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Beim Netzwerken am Rechner: Claudia Große-Leege ist seit Oktober 2020 Geschäftsführerin des VBKI. Der Verein residiert im Ludwig-Erhard-Haus in der Charlottenburger Fasanenstraße.

© Doris Spiekermann-Klaas

Virtuelles Suppekochen oder Gin-Tonic-Party: Chefin der Berliner Kaufleute gibt Tipps fürs virtuelle Networking

Claudia Große-Leege, die neue Chefin beim Verein Berliner Kaufleute und Industrieller, spricht im Interview über ihre Arbeit in schwierigen Zeiten

Frau Große-Leege, Sie haben die Geschäfte bei einem der größten Wirtschaftsnetzwerke der Hauptstadtregion übernommen, und das mitten in einer der größten Wirtschaftskrisen. Was bedeuten diese Umstände für Ihre Arbeit?
Natürlich hätte ich mir einen Start wie in normalen Zeiten gewünscht. Aber die haben wir gerade nicht, also muss ich damit umgehen. Mein Start ist geprägt von Sorgen: über die Wirtschaft allgemein, aber auch um die einzelnen Unternehmen, um unsere Mitglieder. Uns verbindet die Hoffnung, dass alle gut durch die Pandemie kommen. Diese schränkt auch unser Vereinsleben zwar stark ein, aber ich glaube ernsthaft, dass auch in dieser Krise ein paar Chancen liegen.

Welche denn?
Wir haben bemerkt, dass unsere Mitglieder näher herangerückt sind an den Verein. Die Netzwerke sind stärker geworden, weil der Wunsch nach Austausch mit anderen Betroffenen wichtiger geworden ist. Dafür bieten wir ja die geeigneten Plattformen. Außerdem haben wir mit viel Experimentierfreude digitale Veranstaltungsformate ausprobiert. Jetzt sind wir dabei, die besten davon weiter zu entwickeln – nicht nur, weil die Pandemie womöglich länger dauert, sondern auch, weil damit eine große Effizienzsteigerung verbunden ist.

Welche digitalen Veranstaltungsformate haben sich bei Ihnen bewährt?
Wir haben beim VBKI unterschiedliche Veranstaltungsziele. Mal geht es eher um die Vermittlung von Inhalten, also um Informationsweitergabe. Da berichten Persönlichkeiten aus der Politik oder Wirtschaft einem Publikum und beantworten Fragen. Das kann man relativ leicht auch digital organisieren, als Videokonferenz oder in einem Podcast. Wir haben aber auch gute Erfahrungen gemacht mit eher geselligen oder informellen Treffen …

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Wie genau?
Wir haben zum Beispiel eine Küchenparty in kleinerem Kreis veranstaltet. Die Teilnehmer standen in ihren jeweiligen Küchen zu Hause und wir haben gemeinsame unter Anleitung eines Kochs eine Suppe gekocht. Das hat eine besondere persönliche Note gebracht, weil wir uns sonst wohl nicht in die Privatwohnung eingeladen hätten. Wir hatten auch eine Veranstaltung rund um den Brexit in Form einer Happy Hour mit Gin Tonic. Es gibt viele Möglichkeiten, auch im Digitalen, informelle Rahmen zu schaffen und mehr die Begegnung in den Vordergrund zu stellen als die Inhalte. Virtuelles Speeddating funktioniert auch gut.

Und doch lebt der VBKI mehr als 140 Jahre lang von den persönlichen Begegnungen.
Ja, die zufälligen informellen Begegnungen finden so nicht statt. Es fehlt ein wenig die Leichtigkeit und der gesellige Rahmen, den die Mitglieder bei uns kennen und schätzen. Wir sind angesichts der Impfungen optimistisch, dass wir das spätestens am 2. Oktober bei unserem Ball der Wirtschaft wieder bieten können.

