zum Hauptinhalt
Bürogebäude, die gleichzeitig Gewächshäuser sind - eine Vision für 2030.

© Dachfarm Berlin

Visionen für das Berlin der Zukunft: Häuser aus Hanf – und keine Privatautos mehr

Wie sieht das Berlin der Zukunft aus? Nachhaltiger, demokratischer, digitaler, sagen Expertinnen und Experten. Die wichtigsten Trends.

Selbstfahrende Autos, nachwachsende Gebäude und eine Verwaltung, die zum Bürger nach Hause kommt: Die 20er Jahre könnten eine Zeit der großen Veränderungen für Berlin werden.

Keine deutsche Stadt ist in den vergangenen zehn Jahren so stark gewachsen wie Berlin. Heute leben mehr als 3,6 Millionen Menschen hier. Das bringt neue Herausforderungen: Wohnraum ist knapp, die Straßen verstopft. Wie können Technologien helfen, Berlin ökologischer und demokratischer werden zu lassen?

Wir haben Experten und Expertinnen aus den Bereichen Bauen, Verkehr, Verwaltung und Kultur nach ihren Visionen für Berlin 2030 gefragt.

Bauen, Wohnen, Ernährung - Experte Jörg Finkbeiner

Die Zukunft der Architektur ist grün. Auf den Dächern der Stadt stehen Gewächshäuser, beheizt von der Abwärme der Gebäude. Das Grauwasser, das etwa beim Händewaschen oder Spülen anfällt, wird geklärt und zur Bewässerung des Gewächshauses genutzt. Wo viele Mitarbeiter CO2 ausstoßen, kann die Abluft in das Gewächshaus geleitet und von den Pflanzen verstoffwechselt werden. So steigern Menschen, während sie am Schreibtisch sitzen, die Lebensmittelproduktion. „Die Stadt als Mega-Hybride“, das ist die Vision des Berliner Architekten Jörg Finkbeiner.

Der Berliner Architekt Jörg Finkbeiner baut nachhaltige Gebäude aus Materialien wie Holz.
Der Berliner Architekt Jörg Finkbeiner baut nachhaltige Gebäude aus Materialien wie Holz.

© promo

Mit seinem Berliner Büro „Partner und Partner“ entwickelt er Gebäude aus nachwachsenden Materialien wie Holz. „Die Zukunft des Planeten wird sich in Städten entscheiden“, sagt Finkbeiner. Immer mehr Menschen ziehen in Städte, 2050 wird ein Großteil der Menschheit in urbanisierten Räumen leben. Für den Architekten geht es darum, resiliente, ressourcengerechte Stadtstrukturen zu erschaffen.

Künftig sollen Gebäude CO2 speichern, statt es zu emittieren

Mehr als 60 Prozent des globalen Müllaufkommens kommt aus dem Bausektor, mehr als 30 Prozent der Energie und der CO2-Emissionen haben mit dem Gebäudebau und -betrieb zu tun. Sand, der für die Mischung von Beton gebraucht wird, ist zu einer knappen Ressource geworden.

In Finkbeiners Vision von Berlin werden Gebäude aus Rohstoffen gebaut, die CO2 speichern, statt es zu emittieren. Das kann Holz, Hanf oder Stroh sein - aber auch Pilze sind denkbar. „Nachwachsende Bau- und Rohstoffe haben eine große Zukunft“, ist sich Finkbeiner sicher. Viele Starts-Ups und Universitäten in Berlin forschen bereits daran, wie man natürliche Materialien für den Bau verwenden kann.

Eine Vision des Architekten Stephan Braunfels für das Tempelhofer Feld – mit See.
Eine Vision des Architekten Stephan Braunfels für das Tempelhofer Feld – mit See.

© Architekturbüro Stephan Braunfels

Künftig sollte in Berlin zirkulär gebaut werden, so dass bereits verwendete Materialien wieder in die jeweiligen Kreisläufe zurückgeführt werden können. Momentan werde alles vergossen und verklebt, sagt Finkbeiner. „Das Haus ist ein riesiger Haufen Sondermüll.“ Auch „Urban Mining“ ist ein wichtiges Thema – wie können wir etwa das Kupfer, das bereits in der Stadt steckt, zurückgewinnen?

In Sachen Energie gelte es, quartier- und stadtbezogen zu denken. Ein einzelnes Hochhaus bietet nicht viel Fläche für Solarzellen. Doch nebenan auf dem Fabrikgebäude oder dem Parkhaus wäre genug Platz. Es brauche vernetztes Denken, um den CO2-Ausstoß dauerhaft zu senken, sagt Finkbeiner. Begrünte Dächer und Fassaden helfen, das Mikroklima in der Stadt zu regulieren. Hitze wird durch Verdunstung entgegengewirkt. Das Berlin der Zukunft kann sich selbst ernähren.

