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Die erste Stufe nahm das Volksbegehren „Deutsche Wohnen enteignen“. Die Linke hat ihre Position gefunden, Grüne lavieren und die SPD sucht noch.

© Stefan Boness/Ipon/Imago

Volksinitiative "Deutsche Wohnen & Co enteignen": Rechtsprofessor hält Vergesellschaftung für zulässig

Joachim Wieland kommt zum Ergebnis, dass die Enteignung großer Wohnungskonzerne juristisch Bestand haben könnte - wenn angemessen entschädigt wird.

Verstößt eine "Vergesellschaftung" von Konzernen mit mehr als 3000 Wohnungen gegen die Verfassung? Der Streit um diese Forderung der Volksinitiative "Deutsche Wohnen & Co enteignen" wird wohl erst mit einem Urteil vor dem Bundesverfassungsgericht entschieden. So lange das nicht vorliegt, kommt es zum Streit der Gutachter. An diesem Mittwoch legte die Linke eine Untersuchung von Joachim Wieland vor. Er ist Professor für Öffentliches Recht, Finanz- und Steuerrecht an der Universität für Verwaltungswissenschaften Speyer. Und er ist der Vorsitzende der Vereinigung der Deutschen Staatsrechtler.

Wieland ist sich seiner Sache "relativ sicher": Das Land Berlin kann sehr wohl ein Gesetz zur Vergesellschaftung von Wohnungskonzernen erlassen, weil der Bund hier nicht tätig wurde. Berlin müsse die Firmen zwar angemessen entschädigen, das heißt aber nicht unbedingt nach Verkehrswert. Und wenn der Senat, wie die Initiative es fordert, eine Anstalt öffentlichen Rechts gründet, würde Berlin auch nicht gegen die Schuldenbremse verstoßen. Denn die Anstalt nähme die Kredite auf - und das darf sie trotz Schuldenbremse.

Verstößt gegen die Verfassung, hieß es Anfang des Jahres

Anfang des Jahres war der renommierte Rechtsprofessor Helge Sodan von der Freien Universität Berlin zum gegenteiligen Ergebnis gekommen: Ein solches Gesetz verstoße gegen die Verfassung. Wieland konterte nun: Sodan habe die Eigentumsgarantie im Grundgesetz "sehr stark gemacht" und sehe in der Vergesellschaftung einen "unzulässigen Eingriff in Eigentum". Und er leite aus der Tatsache, dass das Land Berlin selbst keine dem Artikel 15 vergleichbare Eingriffsmöglichkeit vorsehe ab, dass die Eigentumsgarantie höher gewertet werde. Wieland aber verweist darauf, dass in der Berliner Verfassung ausdrücklich das "Recht auf bezahlbaren Wohnraum" formuliert wird. Gegen Sodans Annahme spreche ferner, dass die Berliner Landesväter sogar Sozialisierungsgesetze verabschiedet hätten und deshalb darüber hinaus keine Notwendigkeit mehr für einen Vergesellschaftungsparagrafen gesehen hätten. Kurzum, "er vertritt seine Sicht, aber ich bin mir meiner relativ sicher".

Zwei Juristen, drei Meinungen

Wieland zitierte genüsslich, was der Zunft eben so nachgesagt wird: "Zwei Juristen, drei Meinungen". Wieland selbst kommt zu einem eindeutigen Urteil: Dass nämlich eine solche Vergesellschaftung "just" keine Rückkehr zum Sozialismus ist - sondern eine zur sozialen Marktwirtschaft". Und weil Wieland durchaus Freude an sanfter Provokation hat, schob er den Nebensatz ein, dass das Grundgesetz durchaus auch Sozialismus zulassen würde - denn die Gründerväter der Bundesrepublik hätten etwa die Kommunistische Partei Deutschlands überhaupt nur durch ein Zugeständnis bei der Formulierung der Verfassung davon überzeugen können, an den freien Wahlen teilzunehmen: Dass das Grundgesetz eben gerade keine Entscheidung über die Form des Wirtschaftens - ob frei oder reguliert - treffe, sondern das ausdrücklich in die Hände der Politik legt.

Rückkehr zur Sozialen Marktwirtschaft

Allerdings ist für Wieland die umstrittene Vergesellschaftung ohnehin nur "eine Rückkehr zur Sozialen Marktwirtschaft". Der Markt regle nicht alles, schon gar nicht in einer wirtschaftlichen Großwetterlage mit niedrigen Zinsen, wo die Anlage von Kapital in Wohnungen eine der wenigen Möglichkeiten biete, überhaupt noch Erträge zu erzielen. So gesehen hebe die Initiative zur Vergesellschaftung von Konzernen die "soziale Marktwirtschaft" auf den Prüfstand - "ob es wirklich eine soziale oder eine reine Marktwirtschaft ist". Wobei das "Soziale" eben voraussetze, "dass der Staat eingreift und Grenzen setzt", sagte der Rechtsprofessor. Und darin kann er sich sehr sicher sein: Erst jüngst urteilte das Bundesverfassungsgericht, dass es kein Recht auf unbegrenzte Rendite gibt - und staatliche Eingriffe wie die Mietpreisbremse daher zulässig seien.

