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Lern- und Erinnerungsort. Die Zahl von Besuchen Berliner Schulklassen in der Gedenkstätte im früheren KZ Sachsenhausen ist seit Jahren rückläufig.

© Michael Urban/ddp

Verpflichtende KZ-Besuche: KZ-Gedenkstätte Sachsenhausen kritisiert Cheblis Vorschlag

In der KZ-Gedenkstätte Sachsenhausen stößt die Forderung von Berlins Staatssekretärin Sawsan Chebli nach Pflichtbesuchen auf Skepsis. Sie wollen keine Zwangspädagogik.

Die Forderung der Berliner Staatssekretärin Sawsan Chebli (SPD) nach Pflichtbesuchen in ehemaligen Konzentrationslagern ist bei Experten am Montag auf Skepsis gestoßen. „Nicht zuletzt die Erfahrungen in der DDR haben gezeigt, dass diese Formen von Zwangspädagogik häufig kontraproduktiv wirken“, sagte Günter Morsch, der Leiter der Gedenkstätte im ehemaligen KZ Sachsenhausen der Nachrichtenagentur epd. Besuche in der Gedenkstätte könnten die Einstellungen von Schülern nur dann verändern, wenn es in den Schulen genügend Zeit für die Vor- und Nachbearbeitung gäbe.

Chebli, Staatssekretärin für „bürgerschaftliches Engagement“, hatte sich in der „Bild am Sonntag“ dafür ausgesprochen, dass „jeder, der in diesem Land lebt, verpflichtet würde, einmal in seinem Leben eine KZ-Gedenkstätte besucht zu haben.“ Das gelte auch für jene, „die neu zu uns gekommen sind“. Chebli reagierte damit auch auf Demonstrationen in Berlin, bei denen junge Muslime eine Davidstern-Fahne verbrannt hatten.

Immer weniger Schüler besuchen die Gedenkstätten

Im Laufe seiner Schullaufbahn soll jeder Berliner Jugendliche einmal einen „außerschulischen Lernort“ besuchen, an dem die nationalsozialistische Terrorherrschaft erfahrbar wird. So steht es im gültigen Rahmenlehrplan. „Damit ist jedoch nicht zwingend ein ehemaliges Konzentrationslager gemeint“, sagte eine Specherin der Senatsbildungsverwaltung. Die Schüler könnten auch das Haus der Wannseekonferenz oder die Topographie des Terrors besuchen.

Die Gedenkstätte Sachsenhausen vor den Toren Berlins ist in den vergangenen elf Jahren von immer weniger Berliner Schülern besucht worden. Waren es 2006 noch 386 Schulklassen, kamen im Jahr 2017 nur noch 230 Schulklassen aus Berlin ins nahe gelegene Oranienburg. Morsch führte das auf innerschulische Probleme, die derartige Klassenbesuche erschwerten, zurück. Er forderte, der Senat müsse bessere bessere Bedingungen für Gedenkstättenbesuche von Schulklassen schaffen.

Geflüchtete verweigern Unterricht zur NS-Zeit

Der FDP-Bildungspolitiker Paul Fresdorf sprach sich im Gespräch dem Tagesspiegel dafür aus, dass möglichst alle Berliner Jugendlichen in ihrer Schulzeit ein Konzentrationslager besuchen. Ein solcher Besuch müsse aber gut vor- und nachbetreut werden, damit er die Schüler nicht überfordere. Im Abgeordnetenhaus will Fresdorf nun eine kleine Anfrage an den Senat stellen, um zu erfahren, wie viele Schüler wirklich einen „außerschulischen Lernort“ zur NS-Terrorherrschaft besuchen und welche Orte genau?

Chebli hatte zudem gefordert, dass „KZ-Besuche Bestandteil von Integrationskursen werden“. In der Volkshochschule Marzahn–Hellersdorf wurde dieser Vorschlag am Montag begrüßt. „Das könnte sehr wertvoll sein“, sagte Robert Lewanski, der Orientierungskurse leitet, in der Einwanderer etwas über die Geschichte, Politik und Kultur in Deutschland lernen sollen. „Vor Ort lässt sich der Holocaust sicherlich plastischer vermitteln, als hier bei uns im Unterrichtsraum.“ Lewanski befürchtet jedoch, dass muslimische Kursteilnehmer an einem Besuch in einer KZ-Gedenkstätte nicht teilnehmen würden. Flüchtlinge, die in den vergangenen Jahren aus arabischen Ländern nach Berlin gekommen seien, verweigerten sich Unterrichtseinheiten zum Nationalsozialismus oder zum Holocaust häufig. Jene, die doch teilnehmen, „beharren vehement auf ihrer eigenen Position. Viele lassen eine Sichtweise, bei der Juden Opfer sind, schlicht nicht zu“.

Caspar Schwietering

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