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Wenn der andere Elternteil nicht zahlt, übernimmt erstmal das Amt den Unterhalt.

© dpa

Verwaltungschaos: Darum sind die Berliner Ämter beim Unterhalt überlastet

Alleinerziehende müssen in Berlin monatelang auf den Unterhalt vom Amt warten. Besserung ist nicht in Sicht - Personal auch nicht.

Was es für alleinerziehende Mütter bedeutet, wenn sie monatelang auf Geld verzichten müssen, das ihnen zusteht, das versteht man, wenn man Christine Adekunle aus Spandau zuhört: „Ich spare an mir selbst und verzichte eigentlich auf alles. Ich habe eineinhalb Hosen und ein Paar Turnschuhe mit Löchern.“

Sie würde sich wirklich gern neue Schuhe kaufen, ohne Löcher, erzählt die 49-Jährige, aber dann reiche das Geld für ihre Kinder nicht. Die sollen nämlich möglichst wenig unter der finanziellen Situation der Familie leiden. Schwer genug. Demnächst werden 420 Euro für eine Klassenfahrt der Tochter fällig, der Sohn will mit seinem Sportverein verreisen und Weihnachten steht vor der Tür.

Eigentlich müsste Familie Adekunle auch schon längst mehr Geld zur Verfügung haben. Schon im Mai hat Christine Adekunle, die frühpensioniert ist, Anträge auf Unterhaltsvorschuss für zwei ihrer vier Kinder gestellt. 277 Euro im Monat stehen ihr zu, hat sie ausgerechnet – ergänzender Unterhalt für die elfjährige Tochter und der ganze Unterhaltsvorschuss für ihren 15-jährigen Sohn. Seit Juli dieses Jahres haben nämlich auch Kinder über 12 Jahren Anspruch auf Unterhaltszahlungen vom Staat, wenn der getrennt lebende Elternteil nicht zahlt. Für ihre 19-jährige Tochter, die noch zu Hause wohnt, gibt es keinen Anspruch, eine weitere erwachsene Tochter ist schon ausgezogen.

Seit Mai also wartet Christine Adekunle, dass ihre Anträge bewilligt werden. Im Juli bekam sie eine Aufforderung, eine Schulbescheinigung für ihren Sohn nachzureichen. Das hat sie gemacht, seitdem hat sie nichts mehr gehört. „Ich verstehe nicht, warum das so lange dauert. Das sind ja feststehende Beträge, und nichts, was man kompliziert ausrechnen müsste.“

Nachfragen sind unerwünscht

Wie Christine Adekunle geht es vielen Alleinerziehenden in Berlin. Die Unterhaltsvorschussstellen in den Bezirken kommen nicht damit nach, die gestiegene Zahl von Anträgen zu bearbeiten. In Mitte ist deshalb die Unterhaltsvorschussstelle seit Anfang November geschlossen und das bleibt auch bis Ende Dezember so. Anträge können zwar abgegeben werden, aber Sprechstunden finden nicht statt. Es herrscht ein hoher Krankenstand, außerdem gibt es Einschränkungen wegen Bauarbeiten – die sind nötig, damit überhaupt mehr Mitarbeiter Platz finden.

Auch in anderen Bezirken bieten die Unterhaltsvorschussstellen oftmals nur eingeschränkte Sprechzeiten an – etwa an einem Vormittag in der Woche. Und auf den Internetseiten der Stellen steht immer wieder dies: „Bitte sehen Sie von Anfragen zum Bearbeitungsstand ab.“

Tatsächlich müssen die Ämter eigentlich schneller reagieren. Laut Paragraph 75 der Verwaltungsgerichtsordnung ist nach drei Monaten Wartezeit eine Untätigkeitsklage möglich – auch wenn nicht Untätigkeit, sondern Überlastung die Ursache des Behördenversagens ist.

So ganz nachvollziehen kann die Senatsjugendverwaltung auch nicht, warum die Bezirke solche Schwierigkeiten haben. 72 zusätzliche Stellen allein für die Bearbeitung der Unterhaltsanträge wurden bewilligt, die Hälfte schon im Februar. Aber es ist nicht klar, ob diese inzwischen alle besetzt wurden. Das will die Verwaltung nun prüfen lassen.

Sparen, sparen, sparen

Die familienpolitsche Sprecherin der Linksfraktion, Katrin Seidel, bedauert die Engpässe. „Die Behörden waren nicht ausreichend darauf vorbereitet“, sagte sie. Es habe zu wenig Zeit gegeben, um sich auf die Änderungen einzustellen und das Personal einzuarbeiten. „Und es gibt auch einfach nicht genügend qualifiziertes Personal“, sagte sie. An sich sei die Erweiterung des Unterhaltsvorschusses aber eine „großartige Sache“.

Paul Fresdorf von der FDP sagte, der Bearbeitungsstau sei ein Ergebnis der Sparpolitik unter Rot-Rot: „Die haben die Bezirke kaputt gespart.“ Seine Parteikollegin Josephine Dietzsch, Bezirksverordnete in Mitte, sagte bezogen auf die Zustände in Mitte: „Die ganze Verwaltung müsste saniert werden.“ Es fehle eigentlich an allem, an Stauraum für die vielen Akten, an Platz für die Mitarbeiter und an Zeit. „Dabei könnte man durch Digitalisierung viel verbessern.“

Die familienpolitische Sprecherin der AfD, Jessica Bießmann, sprach von einem „allgemeinen Verwaltungsversagen“. Eltern und speziell Alleinerziehende seien in Deutschland einem permanenten Armutsrisiko ausgesetzt.

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