[Zur Person: Claudia Große-Leege stammt aus Bremen. Nach ihrem BWL-Studium in Münster sammelte die Diplomkauffrau Industrieerfahrungen bei Airbus (damals EADS) und Südzucker, bevor sie während der Elternzeit selbst ein Unternehmen gründete. Im Jahr 2000 kam sie mit ihrer Familie nach Berlin. Ab Sommer 2013 führte sie die Geschäfte des Verbands deutscher Unternehmerinnen (VdU). Im September 2020 wechselte sie in die Geschäftsführung des VBKI, um die sie sich seit Dezember allein kümmert. Der 1879 gegründete Verein Berliner Kaufleute und Industrieller (VBKI) zählt mit 2300 Mitgliedern zu den wichtigsten Netzwerken der lokalen Wirtschaft. Der Verein veranstaltet jedes Jahr auch den „Ball der Wirtschaft“. ]

Udo Marin war 20 Jahre Mister-VBKI. Sie haben zur Übergabe eine Weile lang ihr Büro mit ihm geteilt. Wie war das so?
Ehrlicherweise waren wir beide vorher durchaus skeptisch. Wir kennen uns zwar seit Jahren und hatten uns beide eine Übergangsphase gewünscht, aber jeder von uns war sein Einzelbüro gewohnt. Plötzlich standen unsere Schreibtische gegenüber und wir fanden uns dieser WG-Situation wieder. Udo Marin ist aber ein unglaublich kooperativer und sympathischer Kollege, da haben wir die Übergangsphase sogar noch länger gestaltet als geplant. Wir hatten sehr viel Spaß.

Was haben Sie von Marin gelernt, was Sie nicht schon als frühere Managerin beim Verband der Unternehmerinnen wussten?
Vieles kannte ich natürlich aus meiner Zeit als Mitglied des VBKI und vor allem von meiner vorherigen Aufgabe beim VdU, zum Beispiel das Zusammenwirken von Hauptamt und Ehrenamt. Aber in den Wochen mit Udo Marin habe ich viele Mitglieder und Netzwerkpartner kennengelernt. Beim VBKI haben wir mehr als 250 Mitglieder, die sich sehr aktiv in Ausschüssen engagieren. Auch bin ich mit dem Zusammenspiel von bürgerschaftlichem Engagement und Politik vertraut – allerdings eher auf Bundesebene. Jetzt lerne ich Berlin besser kennen, auch dank Udos ausgezeichneten Kontakten.

Claudia Große-Leege im Ludwig-Erhard-Haus. Sie hütet das Büro beim VBKI, fast alle anderen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Geschäftsstelle sind im Homeoffice derzeit.
Claudia Große-Leege im Ludwig-Erhard-Haus. Sie hütet das Büro beim VBKI, fast alle anderen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Geschäftsstelle sind im Homeoffice derzeit.

© Doris Spiekermann-Klaas

Sie haben sicher auch schon die lokale Politik kennengelernt. Welchen Eindruck haben Sie gewonnen?
Ich war sehr erfreut darüber, dass bei allen politischen Gesprächen der VBKI als wichtiger Dialogpartner wahrgenommen wird. Das drückt sich auch darin aus, dass mehrere Parteien eingeladen haben, an den Wahlprogrammprozessen teilzunehmen. Man bringt uns Vertrauen entgegen und schätzt die Kompetenz der Personen in unseren Gremien.

Inwieweit ist oder wird diese Wirtschaftskrise auch zur Krise für den VBKI?
Zunächst trifft die Krise die Dienstleistungsstadt Berlin ja besonders hart – wegen des starken Hotel- und Gastgewerbes hier. Wenn 10 000 bis 12 000 Händler in Berlin und Brandenburg laut HBB durch die aktuellen Schließungen in Existenznot geraten, wird das nicht ohne Folgen bleiben, und dann werden wir das irgendwann auch bei unseren Mitgliedern sehen. Das ist aktuell aber nicht der Fall. Wir haben weiteren Mitgliederzuwachs erlebt.

