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Beim Festival of Lights am Roten Rathaus präsentiert: der neue Slogan "Wir sind ein Berlin".

© Paul Zinken/dpa

„Vom Ich zum Wir“: Wo Berlins neue Werbekampagne an DDR-Propaganda erinnert

Die Begründung der neuen Markenstrategie klingt wie eine DDR-Losung. Ein Historiker findet das „im hohen Maße irritierend“, Michael Müller weist Kritik zurück.

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Mehr als ein Jahr hat die Senatskanzlei gemeinsam mit der Werbeagentur „Jung von Matt“ gefeilt, Umfragen wurden in Auftrag gegeben, Statistiken ausgewertet. 1,5 Millionen Euro hat die Erarbeitung des neuen Berlin-Slogans „Wir sind ein Berlin“ gekostet. Jetzt, nicht einmal eine Woche nach der offiziellen Präsentation beim Festival of Lights, steht er bereits in der Kritik.

Konkret geht es um den Satz „Vom Ich zum Wir“, der unter anderem in der Beschreibung des Twitter-Accounts der Stadt Berlin oder auf Seiten der Senatskanzlei auftaucht. Dort wird er als zentrale Formel für die „partizipative Markenstrategie“ und den Übergang vom alten Slogan „be Berlin“ zum neuen Spruch angeführt, der „nun stärker das Gemeinschaftliche betont“.

Derselbe Slogan war 1960 als DDR-Propaganda genutzt worden, um die Zwangskollektivierung in der Landwirtschaft zu rechtfertigen. Nachdem der Tagesspiegel darüber berichtet hatte, wollte der AfD-Abgeordnete Martin Trefzer am Donnerstag im Abgeordnetenhaus wissen, ob dem Senat der historische Kontext bekannt sei.

Der Regierende Bürgermeister Michael Müller (SPD) antwortete: „Erstens, es ist mir nicht bekannt, und zweitens glaube ich, es ist auch sehr weit hergeholt.“ Das sei „sehr bemüht konstruiert“. In der neuen Kampagne wolle man ausdrücken, dass eine solidarische Stadt vom Miteinander, vom „Wir“ lebe. „Das ist unsere Kampagne.“ Sie sei eine „gute Weiterentwicklung“, meinte Müller.

Müller: Eine Kampagne ist nicht nur eine Formulierung

Trefzer fragte nach, ob Müller auf die Erinnerungen der Opfer der DDR Rücksicht nehmen wolle. Müller antwortete, es sei ein Anliegen des Senats, „auf die Opfer der DDR-Diktatur zuzugehen und mit ihnen gemeinsam in unterschiedlichsten Gesprächsformaten zu sehen, wie ihre Situation verbessert werden kann“.

Michael Müller (SPD), Regierender Bürgermeister, in der Plenarsitzung am Donnerstag.
Michael Müller (SPD), Regierender Bürgermeister, in der Plenarsitzung am Donnerstag.

© Jörg Carstensen/dpa

Aber das „zu vermischen mit einem werblichen Auftritt der Stadt“ und zu versuchen, einen Zwiespalt zu konstruieren, fände er der Sache nicht angemessen und den Menschen gegenüber nicht redlich. „Das weise ich mit Entschiedenheit zurück.“ Im Übrigen, ergänzte er später, erstrecke sich eine Kampagne auch nicht auf eine Formulierung.

Eine „kommunistische Parole“ für die Zwangskollektivierung

Jens Schöne, Zeithistoriker und stellvertretender Beauftragter zur Aufarbeitung der SED-Diktatur beim Land Berlin, sieht das anders. Er hat zur Kollektivierung der Landwirtschaft in der DDR promoviert. „Ich finde das im hohen Maße irritierend“, sagt er.

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Schöne erklärt, es habe vor der Enteignung in der DDR 800.000 Bauernbetriebe gegeben, nach der Kampagne noch rund 2000. „Theoretisch sollte das alles freiwillig ablaufen. Die Landwirte mussten das auch unterschreiben. Tatsächlich war es aber eine konzertierte Aktion und der Weg, das Privatbauerntum zu beenden“, sagt Schöne.

Hunderttausende Bauern seien enteignet worden, viele seien anschließend in die Bundesrepublik geflohen, auch die Suizidrate in der bäuerlichen Bevölkerung sei signifikant gestiegen. Die Folgen der Enteignung und der Gründung Landwirtschaftlicher Produktionsgenossenschaften bestünden in Ostdeutschland bis heute, kleine landwirtschaftliche Strukturen gebe es kaum.

Schöne bilanziert, dass „Vom Ich zum Wir“ eine „kommunistische Parole“ gewesen sei, mit der die Zwangskollektivierung durchgesetzt wurde. „Mit Blick auf die Opfer und Folgen des Prozesses ist dieses Motto als neue Berliner Markenformel völlig ungeeignet.“

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