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An einem Strang. Deutsche-Bahn-Manager Martin Seiler und Richard Lutz hissen die Regenbogenflagge.

© Deutsche Bahn AG

Vielfalt in Landeseigenen Betrieben: Der queere Standort

Landeseigene Betriebe und Privatunternehmen üben Toleranz. Das Hissen der Regenbogenflagge ist ein Anfang. Da geht noch mehr.

Netzwerker gibt es viele in Berlin. Aber kaum jemand bringt derzeit durchs Networking so viel Schwung in die Arbeitswelt wie Stuart B. Cameron. Dabei ist seine Agentur Uhlala mit Sitz am S-Bahnhof Schönhauser Allee mit zehn Mitarbeitern noch überschaubar groß. Bekannter als der Firmengründer mit halb-schottischen Wurzeln, sein Team oder seine Firma sind einige Plattformen, Formate, und Netzwerke, die sie pflegen – allen voran die „Sticks & Stones“, eine Karrieremesse für die Szene der „LGBTI“. Dieses Akronym steht für Lesben, Schwule (Gay), Bisexuelle, Transgender und sonstige sexuelle Orientierungen.

Im Juni feierte die Messe ihr zehnjähriges Jubiläum mit rund 3000 Teilnehmern und 100 ausstellenden Firmen, Behörden und Organisationen. Sie gilt als größte Jobmesse ihrer Art in Europa. Seit 2016 veranstaltet Uhlala auch in München eine jährliche „Sticks & Stones“. Bei der Premiere im Jahr 2009 trieb Cameron ein simpler Gedanke: „Ich wollte wissen, welchen Unternehmen es wirklich egal ist, ob man homo oder hetero ist.“

Er selbst habe erfahren, dass es leider nicht überall egal ist. Personen der LGBTI-Gruppen würden in ihrem beruflichen Leben stark benachteiligt, erklärt Cameron. Zum Beispiel würden sie nur halb so oft zu Bewerbungsgesprächen eingeladen wie Heterosexuelle. Und laut einer OECD-Studie würden Beschäftigte dieser Gruppen im Durchschnitt vier Prozent weniger als ihre heterosexuellen Kollegen verdienen und seien zu elf Prozent seltener in einer hohen Führungsposition tätig. Um dem entgegenzuwirken betreibt Camerons Uhlala unter anderem auch „Alice“, ein Karrierenetzwerk für Juristen oder „Unicorns in Tech“, eine Community für die Technologiebranchen oder den „Pride Breakfast Club“. Das jüngste Kind von Uhlala ist Proudr, eine digitale Karriereplattform ähnlich dem Angebot von Xing und Linkedin.

In den meisten großen Unternehmen ist längst angekommen, dass es sich in vielerlei Hinsicht auszahlt, wenn man als Arbeitgeber möglichst offen für unterschiedlichste Vorlieben und Lebensentwürfe der Mitarbeiter ist. Nicht nur die deutschen Niederlassungen der US-Tech-Konzerne von Amazon bis Google, wo Diversity schon länger zum guten Ton gehört, pflegen intern LGBTI-Netzwerke und präsentieren sich entsprechend stolz nach außen. Bei der „Charta der Vielfalt“, in der sich Firmen zu Werten der Toleranz bekennen, sind große Weltkonzerne wie Siemens, Bayer oder Deutsche Bank engagiert – und kleinere und mittelständische.

Freude auch über kleine Schritte

In der Berliner „Charta“-Geschäftsstelle freut man sich auch über kleine Signale der Toleranz, zum Beispiel darüber, dass der Vorstandschef Richard Lutz und Personalvorstand Martin Seiler der Deutschen Bahn dieser Tage die Regenbogenflagge vor dem Hauptbahnhof gehisst haben. „Auch wenn sicherlich in den Vielfaltsdimensionen Geschlecht und geschlechtliche Identität und sexuelle Orientierung in den vergangenen Jahren vieles erreicht wurde, so sind wir längst nicht am Ziel angelangt“, meint Aletta Gräfin von Hardenberg, Geschäftsführerin der Charta der Vielfalt. Es sei wichtig, dass noch mehr Organisationen erkennen, dass ein offener Umgang auch mit diesen Dimensionen entscheidend sei. Nur so entstehe ein wertschätzendes Arbeitsklima, das viel Motivation und Engagement freisetze.

