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Christoph Links hat 1989 in der DDR den Ch. Links Verlag für politische Sachbücher gegründet.

© Michel Links

Verleger Christoph Links im Interview: „Es gibt auch nach 30 Jahren noch keine vollendete Einheit“

Den Fall der Zensur erlebte Christoph Links als ebenso befreiend wie den der Mauer. Über Trotz, Papiermangel - und warum man mit Rechten reden sollte.

Christoph Links, 66, hat 1989 in der DDR den Ch. Links Verlag für politische Sachbücher gegründet. Zum Jahresende verlässt er das Verlagsgeschäft und widmet sich verstärkt dem Autorendasein.

Herr Links, bevor wir über die große Wiedervereinigung reden: Bei Ihnen ist sie im Kleinen nun gelungen. Der Ch. Links Verlag ist Teil der Aufbau-Gruppe geworden, bei der Sie einst arbeiteten.
Ja, die Übernahme ist nun vollendet. Ich hatte den Aufbau-Verlag ja 1989 verlassen, weil ich ein aktuell politisches Sachbuchprogramm auf die Beine stellen wollte. Das fand der damalige Verlagsleiter Elmar Faber interessant, aber unser Papierkontingent reiche noch nicht mal aus, um Christa Wolf und Christoph Hein vernünftig zu drucken, sagte er. Dann habe ich kühn und trotzig, wie man so ist mit Mitte 30, einen eigenen Verlag gegründet.

Für den hatten Sie dann aber genug Papier?
Als wir im Frühjahr 1990 die ersten Bücher veröffentlichten, da war Papier plötzlich da, weil ja keine Broschüren von der SED oder der Gewerkschaft mehr gedruckt werden mussten. Und ab 1. Juli flossen ja dann auch die Waren frei, so dass Papier da war.

Drei Wochen nach der Mauer, am 1. Dezember 1989, fiel im Osten auch die Zensur. War das für Sie gar das wichtigere Ereignis?
Es war jedenfalls mindestens genauso bedeutsam, für meine Zunft und den ganzen Bereich der Meinungsfreiheit. Ich kannte Recherchen und Forschungen junger Journalisten und Wissenschaftler, die über ihre Arbeiten nicht schreiben durften. Es gab also eine Menge, was sich zu verlegen lohnte. Unsere ersten Bücher handelten von stalinistischen Schauprozessen in Osteuropa und den Umbrüchen in Ostdeutschland.

Stießen die auf Resonanz?
Auf riesige. Es ging um lauter Tabus, die bisher nicht thematisiert werden konnten. Historischer Art, etwa um die Zwangsvereinigung von SPD und KPD 1946, aber auch um gegenwärtige Themen. Wir haben das erste Buch zu inoffiziellen Untergrundszenen der DDR gemacht, über Punks, Skins, Gruftis, Rechtsradikale. Die sind uns aus der Hand gerissen worden.

Auch von Westdeutschen? Aus Neugier auf die „unbekannten Wilden“?
Ja, da war das Interesse anfänglich sogar größer als im Osten. Die wollten verstehen, was da nun für ein neuer Landesteil dazugekommen ist, mit was für Geschichten und Problemen der beladen ist. Als sich dann Mitte der Neunziger aber zeigte, dass es mit der Vereinigung nicht so glatt läuft im Osten, es Gnatz, Widerstand, Unzufriedenheit gab und die Wahlergebnisse für die PDS relativ hoch blieben, führte das im Westen zu Enttäuschung und Abwendung. Was sich an unserem Absatz bemerkbar machte.

Wie kamen sie dann wieder auf die Beine?
Wir haben 1995, 1996 das Programm erweitert, um historische Themen wie die Aufarbeitung von NS- und Kolonialzeit. Mit den Ostthemen allein hätten wir als Verlag nicht überleben können.

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Für welche Bücher interessieren sich die Leute heute?
Das ist in diesem Jahr schwierig zu beantworten. Wenn es den Leuten gut geht, herrscht Interesse an Konflikten auch in anderen Ländern. Nicht so in Krisenzeiten, in denen man selbst eigene Probleme hat. Was allerdings in diesem Corona-Jahr gut weggeht: unsere Bücher über Identitäre, Reichsbürger und völkische Siedler.

Sie plädieren immer wieder dafür, mit Rechten zu sprechen anstatt nur über sie.
Dieser ganze Ansatz, dass man sich nur innerhalb der eigenen Gruppe verständigen will, das Torpedieren der inhaltlichen Auseinandersetzung mit Andersdenkenden, das Stören von Veranstaltungen, um zu verhindern, dass da jemand Unliebsames redet – das war nie mein Konzept. Es braucht einen öffentlichen Diskurs, an dem alle teilnehmen dürfen.

Natürlich gibt es dabei auch Grenzen. Wenn ich es mit einem Ideologieträger der Neuen Rechten zu tun habe, der keinen Dialog will, sondern nur ein Podium für seine demokratiefeindlichen Sprüche braucht, dann sollte man ihm dieses Podium nicht bieten.

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Wie ist denn Ihre persönliche Bilanz 30 Jahre nach 1990: Sind wir uns einig?
Naja. Einig im Sinne von Übereinstimmung nicht. Es gibt auch nach 30 Jahren noch keine vollendete Einheit, dafür eine ganze Reihe offener Probleme. Einerseits ganz konkrete wie etwa die Nichtanerkennung von Zusatzrenten, andererseits etwa die mangelnde Akzeptanz der kulturellen und geistigen Vielfalt, die es in Ost-Deutschland gab. Da fehlt mir noch heute ein differenzierter Blick auf das Binnenleben der DDR, wo durchaus nicht nur Systemkonforme lebten. Dann ist da die Unterrepräsentanz von Ostdeutschen in ostdeutschen Führungsebenen – von westdeutschen ganz zu schweigen. Oder auch die fehlende Infrastruktur in ländlichen Regionen. All das haben wir immer wieder auch in unseren Publikationen thematisiert. Aber wir sind ein Land geworden, das sich im Dialog miteinander befindet und endlich auch über Defizite im Einigungsprozess redet. Das ist für mich eine erfreuliche Bilanz.

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