Wo ein Haus steht, kann das Land nicht mehr als Acker genutzt werden – es braucht neue Lösungen. Schon jetzt betreiben viele Start-Ups und Vereine Urban Farming in Berlin. „ECF“ etwa betreibt mit Aquaponik-Technik eine Mischung aus Aquarium und Gewächshaus in Schöneberg. Finkbeiners Architekturbüro arbeitet eng mit der „Dachfarm Berlin“ zusammen.

Berlins Dächer werden grün

Dächer sollen nicht nur als Grünflächen, sondern auch als Gewächshäuser genutzt werden. Dadurch werden Transportwege kürzer und vorhandene Flächen genutzt, ohne andere zu verdrängen. „Prinzip der Co-Existenz“ nennt Finkbeiner das. Ein Projekt seines Büros ist ein Supermarkt in Berlin, auf dessen Dach Sozialwohnungen und ein Gewächshaus stehen könnten. „Nach oben haben wir Luft.“

Bauen ist ein komplexes, gesellschaftliches Thema. Die Stadtgesellschaft müsse viel stärker an Stadtplanungsprozessen beteiligt werden, sagt Finkbeiner. Und wie begegnet man Wohnungsnot und steigenden Mieten? Finkbeiners Vision lautet „Teilen statt Besitzen“. Der oder die Deutsche lebt im Schnitt auf 46,7 Quadratmetern, ein Wert, der sich seit den Sechzigern mehr als verdoppelt hat. Finkbeiner bezweifelt, dass es so viel Platz wirklich braucht. Er arbeitet an Gebäuden, in denen es geteilte Gemeinschaftsräume oder Coworking-Spaces statt privater Wohn- und Arbeitszimmer gibt. Teilen hat seiner Ansicht nach nicht nur mit Verzicht zu tun – von mehr Platz, sauberer Luft und einem besseren Klima haben schließlich alle etwas.

Verwaltung - Expertin Dagmar Lück-Schneider

In Behörden werden Berliner in der Zukunft nicht mehr gehen müssen. Stattdessen kommt die digitale Verwaltung von selbst auf die Bürger zu. Wenn etwa ein Mensch unter eine bestimmte Einkommensgrenze rutscht, bekommt er sofort einen Hinweis, dass eine Sozialleistung für ihn automatisch gezahlt wird.

Das ist die Vision von Dagmar Lück-Schneider, die Professorin für Verwaltungsinformatik an der Hochschule für Wirtschaft und Recht in Berlin ist. „Mit der Geburt des Bürgers wird der größte Teil von Verwaltungsaktivitäten automatisch ablaufen können“, sagt Lück-Schneider über ihre Vision von Berlin in zehn Jahren.

Die digitale Verwaltung der Zukunft kommt selbst auf die Bürger zu, hofft Dagmar Lück-Schneider.
Die digitale Verwaltung der Zukunft kommt selbst auf die Bürger zu, hofft Dagmar Lück-Schneider.

© Katharina Rodeike

Von Impfnotwendigkeiten über Kitaplatz oder Schulanmeldung müssen die Bürgerin oder der Bürger – beziehungsweise seine Eltern – nicht mehr selbst aktiv werden, sondern werden vom Staat direkt kontaktiert. „So verhindern wir auch das Problem, dass Menschen Sozialleistungen gar nicht wahrnehmen, weil es ihnen zu schwer fällt, die Anträge dafür zu stellen“, sagt Lück-Schneider.

Daten, die der Staat sowieso hat, könnten automatisch weitergegeben werden, etwa bei der Steuererklärung. „Es geht darum, die Bürger von bürokratischen Vorgängen zu entlasten.“ Angebote wie der freigeschaltete Personalausweis könnten nur ein Anfang sein.

Ein Amt für alles?

Dass für Fragen zur Schule der Kinder eine andere Behörde zuständig ist als für die Arbeitssuche, wird man in Zukunft nicht mehr merken. „Das Denken in verschiedenen Zuständigkeiten bekommt der Bürger nicht mehr mit“, sagt Lück-Schneider. „Wenn überall die gleiche IT dahintersteckt, werden wir gleichartige digitale Vorgänge in allen Bezirken haben“, sagt Lück-Schneider. „Idealerweise funktioniert das auch bundesweit.“

Die digitale Verwaltung soll zugänglich für alle sein, jede Zielgruppe soll Angebote eigenständig wahrnehmen können. Oberflächen müssen so befüllt sein, dass sie von automatischen Lesegeräten erfasst werden können, Erklärungstexte auch in einfacher Sprache bereitgestellt werden.

