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Der Immobilienkonzern Deutsche Wohnen ist mit einem Bestand von rund 100.000 Wohnungen in Berlin der größte private Vermieter in der Stadt.

© Imago/Ipon

Volksbegehren "Deutsche Wohnen & Co. enteignen": Juristen streiten über Parlamentsgutachten zur Enteignung

Rechtsgutachter des Abgeordnetenhauses sehen beim Markteingriff vor allem ein Problem: Die hohen Entschädigungen könnten gegen die Schuldenbremse verstoßen.

Jeder, der mehr als 3000 Wohnungen besitzt, gehört enteignet – das ist die Forderung der Initiative „Deutsche Wohnen & Co enteignen“. Was die einen als „Rückkehr des Sozialismus“ halten und andere für eine Notwehr-Maßnahme im Kampf gegen die Wohnungsnot. Als wegweisende Bestätigung der eigenen Rechtsauffassung bewerten Befürworter des starken Eingriffs in den Markt das überraschende Gutachten vom Wissenschaftlichen Dienst des Abgeordnetenhauses, wonach eine solche „Vergesellschaftung“ jedenfalls möglich wäre.

Der Streit um die Vergesellschaftung spaltet. Und die  Juristen bewegen sich auf dünnem Eis. Niemals zuvor kam in der Geschichte der Bundesrepublik bisher der  Artikel 15 des Grundgesetzes zur Anwendung. Und so eindeutig ist auch das Fazit der Juristen aus dem Abgeordnetenhaus nicht – und wer das Gespräch mit zwei Rechtsanwälten aus  den beiden  Lagern sucht, bekommt  – wie es sprichwörtlich heißt –  mindestens „drei Meinungen“.

Prinzipiell möglich „wäre“ eine Vergesellschaftung auf der Grundlage des Grundgesetzes, heißt es in dem Gutachten des wissenschaftlichen Dienstes. Aber sogar in ihrem Fazit betonen die Juristen, dass es „gewisse Bedenken“ hinsichtlich der Verhältnismäßigkeit dieses tiefen Eingriffs in den Markt gibt. Den größten Einwand gegen die eigenen Argumente führen die Rechtswissenschaftler allerdings ins Feld, ohne darüber zu urteilen: Weil die enteigneten privaten Unternehmen entschädigt werden müssen, „stellt sich die Frage, wie sich eine solche Kreditaufnahme mit der ab 2020 für das Land Berlin geltenden Schuldenbremse vereinbaren lassen würde“.

Als Problem bei der Entschädigung wird die Schuldenbremse genannt 

Für die Verfasser ist klar: „Es erscheint kaum möglich, eine Entschädigung der betroffenen Unternehmen ohne Verstoß gegen Art.109 Abs.3 Satz 1 und 5 GG durchzuführen“. Zwar hatte der Sprecher der Enteignungskampagne Rouzbeh Taheri erklärt, das Land müsse ja keine Kredite für die Entschädigungen aufnehmen, stattdessen könne das  eine eigene Anstalt öffentlichen Rechts  tun. Doch auch das halten die Juristen für keinen Ausweg: „Darin könnte jedoch eine unzulässige Umgehung der Schuldenbremse gesehen werden“, warnen sie – und relativieren nur schwach, dass hierüber „in der Fachliteratur Uneinigkeit“ herrsche.

Haben die Parlamentsjuristen damit einen eleganten Ausweg gewählt aus ihrem auch politischen Dilemma gelöst? Ausgerechnet die AfD hatte den Dienst um Klärung gebeten. Die Linke als Regierungspartei befürwortet die Enteignung und auch die Grünen neigen dazu. Erklärt diese politische Gemengelage vielleicht auch die Neigung der Gutachter eines „weiten politischen Ermessens des Gesetzgebers“ zu erkennen beim Einsatz des Vergesellschaftungs-Artikels 15 im Grundgesetz?

Zweifel an Verhältnismäßigkeit von Enteignungen

Rechtsanwälte wie der durch viele Verfahren für Unternehmen der Branche bekannt gewordene Karlheinz Knauthe werfen den Parlamentsjuristen genau das vor: „Alle maßgebenden Verfassungsrechtler kommen zum Ergebnis, dass die beabsichtigte Enteignung von Immobilienkonzernen nach Artikel 15 Grundgesetz verfassungswidrig ist wegen des Verstoßes gegen das Gebot der Verhältnismäßigkeit“. Aber mit dieser „herrschenden Meinung“ setze sich das Gutachten „völlig unzureichend“ auseinander. Statt sich auf konkrete empirische Grundlagen zu stützen – und weil man auf andere Weise nicht weiterkomme – „legt man es einfach in das politische Ermessen der Politiker“. Das aber sei „brandgefährlich“, weil sich damit jeder Eingriff rechtfertigen lasse, „eine Enteignung der Digitalwirtschaft beispielsweise, um die Datenflüsse zu kontrollieren“.

