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Berlins Infrastruktur soll so schnell wie möglich umgebaut werden, sagt Regine Günther.

© Sven Darmer

Verkehrssenatorin Günther über autofreie Kieze: „So wie es ist, kann es ganz sicher nicht bleiben“

Regine Günther glaubt nicht, dass sich die Stadt zu langsam verändert. Sie will aber auch das Tempo erhöhen: Für E-Autos soll es bald 2000 Ladesäulen geben.

Von
  • Sabine Beikler
  • Hendrik Lehmann

Regine Günther (Grüne) ist Senatorin für Umwelt, Verkehr und Klimaschutz in Berlin. Sie ist auch Mitglied im Aufsichtsrat der BVG. Bevor sie Senatorin wurde, war sie Direktorin für Klimaschutz und Energie und später Generaldirektorin für Politik und Klima bei der Umweltstiftung WWF.

Frau Günther, Sie sind als Verkehrssenatorin gewählt worden, um die Verkehrswende umzusetzen. Es gibt seit zwei Jahren ein Mobilitätsgesetz. Warum ist trotzdem bisher so wenig passiert?
Schauen wir doch auf die Fakten. Ich nehme mal nur den Nahverkehr: Wir haben die größte S-Bahn-Ausschreibung, die es je in Berlin gab, mit einem Volumen von rund acht Milliarden Euro auf den Weg gebracht. Wir haben jetzt einen BVG-Verkehrsvertrag, der jährliche Investitionen von 800 Millionen Euro statt wie bisher 300 Millionen vorsieht.

In der Metropolregion treiben wir das milliardenschwere Projekt i2030 für bessere Pendler-Infrastruktur voran: bis zu 180 Kilometer neue Schienenverbindungen, allein 36 neue oder erneuerte Bahnhöfe in Berlin. Wir haben in Deutschlands größter Bus-Flotte den kompletten Umstieg von Diesel- auf E-Busse begonnen. Diese Liste ließe sich fortführen – und das ist nur der ÖPNV. Unser Mobilitätsgesetz ist das modernste verkehrspolitische Gesetz in Deutschland. Was wir noch nicht geschafft haben, ist der vollständige Umbau einer Stadt, deren Verkehrspolitik in dien vergangenen 70 Jahren auf die Privilegierung von Autos ausgerichtet war. Das räume ich ein.

Der Radverkehrsplan wurde immer noch nicht verabschiedet. Wie soll das funktionieren, wenn Planwerke fehlen?
Der Radverkehrsplan samt Radnetz werden bis Ende des Jahres kommen. Trotzdem bauen wir auch schon heute die Radinfrastruktur aus. Es wurden 100 Kilometer in drei Jahren gebaut und bisher 27 Kilometer Pop-up-Radwege angelegt. Richtig ist aber auch, dass neue Infrastrukturen einen langen Atem brauchen.

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Viele Bürger können nicht verstehen, warum es keine neuen Radwege gibt und stattdessen Pop-up-Radwege.
Die Pop-Up-Radwege sind Vorbild für andere Städte geworden, auch international. Wir werden sie möglichst überall in dauerhafte Radwege umwandeln. Und wir sind deutlich schlagkräftiger geworden: Als ich die Verwaltung übernahm, gab es ganze 3,5 Radplanerstellen im Land Berlin. Jetzt haben wir rund 70. Im Jahr 2017, noch ein Haushalt der Vorgängerkoalition, wurden sieben Millionen Euro für Radinfrastruktur ausgegeben. Im Jahr 2019 waren es schon 16 Millionen Euro. Eine Steigerung um 130 Prozent.

Schaut man sich die Zahlen seit 2017 an, sind 100 Kilometer neue Radwege nicht viel. Der Radverkehr hat im ersten Halbjahr um 20 Prozent zugenommen im Vergleich zum Vorjahreszeitraum. Gelbe Linien mit Baken machen noch kein Radverkehrskonzept aus.
Wer entscheidet, ob 100 Kilometer zu wenig sind? Ich erkläre immer wieder gern und geduldig, dass so gravierende Veränderungen, wie wir sie anstreben, nicht per Fingerschnips zu haben sind, sondern nur mit harter Aufbauarbeit.

Autofreie Innenstadt, höhere Preise für Anwohnerparkausweise: Regine Günther berichtet von ihren Plänen.
Autofreie Innenstadt, höhere Preise für Anwohnerparkausweise: Regine Günther berichtet von ihren Plänen.

© Sven Darmer

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Bei der Tagesspiegel-Verkehrsumfrage kam heraus, dass die Breite von Radwegen für die Sicherheit enorm wichtig ist. Warum baut man nicht gleich breite Wege?
Wir bauen breite Radwege, aber wir müssen auch die örtlichen Gegebenheiten berücksichtigen. In einer schmalen Straße kann man keinen Radweg anlegen wie an der Magistrale Karl-Marx-Allee.

Mindestens die Hälfte der Bürger fährt Fahrrad. Warum werden keine Wege gebaut, die die Breite einer Fahrspur haben?
Das tun wir: Der Radweg in der Karl-Marx-Allee ist vier Meter breit. An vielen Stellen ist eine komplette Fahrspur zum Pop-Up-Radweg geworden.

