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Eine S-Bahn der Linie S7 am Hackeschen Markt in Berlin.

© IMAGO / Rüdiger Wölk

Verzögerungen bei Milliardenprojekt: Alstom klagt gegen Ausschreibung für neue Berliner S-Bahn-Züge

Der französische Riesenkonzern geht vor dem eigentlichen Start des Verfahrens juristisch dagegen vor. Es geht um bis zu elf Milliarden Euro.

Alstom klagt nach Informationen des Tagesspiegels gegen die gerade angelaufene Ausschreibung der Berliner S-Bahn zum Bau und Betrieb der neuen Züge. Damit drohen weitere Verzögerungen des Milliarden-Projektes. „Am 24.6.2021 wurde bei der Vergabekammer des Landes Berlin ein Nachprüfungsantrag zum Vergabeverfahren gestellt“, sagte ein Sprecher von Wirtschaftssenatorin Ramona Pop (Grüne).

Aus Geheimhaltungsgründen nannte der Sprecher nicht den Namen der Firma. „Der Name der Verfahrensbeteiligten – einschließlich des Antragstellers – sind daher vertraulich zu behandeln und dürfen der Öffentlichkeit nicht bekannt gemacht werden“, sagte der Sprecher weiter. Übereinstimmend berichten Insider und Branchenkenner, dass es sich um den französischen Riesenkonzern handelt. Alstom ist wie berichtet der einzige ernst zu nehmende Konkurrent der Deutschen Bahn.

Die Wirtschaftsverwaltung ist für die „Vergabekammer“ zuständig. Dass ein Interessent vor dem eigentlichen Start der Ausschreibung juristisch dagegen vorgeht, gilt als völlig ungewöhnlich. In der Regel klagen Bieter erst, wenn eine andere Firma den Zuschlag bekommen hat. So hatte Alstom 2019 die Vergabe für den Bau von U-Bahn-Wagen für die BVG an Stadler juristisch durch alle Instanzen angegriffen. Die Vergabe des Milliardenauftrags hatte sich dadurch um zehn Monate verzögert.

Seit fast einem Jahr läuft nun das Vergabeverfahren für die Berliner S-Bahn, es geht um bis zu elf Milliarden Euro. Berlin will mit dieser Ausschreibung das Monopol der Deutschen Bahn brechen. Im Mai waren durch einen Bericht des Tagesspiegels Überlegungen bei Alstom bekannt geworden, sich aus der Ausschreibung zurückzuziehen, weil die Erfolgsaussichten als gering eingeschätzt werden. Kenner der Branche hielten die Rückzugsdrohung für einen Versuch, die Berliner Politik zu alarmieren und eine Änderung der Ausschreibung zu erreichen. Diese soll bislang die Deutsche Bahn bevorzugen.

Für einen echten Wettbewerb hätte es eine sogenannte „Loslimitierung“ geben müssen – dann wären beide Netze automatisch an unterschiedliche Bewerber gegangen.

Mit dem Vorschlag war Senatorin Günther 2018 am heftigen Protest von SPD, Linkspartei und Gewerkschaften gescheitert. Aus Sicht der Befürworter unverständlich: Ein Allein-Hersteller kann die Preise diktieren, Berlin verschenkt aus Sicht von Branchenkennern einen dreistelligen Millionenbetrag.

Neue Fahrzeuge sollen zwischen 2027 und 2034 geliefert werden

Gesucht werden Unternehmen, die zwei der drei Teilnetze betreiben und dafür die Züge bauen. Für die elf Linien der Nord-Süd- und Ost-West-Strecken werden mindestens 1308 und bis zu 2160 Wagen benötigt. Die neuen Fahrzeuge sollen zwischen 2027 und 2034 geliefert werden.

Für die Ausschreibung haben sich zwei Konsortien gebildet: Deutsche Bahn, Siemens und Stadler auf der einen sowie Alstom und Transdev auf der anderen Seite. Hersteller von Zügen und Betreiber haben sich jeweils zusammengeschlossen. Unterdessen hat das Bundeskartellamt die Gründung eines Gemeinschaftsunternehmens von Bahn, Siemens und Stadler genehmigt. Im Mai war bekannt geworden, dass die Behörde unter dem Aktenzeichen B4-61/21 ein „Fusionskontrollverfahren“ eingeleitet hat.

Dieses wurde „am 25.6. nach fusionskontrollrechtlicher Prüfung freigegeben“, sagte ein Sprecher des Bundeskartellamts. Diese Dachgesellschaft verbessere die Position des bisherigen Monopolisten Deutsche Bahn noch weiter, hieß es. Denn eine Dachgesellschaft kann Kosten intern so verteilen, dass es für die Ausschreibung günstig ist.

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Siemens und Stadler bauen derzeit für die S-Bahn die neuen Züge der Baureihe 483/484, die seit Januar 2021 im Fahrgastbetrieb unterwegs ist. Das Trio hat deshalb ohnehin einen Riesenvorteil gegenüber Alstom: Für die Ausschreibung muss kein neues Fahrzeug mehr konstruiert werden, es kann unverändert angeboten werden. Experten schätzen den Kostenvorteil auf eine halbe Milliarde Euro.

Die Ausschreibung verzögert sich dem Vernehmen nach erneut. Bislang hatte die Verkehrsverwaltung den 24. August als Termin für die Abgabe von Angeboten genannt. Nach Informationen des Tagesspiegels wurde die Frist bis 28. September verlängert. Die voraussichtliche Erteilung des Zuschlags dürfte sich auf November 2022 verzögern.

2018 hatte Verkehrssenatorin Günther (Grüne) die Erteilung des Zuschlags für Oktober 2021 angekündigt. Demnach beträgt die Verspätung jetzt schon 13 Monate. Hinzu kommt nun der Rechtsstreit. Die Wirtschaftsverwaltung teilte mit, dass ein Nachprüfungsverfahren „zwischen einer Woche und mehreren Monaten“ dauern könne – je nach Komplexität des Verfahrens und der Auslastung der Vergabekammer. Vier Wochen sind nun schon verstrichen.

Der „Nachprüfungsantrag“ ist die zweite Stufe des Verfahrens. Das bedeutet, dass Berlin der vorangegangenen Rüge von Alstom nicht „abgeholfen“ habe, wie Juristen sagen. Sollte auch der „Nachprüfungsantrag“ scheitern, geht die S-Bahn-Ausschreibung vor das Kammergericht – wo Alstom mit der U-Bahn in zwei Instanzen letztlich gescheitert war.

Wie es damals hieß, habe der börsennotierte französische Großkonzern geklagt, um seinen Aktionären zu zeigen, dass man alles versuche, um doch noch an den BVG-Auftrag zu kommen. Dieses Argument wird auch für die S-Bahn-Ausschreibung gelten. Wie es in der Branche heißt, benötigt Alstom zudem dringend Aufträge für das Werk in Hennigsdorf. 2500 Menschen arbeiten dort.

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