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Eines der Opfer vor dem Neuköllner Späti liegt auf dem Boden. Auch der Mann mit der Bank ist vom Späti.

© privat

Vier Angriffe in 24 Stunden in Berlin: Angst vor Bandenkrieg zwischen Neuköllner Clan und Tschetschenen

Die Polizei befürchtet, dass die Überfälle vom Wochenende zum Bandenkrieg zwischen einer deutsch-arabischem Großfamilie und militanten Tschetschenen führen.

Nach den blutigen Auseinandersetzungen zwischen Männern des Remmo-Clans und militanten Tschetschenen befürchten Beamte einen Bandenkrieg in Berlin. Im Netz kursieren Bilder der aktuellen Schlachten - Schläge, Tritte, Messerstiche, Schreie.

Auf einem Handy-Video ist zu sehen, wie in Gesundbrunnen mehrere Männer auf einen am Boden liegenden Mann eintreten. Auf einem anderen Clip wird der Überfall auf den Späti in Nordneukölln gezeigt, in dem Angehörige der Remmos regelmäßig präsent sind. Zu sehen sind ein bewusstloser und ein verletzter Mann, zudem zerstörtes Mobiliar auf dem Bürgersteig.

Ein drittes Video, das dem Tagesspiegel ebenfalls vorliegt, zeigt einen stark blutenden Mann. Ihm wurde, so berichten Beamte, mit einem Messer in den Kopf gestochen. Die für Organisierte Kriminalität zuständige Abteilung 4 des Landeskriminalamtes (LKA) ermittelt.

Noch ist unklar, ob es um Revierkämpfe im Drogenhandel oder um verletzte Ehre geht. Beide Seiten beriefen sich in der Vergangenheit bei Konflikten zuweilen auf muslimische Traditionen, sprachen von "Ehre" und dem "Propheten". Religiöses spielte in Berlin insbesondere unter polizeibekannten Tschetschenen eine Rolle.

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Im Sommer mobilisierten Tschetschenen zum Bandenkrieg in Frankreich

Nach Tagesspiegel-Informationen wollen in Brandenburg und Sachsen lebende Tschetschenen ihren Berliner "Brüdern" helfen. Im Sommer hatten Tschetschenen in ganz Europa zu einem Bandenkrieg im französischen Dijon mobilisiert - dort waren Nordafrikaner ihre Gegner. Das LKA will "Reisebewegungen" beobachten. Insgesamt wurden bei den Überfällen am Wochenende elf Männer verletzt. Sechs russische Staatsbürger wurden vorübergehend festgenommen, sie sollen unbestätigten Angaben zufolge aus der semiautonomen Kaukasusregion stammen.

Mehrere Männer schlagen auf dem am Boden knieenden Mann ein.
Mehrere Männer schlagen auf dem am Boden knieenden Mann ein.

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Das Berliner LKA prüft vier Vorfälle mit Blick auf einen möglichen Clankrieg. Erstens: Vermummt hatten junge Männer am Samstagabend einen Spätkauf-Laden in der Wildenbruchstraße in Neukölln gestürmt, der dem Remmo-Clan zugerechnet wird. Wie berichtet sollen 30 Schläger mit Messern, Stühlen, Wasserpfeifen aufeinander losgegangen sein. Drei Männer - 16, 39 und 46 Jahre alt – wurden durch Schläge und Stiche teilweise schwer verletzt.

Nur hundert Meter in Richtung Sonnenallee befindet sich eine Polizeiwache: Sechs Verdächtige zwischen 17 und 31 Jahren wurden um circa 19 Uhr vorläufig festgenommen. Männer des aus dem Libanon stammenden Remmo-Clans sollen den Laden „de facto“ betreiben, heißt es von Beamten, die deutsch-arabische Familie ist vielerorts in Neukölln aktiv.

Attacke auf den Spätkauf in Neukölln. Zwei Männer (r.) flüchten, am Baum liegt ein Opfer des Angriffs
Attacke auf den Spätkauf in Neukölln. Zwei Männer (r.) flüchten, am Baum liegt ein Opfer des Angriffs

© privat

Die Ermittler gehen davon aus, dass die Attacke auf den Späti zu einem Racheakt am Bahnhof Gesundbrunnen führte. Zeugen berichteten der Polizei, dass sich fünf Personen auf der Straße an einem Porsche unterhielten, als sich drei Wagen näherten und zehn Personen ausstiegen. Die hinzugekommenen Männer hätten mit Messern und Schlagstöcken angegriffen.