Uhlala-Gründer Stuart B. Cameron weist darauf hin, dass sein Freund und er auch 50 Jahre nach den „Stonewall-Aufständen“ in New York (die Anlass waren für die späteren Christopher-Street-Day-Paraden) als schwuler Mann in mehr als 70 Ländern immer noch ins Gefängnis kommen könne. „Allein hier in Berlin, in einer der tolerantesten Metropolen, sind 2018 über 300 LGBTI auf der Straße geschlagen, angespuckt oder getreten worden“, sagt Cameron. Man sei noch lange nicht am Ziel.

Vielfalt in der Wirtschaft und der Welt

Der amtierende rot-rot-grüne Senat engagiert sich mehr als wohl alle bisherigen Berliner Landesregierungen – die unter Führung des offen schwulen Klaus Wowereit (SPD) eingeschlossen – für mehr Vielfalt, speziell auch in der Wirtschaft. „Berlin ist Regenbogenhauptstadt und Sehnsuchtsort für viele queere Menschen“, meint Wirtschaftssenatorin Ramona Pop (Grüne). Berlins Wirtschaft profitiere davon – müsse aber auch selbst mit gutem Beispiel voran gehen. „Diversity beflügelt Innovation und ist ein Wachstumsmotor. Das muss sich in den Strukturen wiederfinden – reine Lippenbekenntnisse genügen nicht. Da erwarte ich von großen Konzernen nicht nur Sichtbarkeit auf dem CSD in Berlin, sondern auch klare Kante in Ländern, wo so ein Engagement nicht unumstritten ist“, so Pop. „Mich besorgt zum Beispiel die aktuelle Lage in Polen, wo nur wenige Kilometer von Berlin entfernt offen homophobe Hetze betrieben wird.“

Pop hatte sich im März kräftig aufgeregt, nachdem auf der Tourismusmesse ITB ein Minister des Partnerlandes Malaysia mit homophoben Äußerungen aufgefallen war. Pop forderte daraufhin die Chefs der landeseigenen Messegesellschaft auf, den Prozess zur Auswahl der Partnerländer transparent zu machen und das Verfahren neu zu entwickeln. Mittlerweile habe man sich darauf verständigt, dass ab dem Jahr 2022 alle ITB-Partnerland-Bewerber einen „Code of Conduct“ für Geschäftspartner der Messe Berlin unterzeichnen.

Lehren aus ITB-Kontroverse

Alle künftigen Partnerländer müssen der Messe Berlin zusichern, dass Reisende in ihrer Destination weder wegen ihres Geschlechts, ihrer Religion, ihrer sexuellen Orientierung noch ihrer Herkunft diskriminiert werden. Zusätzlich fordert die Messe Berlin eine detaillierte Strategie, wie die entsprechenden Anti-Diskriminierung-Maßnahmen im jeweiligen Land umgesetzt werden. Bewerber müssen künftig auch einen Aktionsplan vorlegen, in dem verschiedene nachhaltige Projektideen verfasst sind. heißt es. Diese sollen in dem Jahr ihres Partnerland-Status gemeinsam mit der ITB Berlin kommuniziert und von dem jeweiligen Land umgesetzt werden.

Pops Verwaltung fragt auch regelmäßig bei den anderen großen Landesbetrieben ab, was diese für die Diversität tun, wobei die meisten nicht erst seit Pops Antritt vor zweieinhalb Jahren im Zeichen des Regenbogens aktiv sind. Verkehrs- und Wasserbetriebe sind mit eigenen Trucks beziehungsweise einem Boot beim CSD unterwegs und auch sonst sehr engagiert. Die Stadtreinigung BSR lässt jedes Jahr ein eigene Sprüche-T-Shirts für die Mitarbeiter bedrucken, die am Morgen nach dem Christopher-Street-Day (CSD) aufräumen. 2018 bekannten sich so 130 Stadtreiniger „Für euch gehen wir auf die Straße“. Wie andere Betriebe, sucht auch die BSR mit einem extrem hohen Männeranteil dringend motivierte Mitarbeiter jedweder Orientierung – und präsentiert sich auch deshalb auf Stuarts Camerons Messe Sticks & Stones.

Gemeinsam mit der Charta der Vielfalt veranstaltet der Tagesspiegel-Verlag auch in diesem Jahr wieder die „Diversity-Konferenz“ mit Experten aus Wirtschaft, Gesellschaft, Politik und Wissenschaft. Diesmal am 14. und 15. November. Infos unter www.diversity-konferenz.de

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