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Osterhase im Grünen.

© dpa

Vielfalt des Gründonnerstags: 50 Shades of Grün

Zwischen Grünau und Grunewald gibt es ein Spektrum zu entdecken: das Farbmenü vom heutigen Bio-Donnerstag bis Karfreitag.

Nur etymologische Besserwisser versuchen noch krampfhaft, in den rätselhaften deutschen Namen des Donnerstags vor Ostern sonstwas reinzuspekulieren. Der Normalmensch zwischen Grünau und Grunewald gibt sich einfach damit zufrieden, dass so eine schöne Farbe vierundzwanzig Stunden ganz für sich allein gewürdigt wird, obwohl die Verbreitung ihres Spektralbereichs, Lichtwellenlängen von 560 nm ( = Nanometer) bis 490 nm, sich im öffentlichen Raum bis dato kaum durchsetzen kann.

Freilich ist Grün auch kein neutraler optischer Reiz, sondern der Überlieferung nach das Lieblingskolorit des Propheten Mohammed; es bestimmt aber ebenso den ausgelassenen St. Patrick's Day unserer Mitbürger von der grünen Insel, welcher gerade erst ohne irgendwelche negativen Vorfälle zelebriert werden durfte am kümmerlich ergrünten Strand der Spree.

Für die Jahreszeit, soviel Meckern darf sein, ist momentan nämlich irgendwie alles viel zu grau. Zwar tragen die Quadriga auf dem Brandenburger Tor und der Rotarmist am sowjetischen Ehrenmal Kupfergrün, zwei Sowjettanks davor geben sich olivgrün, aber: Die Natur lässt sich Zeit. Der düstere Friedhofs-Teint auf Buchsbäumen und ähnlichem Immergrüngestrüpp macht noch lange keinen Lenz. Am weitesten scheinen die Sträucher mit dem zartesten Hellgrün ihrer kaum entfalteten Winzblättlein vorgeprescht zu sein, die meisten Bäume im Tiergarten und Unter den Linden bestehen jedoch auf nackigem Winterschwarz.

Weshalb Paul Linckes legendärer Song „Solang noch Untern Linden“ angesichts mancher Schwankungen des hundertjährigen Kalenders recht weise damit endet, dass die existenzielle Hoffnung von der äußeren Promenadenblüte ins Innerste des Berliner Charakters verlagert wird: „Wenn keiner treu dir bliebe, ich bleib dir ewig grün…“

Lebensbaum. Das "Triumphkreuz" von 1485 in der Nikolaikirche, die zum Stadtmuseum gehört.
Lebensbaum. Das "Triumphkreuz" von 1485 in der Nikolaikirche, die zum Stadtmuseum gehört.

© Kitty Kleist-Heinrich

Das Zartgrün der Sträucherknospen mit dem Kahlschwarz der Bäume illustriert von Bio-Donnerstag bis Karfreitag die grünschwarze Stimmungskoalition dieser Woche. Wie es darüber hinaus unter den Dächern der Stadt mit unserer Liebe zum jrienen Dekor aussieht, wäre dann eine andere Tasse grüner Tee. Das „Triumphkreuz“ von 1485 in der Nikolaikirche beispielsweise ist saftiggrün bemalt, die historisch verbürgte Farbgebung bezeichnet den Foltergalgen als „lignum vitae“ (Lebensbaum); nach Ansicht der Kunsthistoriker soll sogar die Dornenkrone des gepeinigten Cruzifixus, der daran hängt, ursprünglich grün gewesen sein. Wer eine Symbolik dieser Art nachvollziehen möchte, muss wohl wenigstens ein bisschen daran glauben, dass die Weltordnung der Folterer überwunden werden kann.

„Alle Welt sich des erfreutet, sich verjünget und erneuet. Alles, was lebt weit und breit, ziehet an sein grünes Kleid“ hat ein barocker Dichter solche Neuanfangs-Zuversicht in seinem Osterlied („Jesus unser Trost und Leben“) ausgedrückt: ein Zeitgenosse des Thomaskantors, der diese Verse vertonte, Bachs einzige selbstkomponierte Osterchoralmelodie. Andere Erwartungen an die grünschwarze Woche mögen beim Ferienkicken, Gärtnern, Picknicken oder Eier-Verschönen prosaischer daherkommen. Wer auch immer sich dieser Tage auf dem Bolzplatz oder im Rasenmatsch mit Gras und Erde oder beim Pinseln mit grüner Farbe eingesaut hat, wird von der unerbittlichen Osterputzpolizei vielleicht nicht gleich in die Grüne Minna verfrachtet, aber gewiss – in die Wanne.

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