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Am Sonntagabend folgte der nächste Kampf, wieder in Gesundbrunnen im Berliner Altbezirk Wedding. Circa 20 arabischsprechende Männer griffen gegen 17.30 Uhr zwei Männer an. Ein Video des Vorfalls zeigt, wie drei Männer auf dem Parkplatz vor dem Bahnhof auf einen 31 Jahre alten Mann eintraten – der Tschetschene war zwischen zwei Fahrzeugen eingekeilt. Aufgenommen wurde das Video aus einem langsam fahrenden Auto.

Einer der mutmaßlichen Männer vom Spätkauf kommt seinen Kumpanen zu Hilfe. Er hat ein Hammer in der Hand.
Einer der mutmaßlichen Männer vom Spätkauf kommt seinen Kumpanen zu Hilfe. Er hat ein Hammer in der Hand.

© privat

In der Nähe, so ist es in dem Clip zu sehen, schlugen Männer von hinten auf einen am Boden liegenden Mann ein. Er versuchte auf allen Vieren zu fliehen, brach aber zusammen. Dazu stach ihm ein Mann mit einem Messer in den Rücken. Das Opfer wurde später als 43 Jahre alter Tschetschene identifiziert. Ein drittes Video zeigt, wie Zeugen dem blutenden Mann halfen.

Messerstich am Brunnenplatz vor dem Amtsgericht Wedding

Ebenfalls am Sonntagabend gab es eine vierte Attacke, diesmal am Brunnenplatz vor dem Amtsgericht Wedding. Das LKA prüft, ob dieser Fall ebenfalls den Auseinandersetzungen zwischen Remmo-Clan und Tschetschenen zuzurechnen ist. Ein 34-Jähriger, laut Polizei russischer Staatsbürger, soll gegen 20.45 Uhr nach einem Streit mit zwei oder drei Männern mit einem Messer attackiert worden sein. Er wurde durch einen Stich am Oberkörper verletzt. Der Mann ließ sich mit einem Taxi in ein Krankenhaus bringen.

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Kämpfe zwischen Familien im Clan-Milieu, mitunter auch zwischen ethnisch organisierten Banden, gibt es immer wieder. Mal geht es um Geschäftliches, mal um vermeintliche Fragen der Ehre. Vermutet wird, dass die Tschetschenen sich in der Milieuhierarchie nicht den deutsch-arabischen Platzhirschen unterordnen wollen.

Die aus dem Libanon stammenden Clans sind in Berlin seit 30 Jahren aktiv, viele Cliquen aus dem Kaukasus gerade zehn Jahre. Bislang waren die Tschetschenen-Banden in Berlin als Dienstleister und Handlanger unterwegs. Sie erledigten etwa Jobs als Geldeintreiber.

Hier sticht der knieende Mann dem am Boden liegenden Tschetschenen in den Rücken.
Hier sticht der knieende Mann dem am Boden liegenden Tschetschenen in den Rücken.

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Die stadtweit präsente Großfamilie Remmo ist selbst für das Clanmilieu ungewöhnlich groß. Die Remmos wurden bekannt, weil Angehörige 2017 in Britz einen Mann erschlagen haben sollen (wofür der Angeklagte frei gesprochen wurde). Zwei Cousins sind wegen des Diebstahls der Goldmünze aus dem Bode-Museum verurteilt worden, bei einem ist das Urteil schon rechtskräftig. Zuvor sprengte ein Familienmitglied eine Sparkasse. Wegen Schlägereien und Waffenverstößen fallen Remmo-Männer seit Jahren auf.

Nicht der erste Streit zwischen den Remmos und Tschetschenen

Imbisse, vermietete Wohnungen, Einzelhandel: Im kriminellen Milieu bekannte Remmo-Angehörige haben in den vergangenen Jahren versucht, Geld im hippen Norden des Bezirks anzulegen. Nach jahrelangen Ermittlungen des Landeskriminalamts waren im Sommer 2018 mehr als 70 Immobilien, die der Familie zugerechnet werden, wegen Geldwäscheverdachts konfisziert worden.

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Streit zwischen der Großfamilie Remmo und jungen Tschetschenen hatte es zuletzt 2018 in einer Autowerkstatt in Tempelhof gegeben. Ein Tschetschene schlug einen Sprössling des Clans nieder. Zum darauf folgenden Prozess begleiteten Personenschützer des LKAs den Tschetschenen.

Auch der Rapper "Capital Bra" wurde im tschetschenisch-arabischen Spannungsfeld aktenkundig - als Betroffener allerdings. Weil sie ihm vor Jahren einmal geholfen hatten, forderten Angehörige des "El-Zein"-Clans mutmaßlich 500.000 Euro von dem Musiker. Um Capital Bra ausfindig zu machen, soll der Clan die Dienste junger Tschetschenen genutzt haben. Die Tschetschenen hatten jedoch keinen Erfolg - der Musiker ging zur Polizei.