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Ist der VBKI sogar Gewinner der Krise?
Das würde ich so nicht sagen. Aber wir schätzen uns glücklich, dass beispielsweise unsere gemeinnützigen Projekte und Initiativen wie die Berliner Lesepaten durch engagierte Partner und Sponsoren abgesichert werden – und auch durch unsere sehr erfolgreiche Auktionsgala. Derzeit haben wir elf solcher Projekte am Start, zwei weitere werden 2021 dazu kommen. Insofern sind uns weitere Förderer immer willkommen!

Der VBKI ist nicht die einzige Stimme der Wirtschaft in Berlin und Brandenburg. Wie wollen Sie durchdringen gegen Institutionen wie die Kammern IHK und HWK mit Zwangsmitgliedschaft oder die Unternehmensverbände UVB mit riesigen Industriekonzernen im Rücken?
Wir sind zwar der Verein der Berliner Kaufleute und Industrieller, aber wir sind keine klassische Wirtschaftsvertretung. Bei uns versammeln sich Bürger, die natürlich in der Wirtschaft aktiv sind, die aber ein Interesse daran haben, auf allen denkbaren Feldern Themen zu entwickeln. Wir beschäftigen uns intensiv mit Fragen der Mobilität, der Kultur oder Bildung und Soziales. Wir bedienen also ein deutlich breiteres Feld als andere Institutionen und sehen uns insofern auch nicht in Konkurrenz zu diesen.

VBKI-Geschäftsführerin Claudia Große-Leege in ihrem Büro im Januar 2021.
VBKI-Geschäftsführerin Claudia Große-Leege in ihrem Büro im Januar 2021.

© Doris Spiekermann-Klaas

Trotzdem werden Sie wegen Ihres Namens vorwiegend als Wirtschaftsverein wahrgenommen. Denken Sie über eine Namensänderung nach?
Ich glaube, Sie unterliegen einem Missverständnis – wie viele andere Leute auch: Nur, weil wir wie die Wirtschaft heißen, heißt das ja nicht, dass wir uns nicht auch für viele andere Dinge interessieren und engagieren. Es gibt ja auch viele Unternehmen, die sich kulturell oder sozial betätigen. Insofern sehe ich keinen Bedarf an einer Namensänderung. Allenfalls könnte man darüber nachdenken, ein weiteres „B“ für Brandenburg hinzuzufügen, denn unsere Aktivitäten sehen wir im Kontext der Metropolregion, die weit nach Brandenburg reicht.

Bundestagswahl, Wahlen zum Abgeordnetenhaus, womöglich mehrere Volksabstimmungen: Was ist im Berliner Superwahljahr das große Thema für sie?
Die Wahlen zum Abgeordnetenhaus bestimmen unsere Agenda in diesem Jahr. Wir werden auch wieder ein Symposium durchführen, bei dem wir unsere inhaltliche Tiefe präsentieren werden. Mit großem Interesse werden wir uns auch anschauen, welche Parteien sich als wirtschaftskompetent und innovativ darstellen. Das ist spannend, weil Wirtschaftspolitik immer auch Sozialpolitik ist. Eine investorenfreundliche Stadt, die sich zugleich mit Stadtentwicklung beschäftigt, schafft auch Raum für Kultur und Soziales, also für alle Bürger der Stadt.

Wenn wir in ungefähr 20 Jahren bei ihrem Abtritt auf den VBKI schauen: Wie wird dieser traditionsreiche Verein aussehen?
Ich sehe keine Kursänderung, aber Weiterentwicklungen. Wir werden ein stärker digital arbeitender Verein sein und das digitale Angebot entlang der Bedürfnisse unserer Mitglieder ausgebaut haben. Das Mitgliederwachstum wird sich weiter fortsetzen und dabei die Vielfalt der Stadt abbilden. Unser gesellschaftliches Engagement bleibt ein starker Schrittmacher für die Stadt – und findet hoffentlich weitere engagierte Förderer, die Projekte ermöglichen. Und: Im Jahr 2041 werden wir ein mindestens ebenso wichtiger Partner für die Politik sein wie heute.

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