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Das Angebot an Berlins Volkshochschulen ist in den vergangenen Jahren stetig gewachsen.

© Sebastian Gollnow/dpa

Volkshochschulen in Berlin: "Dozent frisst Teilnehmer auf"

Die Sprecher der Berliner Volkshochschulen über das gewaltige Potenzial der Stadt, das süße Gift der Drittmittel und weiblichen Mut zur Weiterbildung.

In diesem Jahr feiern die deutschen Volkshochschulen ihr 100-jähriges Bestehen. Jedes Jahr bieten die zwölf Berliner Volkshochschulen – jeder Bezirk hat seine eigene – insgesamt mehr als 20.000 Kurse, mehr als 800.000 Unterrichtsstunden an. Susanne Roggenhofer und Stefan Bruns vertreten als Sprecher die Arbeitsgemeinschaft der Berliner Volkshochschul-Direktoren. Roggenhofer (42) leitet die VHS Reinickendorf, Bruns (57) ist Chef in Tempelhof-Schöneberg.

Zur Gründung der Volkshochschulen sagte Preußens Wissenschaftsminister 1919, man müsse Brücken schlagen zwischen Menschen, die mit dem Kopf arbeiten, und jenen, die mit der Hand arbeiten. Ziel der Volkshochschulen sei, „das geistige Band zwischen allen Volksteilen wieder fest zu knüpfen“. Ist dieses Anliegen 100 Jahre später noch aktuell?
BRUNS: Absolut aktuell. Volkshochschulen haben die Aufgabe, verschiedene Milieus zu verbinden, sie sind offen für alle, sollen Integrationsmotor sein. Die Schwelle, in die Volkshochschule zu gehen, soll möglichst niedrig sein: Es gibt praktisch keine Zugangsvoraussetzungen. Dass es nicht immer gelingt, alle zu erreichen, steht auf einem anderen Blatt. Aber das ist unser ständiger Auftrag.
ROGGENHOFER: Auch wenn das Wort Schule in Volkshochschule drinsteckt, geht es um das Mitmachen, Anwenden, Aktivieren und Teilhaben.

Wie haben sich die Berliner Volkshochschulen zuletzt verändert?
BRUNS: Wir ärgern uns natürlich, dass es oft noch heißt, Volkshochschule sei „ein bisschen Makramee und ein bisschen Sporteln“. Unser Programm entwickelt sich laufend. Wir wollen unsere Kurse sehr stark am Bedarf der Bevölkerung ausrichten. Und auf Trends reagieren.

Zum Beispiel?
BRUNS: Der Großteil unseres Programms ist nicht abschlussorientiert, sondern zielt auf Lebenskompetenz ab. Gerade bieten wir vermehrt Kurse in Entspannungstechniken für Zuhause und für den Beruf an.
ROGGENHOFER: Auch Do-it-yourself-Geschichten sind wieder angesagt: Häkeln oder Stricken zum Beispiel. Viele Menschen beschäftigen sich mit dem Thema Ernährung und Kochen. Vegane Ernährung ist jetzt relevant, gerade in Berlin. Beruflich geht es viel um Softskills: Rhetorik, Kommunikation, Konfliktlösung, ...
BRUNS: ... Zeitmanagement, Moderationstechniken. Englisch ist weniger gefragt, da ist eine gewisse Sättigung da. Wir entwickeln dafür gerade eine Sprachprüfung in Farsi – das finden Sie sonst nirgends auf dem Markt. Es gibt nun mal viele junge Menschen aus Afghanistan in Berlin. Wenn sie eine zweite Fremdsprache auf dem Niveau B1 nachweisen , können sie Abitur machen.

Welchen Einfluss hatte die Zahl der Migranten und Flüchtlinge auf die Berliner Volkshochschulen?
BRUNS: Wir waren 2014 und 2015 sehr schnell darin, Sprachkurse für Flüchtlinge einzurichten. Für verschiedenste Zuwanderer gibt es Sprach- und Integrationskurse schon seit langem. Diese Kurse werden vom BAMF gefördert, dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge. Da ist eine Menge Geld reingekommen in einen stark unterfinanzierten Bereich. Dadurch hat sich viel verändert: Wir konnten Personal einstellen, Räume anmieten. Das hat viel Positives gebracht, aber hatte auch Nachteile. Die Forschung spricht vom „süßen Gift der Drittmittel“.

Deutsch-Integrationskurse sind zum wichtigen Bestandteil der Volkshochschulen geworden.
Deutsch-Integrationskurse sind zum wichtigen Bestandteil der Volkshochschulen geworden.

© Lars Spannagel

Wieso Gift?
BRUNS: Wir sind vom Mittelgeber abhängig. Wer zahlt, befiehlt. Wir haben traditionell einen offenen, integrativen Ansatz, das Bundesamt agiert eher regulativ, überwachend. Und ist stark auf Verwertbarkeit ausgerichtet – so schnell wie es geht durch die Kurse und ab in den Arbeitsmarkt. Die Menschen in den Deutschkursen werden häufig gegängelt, sie haben keinen Urlaub, müssen nachweisen, wo sie sich aufhalten. Die Volkshochschulen werden dann als Kontrollbehörde wahrgenommen, die integrative Pädagogik gerät in Gefahr. Wir müssen die Diskussion führen, ob wir alles, was das BAMF vorschreibt, umsetzen.

