enger Abstimmung mit der Denkmalbehörde“ durchgeführt worden.

Das bestätigt die Bezirksbürgermeisterin Dagmar Pohle - und lobt die Arbeit des Architektenbüros. Bereits in der Planungsphase seien Landesdenkmalamt und die Untere Denkmalschutzbehörde beeindruckt gewesen von der "gelungenen Symbiose zwischen Geschichtszeugnis und moderner Wohnnutzung". Die Eigentümer seien sich "des schwierigen Erbes sehr bewusst" und bereit, "sich der Verantwortung zu stellen".

Das Grundstück ist heute umgeben von modernen Einfamilienhäusern mit gepflegten Vorgärten. 1938 befand es sich noch am Stadtrand. Damals wurde der Besitzer, der jüdische Unternehmer Felix Walter, zwangsenteignet. Die Nazis errichteten Holzbaracken, zunächst als Durchgangslager für sogenannte „Volksdeutsche“ aus Osteuropa. Ab 1940 wurden im Lager französische Kriegsgefangene interniert. Und ab April 1942 mussten dort verschleppte Zwangsarbeiter aus der Sowjetunion leben, zeitweise über 1500 Menschen. Gemäß der NS-Rassenideologie galten diese „Ostarbeiter“ als minderwertig. Sie mussten unter schwersten Bedingungen arbeiten, waren der Gewalt und Willkür ihrer Bewacher ausgesetzt. Bei einem alliierten Luftangriff brannten die Holzbaracken nieder. Danach wurden sie durch Steinbauten ersetzt. Von diesen steht heute nur noch die umstrittene einstige „Baracke 92B“.

Dass Menschen in einem solchen Gebäude leben möchten, kann der Friedrichshainer SPD-Abgeordnete Sven Heinemann nicht verstehen. In seinem Wahlkreis liegt das einstige Reichsbahnausbesserungswerk (RAW). Dort mussten die im Marzahn-Hellersdorfer Ortsteil Kaulsdorf inhaftierten Zwangsarbeiter schuften. Das Land solle die Grundstücke einstiger Lager kaufen und für die Öffentlichkeit „sichern“, sagt der Politiker und Autor lokalgeschichtlicher Bücher. Die Eigentümer sollten Ersatzgelände erhalten.

Aber das könnte teuer werden für den Steuerzahler, denn es gibt vermutlich viele solcher Objekte in der Stadt. In Berlin unterhielten die Nazis etwa 3000 Zwangsarbeiter-Unterkünfte, sagt Christine Glauning, Leiterin des Dokumentationszentrums Zwangsarbeit in Schöneweide. Neben eigens errichteten Lagern waren das auch umfunktionierte Schulen, Gaststätten oder Theater. Nur etwa die Hälfte dieser Orte ist heute überhaupt bekannt. Es gebe „erheblichen Nachholbedarf“, das Thema sei zu wenig erforscht, sagt Glauning. Das Schicksal der Zwangsarbeiter sei bis in die 1990er Jahre gar nicht wahrgenommen worden.

Ähnlich wie in Kaulsdorf wurden in der Nachkriegszeit viele der einstigen Lager anders genutzt, zum Beispiel als Werkstätten. Oder sie verfielen. Doch jetzt sind Bauflächen knapp, brachliegende Grundstücke und Ruinen werden interessant für Käufer. Mitunter stellt sich dann heraus, dass dort NS-Verbrechen verübt wurden. „Die historische Bedeutung eines Ortes wird oftmals erst erkannt, wenn ein Bebauungsplan erstellt wird“, sagt Christine Glauning vom Dokumentationszentrum. Wie mit den Relikten umgegangen werde, müsse man im Einzelfall genau prüfen.

Genau das geschieht seit etwa zwei Jahren im Steglitzer Ortsteil Lichterfelde-Süd. Dort befand sich am Landweg und an der Osdorfer Straße einst das Kriegsgefangenen-Stammlager „Stalag III D“. Dort waren ständig bis zu 2600 Menschen, vor allem französische Soldaten, eingeschlossen. Nun will die Groth- Immobiliengruppe auf dem Areal und drumherum rund 2500 Wohnungen bauen. Die Planung ist schon weit gediehen, doch parallel dazu fordern Bürger seit 2017, dass zumindest eine Baracke des früheren Lagers als „Lern- und Gedenkort“ authentisch erhalten bleiben soll.

Die Aussichten sind gut. Ende Februar dieses Jahres hat die Bezirksverordnetenversammlung Steglitz-Zehlendorf einen entsprechenden Antrag des Aktionsbündnisses Lichterfelde-Süd mit großer Mehrheit unterstützt. (mit CS)

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