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Passanten nutzen in Berlin am Bahnhof Südkreuz einen Eingang der mit "Pilotprojekt zur Gesichtserkennung" gekennzeichnet ist.

© dpa

Videoüberwachung: De Maizière weist Kritik an Experiment zurück

Der Probelauf zur automatischen Gesichtserkennung in Berlin ist stark umstritten. De Maizière hält die Datenerfassung für unbedenklich.

Wenn der Berliner Künstler Padeluun die Eingangshalle am Südkreuz betritt, weiß er, dass sein Gesicht gefilmt und die Aufnahme zum Abgleich an eine Datenbank geschickt wird. Er ist sich bewusst, dass der kleine chipförmige Transponder in seiner Tasche von den Sensoren am Eingang erfasst wird, die Maschinen also sein Ein- und Ausgehen registrieren. Bis vergangene Woche dachte der Aktivist vom Verein Netzcourage e.V., das seien die einzigen Daten, die im Rahmen der Gesichtserkennung erfasst würden. Die Einverständniserklärung für das Experiment hatte er sich genau durchgelesen und für unproblematisch befunden. Dann öffnete er zusammen mit Vereinskollegen den Transponder und las mithilfe einer frei zugänglichen App die Signale des Chips aus. Neigungswinkel, Temperatur und Beschleunigung zeigte die App an. Seine Vorstellung, dass es sich um einen RFID-Chip ohne eigene Stromversorgung handele, der nur passiv Signale aussendet, stellte sich als falsch heraus.

Daten werden nicht gespeichert

Seit dem 1. August läuft das Experiment zur Gesichtserkennung am Berliner Südkreuz. Neben Padeluun nehmen 299 Freiwillige daran teil. Die Probanden tragen Transponder in ihrer Tasche, um die Trefferquote der drei verschiedenen Kameraabgleichverfahren im Test bewerten zu können. Doch der sogenannte iBeacon, den Bundespolizei, Bundesinnenministerium und Bundeskriminalamt einsetzen, kann mehr: Nach Angaben des Bundesinnenministeriums übermittelt er nur Batteriestand, Beschleunigung und Temperatur. Letzteres allerdings werde gar nicht erst eingelesen, die Transponder würden keinerlei Daten speichern. Dadurch könne die Bundespolizei auch keine Daten im Nachhinein auslesen und Bewegungsprofile erstellen, wie Datenschützer befürchteten. Zuletzt hatte Bundesdatenschützerin Andrea Voßhoff das Innenministerium aufgefordert, nachträglich neue Einverständniserklärungen einzuholen oder den Versuch andernfalls abzubrechen.

De Maizière setzt auf moderne Technologie

Bundesinnenminister Thomas de Maizière durchlief am Donnerstagvormittag selbst den Gesichtskontrollbereich in der Westhalle des Südkreuzes, die mit Aufklebern auf dem Fußboden gekennzeichnet ist, und stellte sich danach der Kritik. „Sensoren, die zusätzliche Daten erfassen, wurden vorher inaktiv gestellt“, sagter er. Die Kritik Voßhoss wies er zurück, da sie auf „fehlerhafter Vorinformation“ beruhe und betonte das große Potential des Experiments. „Es geht darum, die Treffsicherheit zu überprüfen. Sollte diese höher sein, ist es dringend geboten, diese Technologie auch einzusetzen.“ Die bisherigen Ergebnisse seien „erstaunlich treffgenau".

Bundesdatenschützerin: Bundespolizei beging Versäumnis

Für die Bundesdatenschützerin hingegen geht es nicht nur um die technischen Feinheiten des Chips, sondern um eine Grundsatzfrage: „Auch wenn die Informationen, die der Transponder aussendet, datenschutzrechtlich nicht besonders sensibel sind, ist das Versäumnis der Bundespolizei, die Testteilnehmer hinreichend zu informieren, keine Lappalie.“ Auch sie hatte dem Experiment zunächst zugestimmt. Dennoch fehle eine verfassungskonforme Gesetzesgrundlage, sollte es zu einem flächendeckenden Einsatz einer der drei am Südkreuz getesteten Technologien kommen.

Demonstranten: Videoüberwachung ist ineffektiv

Am Südkreuz fahren derweil Demonstranten in Tigermützen, Masken und Sonnenbrillen die Rolltreppen am Südkreuz auf und ab. Eine von ihnen ist Claudia Simon, Bundestagskandidatin der Piratenpartei. Sie empfindet das Vorgehen des Bundesinnenministeriums als Vertrauensbruch. Die Teilnehmer des Experiments hätten sich auf die RFID-Technologie eingelassen ohne von den zusätzlichen Funktionen des Chips zu wissen. „Wir wissen doch: Ausspähen unter Freunden geht gar nicht“, sagt sie. Sie ziehe „freundliche Polizeibeamte“ vor, halte Videoüberwachung für ineffektive „Sicherheitsesoterik“. Wer Überwachung entgehen wolle, könne das etwa durch Kapuzen.

Buschkowsky: Gezielt Straftäter finden

Heinz Buschkowsky, ehemaliger Bezirksbürgermeister und Mitbegründer der Bürgerinitiative für mehr Überwachung im öffentlichen Raum, hält dagegen, dass ohnehin schon im öffentlichen Raum gefilmt werde, wenn auch ohne Gesichtsabgleich. Das bestätigen die Zahlen des Bundesinnenministeriums: 560 Kameras sind in neun Berliner Großbahnhöfen angebracht. Wer am Südkreuz ein- und ausgeht wird bereits jetzt gefilmt. Die Daten werden allerdings nur bei tatsächlichen Anlässen gesichtet. Die Befürchtungen der Testteilnehmer findet Buschkowsky „albern“. „Wenn ich eine der Testpersonen wäre, wäre es mir völlig egal, dass jemand weiß, welche Temperatur ich am 24. August hatte.“ Schließlich gehe es bei dem Versuch genau darum, Bewegungsprofile zu erstellen, um etwa Gefährder ausfindig zu machen. Gezielte Verfahren zur Erkennung von Einzelpersonen oder Zusammenrottungen gehören für ihn zu einer modernen Polizei dazu, vor allem im Hinblick auf international mobile Terroristen. Wenn man mit Kreide und Schiefertafel nach Straftätern suche, dann könne man lange fahnden.

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