Ihre Teilnehmerzahlen steigen seit mehreren Jahren. Laut der offiziellen Statistik sinkt aber die Zahl der Teilnehmer, die eine Ermäßigung erhalten. Wen erreichen Berlins Volkshochschulen nicht
ROGGENHOFER: Das gesellschaftliche Auseinanderdriften in der Stadt erreicht auch die Volkshochschulen. Es gibt einen großen Teil von Leuten, die es schwer haben, Bildungsangebote wahrzunehmen. Andere Schichten nehmen das hingegen sehr wohl an.
BRUNS: Eine unserer Wurzeln ist ja die Arbeiterbildungsbewegung: Traditionell gehört ein Milieu, das bildungsfern und finanzschwach ist, zur Zielgruppe. Die Schwelle ist aber höher geworden, dazu kommt die Konkurrenz der Social Media. Die Kursentgelte sind stark gestiegen - wir sind nicht mehr so günstig, wie wir sein sollten.

Susanne Roggenhofer und Stefan Bruns, Sprecher der Berliner Volkshochschuldirektoren.
Susanne Roggenhofer und Stefan Bruns, Sprecher der Berliner Volkshochschuldirektoren.

© Lars Spannagel

Wie kommt das?
BRUNS: Vor knapp 20 Jahren wurde ausgehandelt, dass die Honorare der Dozenten und Dozentinnen, die ewig nicht gestiegen waren, parallel zu den tariflichen Steigerungen im öffentlichen Dienst angehoben werden. Die Volkshochschulen müssen diese aber selbst finanzieren – und das neben den Musikschulen als einziger Bereich im Land. Das läuft seitdem nach dem Motto: „Dozent frisst Teilnehmer auf.“

Was meinen Sie damit?
BRUNS: Die Teilnehmenden müssen immer mehr zahlen, damit die Kursleitung ein höheres Honorar bekommt. Wir liegen jetzt bei 35 Euro pro 45 Minuten Unterricht für einen Dozenten, der eine Hochschul-Qualifikation für seinen Kurs vorweisen kann. Das ist nicht so schlecht, aber auch nicht so gut. Es sind weitere tarifliche Erhöhungen notwendig, wir müssen aber ausschließen, dass die Entgelte erneut erhöht werden. Die Entgelterhöhung muss von der Honorarerhöhung entkoppelt werden!

Was unterscheidet Kurse in Berlin von Kursen in anderen deutschen Städten?
BRUNS: Unser Publikum ist divers, unsere Kursleiterschaft ist divers – das ist in Paderborn sicher anders.
ROGGENHOFER: Es gibt bei uns sehr viele interkulturelle Momente, viele Dozentinnen und Dozenten haben eine andere Muttersprache. Kulturelle Bildung und Sprachen werden in Berlin stärker nachgefragt als in anderen Städten.

BRUNS: Berlin hat ein gewaltiges Potenzial, auch auf der Dozentenseite. Wir haben Künstlerinnen, Steuerberater oder Software-Entwicklerinnen, die haupt- oder nebenberuflich bei uns unterrichten. Die zwölf Berliner Volkshochschulen sind zusammen der größte Träger für Erwachsenenbildung in Europa. Kaum ein anderes Land hat in der Fläche so ein breites, überall verfügbares Angebot an Erwachsenenbildung. Ich kenne kein Land, in dem jeder Einwohner ein Volkshochschulangebot erreichen kann. Paris hat zum Beispiel auch eine Volkshochschule, andere französische Regionen und Städte aber nicht – das gehört dort nicht zur Grundversorgung ROGGENHOFER: Soeben hat auch die Unesco in ihrem Weltbericht zur Erwachsenenbildung die Qualität der Erwachsenenbildung in Deutschland gelobt.

Berlins Volkshochschulen wollen den Trends in der Stadt nachspüren.
Berlins Volkshochschulen wollen den Trends in der Stadt nachspüren.

© Lars Spannagel

Wieso ist der Anteil der Frauen in den Kursen so viel größer? An den Berliner Volkshochschulen liegt er bei rund 70 Prozent.
BRUNS: Das ist in der Erwachsenenbildung leider überall so.

Und wie erklärt sich das?
ROGGENHOFER: Historisch gesehen haben Männer Weiterbildungsangebote meist im beruflichen Kontext angenommen. Frauen mussten sich parallel zur Kindererziehung oder zu Teilzeitjobs selbst Bildungsangebote suchen. Das bedeutet Self Empowerment, Stärkung des Selbstbewusstseins, auch mal zu fragen: Wer bin ich denn in dieser Welt?
BRUNS: Frauen sind insgesamt offener dafür, ihr soziales Umfeld zu erweitern, zu bereichern, zu verändern. Männer haben oft die geradlinigeren Berufsbiografien. Und ich glaube, Männer haben mehr Berührungsängste, trauen sich das nicht.

Besuchen Sie als Volkshochschul-Chefs eigentlich selbst Kurse?
ROGGENHOFER: Bretonische Tänze in der VHS Pankow. Und Lindy Hop – ein Art Swing – in Schöneberg. Ideal als Ausgleich und zur Abrundung eines Arbeitstages.
BRUNS: Als Vorbereitung auf einen Austausch mit der Volkshochschule Paris habe ich einen Französisch-Intensivkurs gemacht: sechs Teilnehmer, 40 Stunden in einer Woche. Das war intensiv!

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