Berliner sollen künftig genau verfolgen können, was in ihrer Stadt geplant wird

Durch die Digitalisierung wird die Verwaltung auch transparenter. Da alles online einsehbar ist, können Berliner und Berlinerinnen leichter in Stadtplanungs- und Verwaltungsvorgänge Einblick bekommen. „Beim Open Government geht es darum, die Daten in einer Form verfügbar zu machen, in der sie weiterverarbeitet werden können“, sagt Lück-Schneider. Statt einer PDF wird die Verwaltung also Daten liefern, aus denen etwa neue Statistiken hergeleitet werden können.

Künstliche Intelligenz kann auch beim Personalmangel in der öffentlichen Verwaltung helfen, etwa beim Ausfüllen komplizierter Formulare. Ganz ersetzen könne man Menschen jedoch nicht, warnt Lück-Schneider. Wenn es um juristische Entscheidungen geht, bei denen die Verwaltung Spielraum hat, sind auf großen Datenmengen basierende Programme oft problematisch. „Algorithmen können Vorurteile von Menschen reproduzieren“, sagt die Informatikerin.

Verkehr - Experte Andreas Knie

Eine radikale Abkehr vom Privateigentum fordert auch der Verkehrswissenschaftler Andreas Knie, der am Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung lehrt. „Verkehr der Zukunft heißt, dass man kein eigenes Auto mehr besitzt.“ Sämtliche Fortbewegungsmittel werden von allen Stadtbewohnern geteilt, Autos, Fahrräder oder öffentlicher Nahverkehr. Wenn alle Stadtbewohner einfach die Fahrzeuge nutzen, die sie sehen, gibt es mehr Platz und damit mehr Lebensqualität.

Eines brauche das Berlin der Zukunft in jedem Fall: mehr Radwege.
Eines brauche das Berlin der Zukunft in jedem Fall: mehr Radwege.

© picture alliance / Jörg Carstens

Natürlich gelte es auch an der Infrastruktur zu arbeiten, etwa für bessere Radwege. Aber das reiche nicht aus, wenn die privaten Fahrzeuge nicht drastisch reduziert werden. „Der Kern des Problems ist das privat geparkte Auto“, sagt Knie. Heute glaube jeder, er hätte ein natürliches Recht darauf, sein Auto auf der Straße abzustellen. Diese Praxis müsse abgeschafft werden. „Dann ist der öffentliche Raum wieder für Menschen da, nicht für Geräte“, sagt Knie.

Der Verkehrswissenschaftler ist nicht für eine komplette Abschaffung von Autos in der Stadt. „Die Individualisierung der Gesellschaft lässt sich nicht zurückdrehen, und das wollen wir auch nicht“, sagt Knie. Jeder hätte nach wie vor die Freiheit, selbst zu entscheiden, wie er wohin kommen will. Doch in Knies Vision stellen Flugdrohnen Pakete zu, auch E-Tretroller, E-Skateboards oder E-Hoverboards sind Teil seines Verkehrskonzepts. Sämtliche Geräte sollten miteinander vernetzt und zu 100 Prozent mit erneuerbarem Strom betrieben werden.

Die TU Berlin betreibt bereits eine Teststrecke für automatisiertes Fahren.
Die TU Berlin betreibt bereits eine Teststrecke für automatisiertes Fahren.

© TU Berlin / Dominic Simon

Neue Technologien wie das autonome Fahren bieten Möglichkeiten, Fahrzeuge zu reduzieren. Autos fahren selbst dorthin, wo man sie braucht, und können sich selbst etwa in Parkhäusern abstellen. „Wir gehen davon aus, dass man pro tausend Einwohnern mit 50 Individualfahrzeugen auskäme“, sagt Knie. Der Rest laufe über den öffentlichen Nahverkehr, der stark ausgebaut werden müsse. Automatisierung mache den Verkehr auch sicherer. Dafür brauche es keine neue Infrastruktur oder Überwachung mit Kameras. Fahrzeuge überprüfen selbst, ob etwa rechts abgebogen werden kann.

„Selbst fahren, kuppeln und aufpassen, das wird demnächst aussterben. Die nächsten 25 Jahre werden der Übergang zur automatisierten, digital vernetzten und sich selbst disponierenden Fahrzeugflotte sein, die auf Privatbesitz völlig verzichtet“, sagt Knie. Ein derartiges System würde zu einem besseren Verkehrsfluss, niedrigeren Unfallzahlen und Emissionen und mehr Flexibilität führen. „Aber dafür müssen wir etwas tun.“

Die Digitalisierung der Kultur ermöglicht mehr Teilhabe und eine Demokratisierung des Wissens.
Die Digitalisierung der Kultur ermöglicht mehr Teilhabe und eine Demokratisierung des Wissens.

