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Wer braucht hier Platz? Eine Demonstration für eine autofreie Berliner Innenstadt im Jahr 2021.

© Jörn Hasselmann

Update

Volksbegehren unzulässig?: Berliner Senat hält Ziel einer autofreien Innenstadt für verfassungswidrig

Dämpfer für „Berlin autofrei“: Autofahrten im Zentrum nur noch in Ausnahmefällen zuzulassen, verstoße gegen die Handlungsfreiheit, sagt die Innenverwaltung.

Der Berliner Senat betrachtet das geplante Volksbegehren "Berlin autofrei" als unzulässig. Das geht aus einem Schreiben der in dieser Frage zuständigen Innenverwaltung an die Initiative hervor, das dem Tagesspiegel vorliegt. Wesentlicher Grund dafür sei demnach, dass der Gesetzentwurf „mit unverhältnismäßigen Eingriffen in die allgemeine Handlungsfreiheit“ verbunden sei, heißt es in dem Schreiben. Zunächst hatte der "rbb" darüber berichtet.

Die Innenverwaltung hatte die Zulässigkeit des Volksbegehrens geprüft. Das Ergebnis sei laut Schreiben am vergangenen Mittwoch an die fachlich zuständige Verkehrsverwaltung gegangen. Diese werde einen Beschlussvorschlag für den Senat erarbeiten, sodass dieser innerhalb der vorgeschriebenen Frist von 15 Tagen über seinen Standpunkt zum Volksbegehren beschließen könne. Das könnte bereits am Dienstag in einer Woche passieren.

„Unser Gesetz haben viele erfahrene Jurist:innen erarbeitet, geprüft und verbessert. Es ist nicht nur verhältnismäßig, sondern dringend notwendig, dass wir den Autoverkehr in Berlin deutlich reduzieren“, erklärte die Sprecherin der Initiative Nina Noblé nach der Entscheidung der Innenverwaltung. „Dem Innensenat scheint der politische Wille und Mut zu fehlen, diese Probleme ernsthaft zu lösen. Aber sollte der Senat uns vor das Landesverfassungsgericht schicken, scheuen wir diesen Weg nicht.“

Man könnte auch eine autofreie Innenstadt damit erreichen, dass man die Alternativen so attraktiv macht, dass die Menschen dann ganz von selbst auf das Auto verzichten, so ganz ohne Verbote. Wäre das nicht mal ein Ansatz?

schreibt NutzerIn lars3110

Die Initiative "Berlin autofrei" will den Autoverkehr im Berliner S-Bahn-Ring stark einschränken. Dazu sollen Bürger privat nur noch bis zu zwölf Fahrten pro Jahr mit dem Pkw in der Innenstadt machen dürfen. Ausgenommen davon sollen Busse und Taxen, der Wirtschafts- und Lieferverkehr, sowie Polizei, Feuerwehr und mobilitätseingeschränkte Menschen sein.

Eine zunächst angedachte Einschränkung, dass die Privatfahrten nur für den Transport schwerer oder sperriger Güter oder für Urlaubsfahrten genutzt werden dürfen, hat die Initiative mittlerweile wegen rechtlicher Bedenken aus dem Gesetzestext gestrichen.

Gutachten für Verkehrsverwaltung: "Mit dem Grundgesetz vereinbar"

Für Aufregung sorgt bei den Aktivisten ein Rechtsgutachten der Kanzlei Geulen und Klinger im Auftrag der Senatsverkehrsverwaltung, das dem Tagesspiegel vorliegt. Demnach sei der Entwurf der Initiative nicht grundsätzlich abzulehnen. „Verstöße gegen das Recht der Europäischen Union, die Verfassung von Berlin oder sonstiges Bundesrecht, insbesondere die Straßenverkehrsordnung, liegen nicht vor“, heißt es in dem Gutachten.

So sei der Gesetzentwurf „formell mit dem Grundgesetz vereinbar“. Jedoch sieht auch der Autor des Gutachtens Remo Klinger, Jura-Professor an der Hochschule für nachhaltige Entwicklung Eberswalde, mit Blick auf die Verhältnismäßigkeit Probleme: „Die relativ eng formulierten Ausnahmeregelungen des Gesetzentwurfes lassen Zweifel, ob die Schwelle der Verhältnismäßigkeit noch gewahrt ist.“

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Unmöglich sei dies jedoch nicht, schreibt Klinger. So könnte es „noch möglich sein“, die im Gesetz vorgesehenen Ausnahmeregelungen „grundrechtskonform zu interpretieren“. Zudem diene der Gesetzentwurf „der Verhinderung verkehrsbedingter Todesfälle und Verletzungen sowie weiterer nachvollziehbarer Gemeinwohlziele“.

Die richterliche Zustimmung zu anderen Grundrechtseingriffen wie den Umweltzonen und Dieselfahrverboten könnte daher auf das Ziel, das Autofahren in der Innenstadt stark einzuschränken, übertragen werden – auch wenn dies nicht zwingend sei, so der Jurist. Die Entscheidung unterliege letztlich „einer Wertung“.

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"Das ist eindeutig eine politische Entscheidung", urteilte Aktivisten Noblé mit Blick auf die Bewertung durch die Senatsinnenverwaltung.

„Berlin autofrei“ hat 50.000 Unterschriften gesammelt

Die Bürgerinitiative hatte im vergangenen Jahr mehr als 50.000 Unterschriften für ihr Anliegen an die Innenverwaltung übergeben und die Einleitung eines Volksbegehrens beantragt. Nötig dafür sind 20.000 gültige Stimmen. Diese Voraussetzung war nach einer früheren Prüfung der Innenverwaltung erfüllt.

Nun steht die offizielle Stellungnahme des Senats zur Zulässigkeit des Begehrens aus. Sie sollte ursprünglich bis zum 5. Januar vorliegen. Wegen der Änderungen am Gesetzestext durch die Initiative hatte sich schon diese Frist auf Anfang März verschoben. Doch dann gab es erneuten Gesprächsbedarf zu den Einzelheiten des Volksbegehrens. (mit dpa)

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