Seine Zuspitzung leitet Knauthe aus einer Filetierung der 38-seitigen Ausführungen der Parlamentsjuristen ab. Dass beispielsweise die Enteignungen verhältnismäßig sein sollen, weil im Interesse der Gemeinschaft damit Bedürftigen mehr bezahlbaren Wohnraum angeboten werden könne – das treffe so nicht zu. Die enteigneten Immobilien seien ja vermietet und zwar keineswegs nur an Bedürftige. Bis Wohnungen frei werden, vergingen Monate und Jahre. Eine schnelle Korrektur der Notlage am Wohnungsmarkt erfolge deshalb gerade nicht. Trotzdem begründeten die Parlamentsjuristen aber mit der Notwendigkeit kurzfristiger Eingriffe, dass Enteignungen notwendig seien.

Am Ende ist wohl das Bundesverfassungsgericht gefragt

Und noch einen Grund nennt Knauthe, warum eine Vergesellschaftung keinesfalls schnell zum gewünschten Ergebnis der Marktentspannung führe: Es werde sicher eine Flut von Klagen von den betroffenen Konzernen zu erwarten sein. Und bis diese Rechtsschlachten durch alle Instanzen ausgefochten sind, werden viele Jahre vergehen. Viel Zeit, um mit einer schärfer gestellten Mietpreisbremse und dem Neubau von Tausenden bezahlbarer Wohnungen den Markt wirksamer zu bändigen. Aber ohnehin ist sich Knauthe sicher: „Eine Vergesellschaftung von Wohnungsunternehmen wird niemals Bestand haben vor dem Bundesverfassungsgericht“. 

Diese Wette würde Rechtsanwalt Benjamin Raabe nicht eingehen – aber ebenso wenig, dass die angestrebten Vergesellschaftungen scheitern werden. „Das entscheide ich nicht“. Raabe stimmt Knauthe darin zu, dass „zur Begründung des Gesetzes zwingend empirische Grundlagen wie die Belastung der Haushalte durch die Mieten gehören, weil sich daran die Verhältnismäßigkeit anschließt“. Nur gehöre das nicht in ein Gutachten wie das vorliegende sondern in die Gesetzesbegründung.

In der Abwägung der Verhältnismäßigkeit folgt Raabe den Parlamentsjuristen, jedenfalls darin dass die Vergesellschaftung nicht gegen eine schärfer gestellte Mietpreisbremse oder den Mietendeckel ausgespielt werden kann. Denn diese „nützen nur den Bestandsmietern“. Die Enteignungen dagegen zielten darauf, „die Struktur des Wohnungsmarktes zu verändern“: Nach diesem Eingriff verfüge die Stadt schlagartig über mehr Wohnraum, der dann den Bewohnern zugutekomme. Raabe nennt das auch „Belegungsrechte“ für diese zusätzlichen Wohnungen, Berlin könne also ähnlich wie bei Sozialwohnungen entscheiden, wer einzieht und dadurch seiner Daseinsvorsorge für Haushalte mit geringen Einkünften besser nachkommen.

Überspannt der Staat mit dem Eingriff ins Eigentum seine Rechte?

Überspannt der Staat mit dem tiefen Eingriff ins Eigentum aber nicht seine Rechte? Hier erinnert Raabe an das vor wenigen Wochen ergangene Urteil des Bundesverfassungsgerichtes zur Mietpreisbremse: „Das räumt dem Gesetzgeber recht viel Ermessen bei seinen regulativen Eingriffen ein, unabhängig von der gebotenen Verhältnismäßigkeit“. Nur wenn es ganz offensichtlich mildere Mittel zur Erreichung desselben Ziels gebe, „hätten wir ein Problem der Verhältnismäßigkeit“. Aber die sieht Raabe eben nicht.

Und wie verhält es sich mit der Gretchenfrage: Wie Berlin die Milliarden bezahlen soll, obwohl am 1. Januar die Schuldenbremse gilt und genau das verbietet? „An der Schuldenbremse wird das Gesetz nicht scheitern, nur gegebenenfalls die Finanzierung“. Denn dann wäre das Haushaltsgesetz verfassungswidrig, das die Gelder eingestellt hätte. Allerdings gelte nach dem Wortlaut das Art. 109 Absatz 3 Grundgesetz die Schuldenbremse nach seiner Auffassung nur für die Länder selber, nicht aber für selbstständige Anstalten. Dieses Modell schlagen Initiatoren des Volksentscheides „Deutsche Wohnen & Co enteignen“ vor. „Ich gebe voll und ganz zu, das ist wie alles im Zusammenhang mit dem Thema umstritten“. Dies werde für die erst noch in Kraft tretende Schuldenbremse irgendwann ein Gericht klären müssen.

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