Die Ermittler schließen nicht aus, dass die Tschetschenen-Banden nun selbst Geschäfte ihrer vormaligen Auftraggeber übernehmen wollen. Sie würden inzwischen "eigene illegale Geschäftsfelder, zum Beispiel den Rauschgifthandel, für sich beanspruchen", heißt es in einem Vermerk des LKA. Im Umfeld der Tschetschenen registrieren Beamte zunehmend Verdächtige mit "dagestanischer, turksprachiger und zentralasiatischer" Herkunft. Sie verfügen zuweilen "über einschlägige Erfahrungen aus bewaffneten Konflikten", wie es im LKA heißt.

Kriegserfahren und mit Hang zu Gewalt und Waffen

Die Jüngeren dieser Männer waren als Dschihadisten in den Kriegen in Irak und Syrien aktiv, die Älteren in den Tschetschenien-Kriegen der 1990er-Jahre. Einige haben sich, so berichten Kenner, an den postsowjetischen Kriegen in Abchasien, Ossetien, der Ukraine, Tadschikistan und Usbekistan beteiligt.

Ein weiteres Problem für die Ermittler: Kriminelle Tschetschenen weisen „einen ungewöhnlichen Zusammenhalt auf“, wie es polizeiintern heißt. „Die Szene zeichnet sich weiterhin durch ein rigoroses Sanktionierungssystem und eine bemerkenswert formelle wie informelle transregionale Vernetzung aus“, stellt das LKA offiziell fest. Hinzu kommen „ein ausgeprägter Ehrbegriff, eine hohe Gewalt- und Waffenaffinität sowie eine geringe Akzeptanz staatlicher Autorität“.

Statistisch lässt sich kaum belegen, ob Tschetschenen kriminologisch gesehen auffälliger sind als andere Gruppen, da es keine tschetschenische Staatsbürgerschaft gibt. Tschetschenen leben nicht nur in Tschetschenien, jener Teilrepublik Russlands, sondern auch in Dagestan und Inguschetien – sie haben russische Pässe.

Gewerkschaft der Polizei: "Keine Skrupel"

"Wir haben schon länger mit derartigen Auseinandersetzungen zwischen arabischstämmigen Gruppierungen und Tschetschenen gerechnet, da letztere sich nicht mehr als Söldner anstellen lassen wollen, sondern selbst ein großes Stück vom Kuchen haben möchten", sagte Benjamin Jendro von der Gewerkschaft der Polizei (GdP) in Berlin. Es gehe um Personen, für die Kampferprobung zur Erziehung gehöre: "Dass sie eine bekannte arabische Großfamilie praktisch in den eigenen vier Wänden in Neukölln heimsuchen, zeigt uns, dass sie keine Skrupel davor haben, den Kampf um lukrative Geschäftsfelder der Organisierten Kriminalität auf die Straße zu bringen."

Schon 2016 gründeten 30 Männer, vorwiegend Tschetschenen, eine Bande im Stil eines Rockerclubs - die "Guerilla Nation Vaynakh".

"Vaynakh" bedeutet auf Tschetschenisch etwa "Volk", beschreibt dabei aber die Allianz der sunnitisch-muslimischen Kaukasus-Nationen der Tschetschenen und Inguschen. Aufgabe der Truppe war "die des gewaltbereiten Vollstreckers", wie LKA-Ermittler notiert haben. Im Mai 2017 haben Männer dieser Gruppe mit Maschinenpistolen auf ein von Albanern geführtes Café in Berlin-Wedding gefeuert. Offenbar, so heißt es, ging es um Streit im Drogenmilieu.

Tschetschenen, Clans und die organisierte Kriminalität

Auch untereinander lieferten sich Tschetschenen zuletzt Revierkämpfe. Im August 2018 kam es an einem tschetschenischen Kulturzentrum in Reinickendorf zu einem Schusswechsel mit Pistolen und Revolvern, beteiligt waren zwei konkurrierende Gruppen.

Ermittler gehen auch dabei von Revierkämpfen aus, es soll Streit um lukrative Plätze im Drogenhandel gegeben haben. Das LKA ermittelte wegen versuchten Totschlags gegen 16 Tatverdächtige mit russischer Staatsangehörigkeit. Darunter 13 Tschetschenen, zwei Inguschen und ein Kalmücke - alles Nationalitäten in der russischen Föderation.

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