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Nach dem neuen Berliner Versammlungsgesetz darf jetzt der Versammlungsleiter Platzverweise erteilen.

© Christoph Soeder/dpa

Viel gewollt, aber nicht gekonnt: Rot-Grün-Rot muss das Berliner Versammlungsgesetz reparieren

Das Berliner Demo-Gesetz zeigt eine neue Härte – und ist zugleich eines der liberalsten Deutschlands. Nun offenbaren sich seine Schwächen. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Alexander Fröhlich

Berlin und der 1. Mai – eine lange Geschichte. Seit 1987 gibt es am Vorabend und am Tag selbst Gewalt und Auseinandersetzungen mit der Polizei. Vor allem bei der „Revolutionären 1. Mai Demonstration“. Damit ist auch diesmal zu rechnen. Unter den erwarteten bis zu 20.000 Teilnehmern könnten nach Einschätzung der Polizei 500 gewaltbereite Linksextremisten sein.

Bemerkenswert sind in diesem Jahr zwei Dinge. Zum Ersten, dass die Veranstalter der linken Demo erneut Antisemiten dulden, die bereits in den vergangenen Wochen bei mehreren Aufzügen palästinensischer Organisationen offen ihren Judenhass auf Berlins Straßen herauskrakeelten – und dass niemand sie stoppte. Und zum Zweiten das von SPD, Grünen und Linken in Berlin durchgesetzte Versammlungsfreiheitsgesetz.

Vor einem Jahr hatten Veranstalter und Teilnehmer kein Problem damit, dass skandiert wurde: „From the River to the Sea, Palestine Will Be Free.“ Soll heißen, zwischen Jordan und Mittelmeer muss Israel ausgelöscht werden. Und die dort lebenden Juden? Das Demonstrationsbündnis nimmt für sich zwar in Anspruch, nicht antisemitisch zu sein, nennt Israel aber ein „Apartheidsregime“.

Die Polizei rechnet auch damit, dass durchaus gewaltbereite Teilnehmer der antisemitischen Demonstration, die für Freitag geplant war und verboten wurde, auch am Abend des 1. Mai von Neukölln nach Kreuzberg mitmarschieren.

Die Veranstalter des linken Traditionsaufzugs werden sich dann genau überlegen müssen, ob sie antisemitische Parolen noch dulden und was sie damit – möglicherweise bewusst – riskieren. Denn das gerichtlich bestätigte Verbot der Antisemiten-Demonstration zeigt nun klare Grenzen auf: Der Staat, die Bürger müssen Antisemitismus und Gewalt auf Berlins Straßen nicht hinnehmen.

Regierungsparteien wollten mit dem Gesetz ein klares Zeichen setzen

Möglich ist das durch das Versammlungsfreiheitsgesetz, das im Februar 2021 von der Koalition aus SPD, Grünen und Linken durchgesetzt wurde. Es macht klar, dass das Demonstrationsrecht nicht für Hass und Hetze missbraucht werden darf, so wie es vor einer Woche bei palästinensischen Aufzügen geschah, als Polizisten angegriffen und Juden verunglimpft wurden.

Die Regierungsparteien wollten mit dem Gesetz ein klares Zeichen setzen. Auch ein Verbot des jedes Jahr vom Mullah-Regime im Iran gegen den Staat Israel ausgerufenen Al-Quds-Tag schien möglich. Nötig wurde es im vergangenen und in diesem Jahr nicht, weil die Anmelder den Aufzug abgesagt hatten.

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Diese neue Härte ist die eine Seite im Gesetz. Auf der anderen Seite gilt es als eines der liberalsten in der Bundesrepublik. Das Grundrecht auf Versammlungsfreiheit sollte gestärkt werden.

Grüne und Linkspartei sind dabei gerade der linken Klientel entgegengekommen. Fachleute hatten dabei aber vor vielerlei unklaren Regelungen, handwerklichen Fehlern und unübersichtlichen Paragrafen gewarnt – und vor Unsicherheit für die Polizei.

Versammlungsleiter darf jetzt Platzverweise erteilen

Praktisch zu beobachten war das vor einer Woche. Der Leiter der antisemitischen Demonstration schloss Journalisten von der Versammlung aus. Nach dem bislang auch in Berlin gültigen Versammlungsgesetz entschied die Polizei, ob jemand eine Demonstration verlassen muss, wenn er diese erheblich stört.

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Jetzt darf das per Berliner Gesetz sogar der Versammlungsleiter. Eine Privatperson kann in aller Öffentlichkeit anderen einen Platzverweis erteilen. Und zwar nicht nur Teilnehmern, sondern auch sonstigen Menschen und Journalisten. Polizisten müssten das dann umsetzen. Das ist – so muss man es nennen – völlig gaga.

Dabei war die Koalition vor derlei gewarnt. Die Polizei ist nun sogar bereit, in Konfrontation zu gehen: nämlich den Ausschluss von Journalisten zu verweigern und sich dafür von Veranstaltern verklagen zu lassen. Allein um Rechtssicherheit zu bekommen. Weil die Politik viel wollte, es aber nicht konnte. Sie sollte sich ans Reparieren machen.

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