Und was ist mit der Schuldenbremse, die ab Januar gilt, verbietet die dem Land nicht, Abermillionen an Entschädigungen für die Vergesellschaftung der Firmen zu überweisen? "Diese Annahme beruht auf der Vorstellung, wir haben eine Schuldenbremse und es dürfen keine Schulden gemacht werden. Aber das hat man nie getan." Wieland nennt das Beispiel der vom Bund gegründeten Autobahngesellschaft. "Die wurde nur deshalb gegründet, weil sie Schulden machen kann" - und der Staat das eben nicht mehr tut, weil er es nicht kann. Auf den Berliner Fall übertragen bedeutet das: Das Land gründet eine Anstalt öffentlichen Rechts, die Schulden für die Entschädigung der enteigneten Konzerne aufnimmt und dafür die Immobilien bekommt. Ob bei der Autobahngesellschaft oder dieser Anstalt, für Wieland ist das keine Umgehung der Schuldenbremse, "sondern genau so gewollt" vom Gesetzgeber.

Wer das bezahlen soll - und kann

Wird das Land aber nicht viel zu viel Geld bezahlen müssen für Immobilien, deren Preise wegen der Wohnungsnot drastisch stiegen? "Die Höhe der Entschädigung muss keinesfalls notwendig am Verkehrswert orientiert sein", sagt Wieland. Das sei bei den Urteilen des Verfassungsgericht zu Entschädigungen bei Enteignungen klar formuliert. Es gehe vielmehr um eine "gerechte Abwägung der Interessen der Allgemeinheit und der Beteiligten" an den Firmen. Wieland nennt als Beispiel für eine Entschädigung den Kaufpreis vor fünf Jahren. Denn in den vergangenen Jahren seien die Immobilienpreise so stark gestiegen, dass dieser Entwicklung "keine eigene Leistung der Wohnungsunternehmen" gegenüber stehe. Der Nebeneffekt einer so ermittelten Entschädigung: Die Banken würden diese Summen finanzieren, eben weil sie unter dem Verkehrswert bleiben.

Die Linke freut sich

Die in Mannschaftsstärke angetretenen Vertreter der Linken, die auf Plakaten "Erst der Mietendeckel, dann die Enteignung" fordern, mühten sich redlich, ihre Genugtuung zu verbergen. Berlins Fraktionschef Udo Wolf sagte auf die Frage, ob die Partei nun über weitere Vergesellschaftungen nach dem Vorbild der DDR fordern werde: "Mit uns wird es auf keinen Fall eine Rückkehr zur DDR geben - wir haben genau analysiert, woran die gescheitert ist". Das Gutachten sei "wichtig für den Meinungsbildungsprozess der Koalitionspartner" in Berlin. Die Grünen unterstützten das Anliegen zwar "dem Grund nach", aber nicht konkret auch das Volksbegehren. Und die Sozialdemokraten wollen sich erst im Herbst dazu verhalten.

Sind die Linke heute "konservativ"?

Bundestagsabgeordnete Caren Lay meinte sogar, die Vorschläge der Linken seien "fast konservativ". Sie zielten auf den Interessenausgleich, der "bis in die 1980er Jahre am Markt herrschte, bevor neoliberalen Strömungen die Gemeinnützigkeit vom Markt" gefegt habe. Es gehe um die Rückkehr zur den Grundsätzen sozialer Marktwirtschaft. Sie zielten auf den Interessenausgleich, der "bis in die 1980er Jahre am Markt herrschte, bevor neoliberalen Strömungen die Gemeinnützigkeit vom Markt" gefegt habe.

Und Carola Blum, Fraktionschefin der Berliner Linke, berichtete über erste Vorarbeiten zur Vergesellschaftung: Dass sie bei den Amtsgerichten um eine Übersicht der Bestände der Deutschen Wohnen abgefragt hätten und alle bis auf der Gerichtsbezirk Tempelhof-Kreuzberg die Bestände offen gelegt habe. Gegen deren Weigerung laufe nun eine Klage.

Parteichefin sieht Gutachten als Widerlegung von "Fake-news"

Parteichefin Katja Kipping meinte gar: "Die Beton und Immobilienlobby hat über Monate Fake-news verbreitet. Jetzt  liegt eine weitere seriöse Bewertung des Volksbegehrens „Deutsche Wohnen & Co. enteignen“ vor, die bestätigt, dass die Forderung des Volksbegehrens im Einklang mit dem Grundgesetz möglich ist." Kipping hob hervor, dass Wieland "Entschädigungen deutlich unter dem Verkehrswert für möglich hält". Damit sei die Überführung der großen Miethaie in öffentliches Eigentum "nicht nur rechtlich, sondern auch praktisch möglich".

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