© Staatliche Museen zu Berlin/ Ceren Topu

Knie sieht Berlin derzeit noch weit hinten im Vergleich mit anderen Städten etwa in den USA, die sich als Experimentierräume begreifen. Die Teststrecken für automatisiertes Fahren, die es etwa auf der Straße des 17. Juni oder in Reinickendorf bereits gibt, sind für ihn nur ein kleiner Schritt in die richtige Richtung.

Als politische Maßnahme schlägt Knie als erstes eine massive Verteuerung von privaten Parkplätzen vor, gefolgt von ihrer kompletten Abschaffung. Das würde dazu führen, dass es bald keine privaten Autos mehr gäbe. „Man muss als Politik mutig vorangehen“, sagt Knie. Natürlich werde das nicht von Anfang an jedem gefallen. Doch der Verkehrsexperte ist sich sicher, dass es eine Mehrheit für die Abschaffung von Privatbesitz im Stadtverkehr gibt. „Zumindest in Berlin.“

Kultur - Expertin Monika Hagedorn-Saupe

Auch die Kulturlandschaft in Berlin hat Chancen, durch die Digitalisierung offener und demokratischer zu werden. In Museen können Besucher durch Virtual und Augmented Reality in fremde Welten eintauchen und Zeitreisen unternehmen. Gegenstände, die sonst in Archiven verstauben, sind jetzt für die Allgemeinheit einzusehen. Jeder Bürger kann künftig sein Wissen einbringen.

Museen werden in der Zukunft stärker auf die Menschen zugehen, sagt Monika Hagedorn-Saupe. Sie leitet das Projekt „Museum4Punkt0“, das von den Staatlichen Museen Berlin koordiniert wird. Das Projektteam sucht nach Wegen, um mithilfe neuer Technologien in den Austausch mit Besuchern und Besucherinnen zu treten. „Mit der Nutzung digitaler Technologien können wir Geschichten ganz anders erzählen“, sagt Hagedorn-Saupe.

Museum on demand

Die Besucher können künftig selbst entscheiden, was sie interessiert, Museen werden nutzerfreundlicher und spielerischer. Hagedorn-Saupes Team arbeitet unter anderem an einer App für das neue Humboldt-Forum, die funktioniert wie die Dating-App Tinder. Innerhalb weniger Sekunden können sich Besucher auf dem Smartphone entscheiden, welche Themen sie interessieren und welche nicht. Sie werden zu entsprechenden Objekten geleitet.

Wichtig ist dem Team von „Museum4Punkt0“, dass ihre Anwendungen auch von anderen Kulturinstitutionen genutzt werden können. Deshalb sind die meisten ihrer Entwicklungen Open Source. Bisher sei die Museumswelt noch viel zu wenig vernetzt, sagt Hagedorn-Saupe.

Die Digitalisierung ermöglicht mehr Teilhabe und eine Demokratisierung des Wissens. Wissenschaftler können die offenen digitalen Archive nutzen, um Forschung voranzutreiben. Auch durch soziale Medien öffnen sich die Kulturinstitutionen. „Museen müssen noch stärker Orte des kreativen Austauschs werden“, sagt Hagedorn-Saupe. Künftig werden Menschen sich mehr einbringen und ihr Wissen über Objekte mit der Allgemeinheit teilen können.

Auch der Dialog innerhalb des Hauses soll angeregt werden. Vorreiter ist zum Beispiel das Berliner Naturkundemuseum, das ein „Experimentierfeld für Partizipation und Offene Wissenschaft“ gestartet hat. Das Museum stellt Räume bereit, in denen sich Menschen ganz analog austauschen können. Jeden Freitag kommen Schülerinnen und Schüler von Fridays for Future, um sich vor Ort mit Wissenschaftlern auszutauschen.

Neue Technologien könnten auch bei Fragen nach dem Umgang mit Raubkunst aus der Kolonialzeit helfen, die besonders das Humboldt-Forum betreffen. Durch die Digitalisierung der Bestände werde bereits mehr Transparenz geschaffen. Doch häufig stünden diese Informationen der Museen nur auf Deutsch zur Verfügung, sagt Hagedorn-Saupe. Wenn künstliche Intelligenz es einfacher mache, Informationen automatisch in andere Sprachen zu übersetzen, werde auch die Kommunikation mit den Herkunftsländern erleichtert.

Zur Startseite