Beispiel Hasenheide: Der Pop-up-Radweg wird so gut angenommen, dass man kaum noch ausweichen kann wegen der Poller. Der Weg ist inzwischen zu schmal.
Die Hasenheide gehört zu den ersten Radwegen mit Pollern. Dass er so gut angenommen wird, zeigt den Bedarf, und dass unser Weg richtig ist.

Kann man statt Poller Blumenkästen aufstellen wie sich das viele wünschen?
Blumenkästen sehen schöner aus, aber sie brauchen Pflege. Die Bezirke äußern eher den Wunsch nach pflegeleichten Lösungen.

Wenn man Vision Zero ernst nimmt, müssten die Ampelphasen von Rad und Auto getrennt werden. Warum wird das nicht umgesetzt?
Genau dies – getrennte Ampelschaltungen – haben wir jetzt als wichtigste Maßnahme für Kreuzungssicherheit festgelegt. Auch hier drückt man nicht einfach auf einen Knopf, sondern das sind technische Installationen, Neuprogrammierungen, Spurveränderungen – und es geht ja niemals nur um eine Ampel, sondern auch um die Folgen für die nächsten 50. Dennoch analysieren wir, wie diese Verfahren zu beschleunigen sind.

Geschützte Radstreifen können Unfälle nicht verhindern, sondern verlagern sie in Kreuzungen. Warum werden Kreuzungen nicht umgebaut?
Natürlich verhindern geschützte Radstreifen Unfälle, aber eben nicht die an Kreuzungen. Deshalb sind wir dabei, besonders unfallträchtige Knotenpunkte umzubauen: Die Unfallkommission hat in den vergangenen zwölf Monaten die geplanten 20 Kreuzungen angefasst. Darüber hinaus entwickeln wir detaillierte Konzepte für ein sichereres Kreuzungsdesign. Das sind ortsangepasste Lösungen. Ein ideales Kreuzungsmodell gibt es nicht. Und: Sichere Infrastruktur braucht Zeit – für mehr Verkehrssicherheit sind aber auch härtere Sanktionen und mehr Kontrollen entscheidend.

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Die Verkehrsinfrastruktur ist weiterhin auf die Innenstadt fokussiert. Warum passiert so wenig in den Außenbezirken?
Ich halte nichts von dieser herbeigeredeten Unterscheidung. Wir planen und bauen für die gesamte Stadt mit ihren unterschiedlichen Strukturen und Bedürfnissen: Wir haben mit der BVG im neuen Verkehrsvertrag festgelegt, dass der 10-Minuten-Takt deutlich ausgeweitet wird. Wir planen und bauen Straßenbahnen unter anderem in Adlershof, Mahlsdorf, Blankenburg. Auch Sharingdienste wie unser Radverleiher Nextbike und die E-Scooter-Vermieter beginnen, ihr Angebot auf mehr Bezirke auszudehnen. Und bei der Radinfrastruktur ist kein Bezirk gehindert, uns seine Pläne vorzulegen. Allerdings würde eine andere Entscheidungsstruktur vieles vereinfachen.

Welche denn?
Ich bin dafür, dass alle Hauptstraßen beim Thema Rad komplett in die Zuständigkeit der Hauptverwaltung kommen, mit Planung und Umsetzung. Dann kommen wir aus dieser misslichen Lage heraus, die der Tagesspiegel immer Behördenpingpong nennt. Aber eine solche Veränderung muss von den Beteiligten gewollt und getragen werden.

Welche Bezirke blockieren besonders?
Von Blockade spreche ich nicht. Bezirke wie Friedrichshain-Kreuzberg demonstrieren aber sehr klar, was möglich ist, wenn politischer Wille, Kompetenz und Personal vorhanden sind.

Wenn man sich anschaut, was bei den Busspuren geschieht, sieht das nicht gut aus. 15 zusätzliche Kilometer Busspur haben Sie bisher angeordnet, 300 Kilometer bräuchte man. Kann man das nicht besser steuern?
Bevor ich ins Amt kam, sind über viele Jahre gar keine neuen Busspuren ausgewiesen worden. Wir mussten wieder Strukturen dafür aufbauen, Listen abarbeiten. Wir haben zu den bestehenden 100 Kilometern bereits gut 15 Kilometer neu angeordnet und für weitere 25 Kilometer die Zeitbegrenzung aufgehoben. Da die einfacheren Strecken schon umgesetzt sind, dauert es beim Rest länger, bis sie auf die Straße kommen.

Warum passiert es dann nicht?
Die Umsetzung hat begonnen. Verzögerungen liegen daran, dass Lösungen für bestimmte Zielkonflikte zu finden sind, aber auch an der Kompetenzverteilung. Mit der BVG werden die Strecken ausgewählt, bewertet, priorisiert. Wir ordnen an, die Bezirke müssen umsetzen. Wenn das nicht passiert, wird es schwierig. ´

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Sie sind Klimapolitikerin. Um den Klimawandel zu stoppen, müsste Berlin 2030 völlig umgebaut sein. Warum bekommt man Klimaschutz nicht schneller hin?
Richtig ist, dass Berlin am besten schon umgebaut wäre. Dies ist versäumt worden, deshalb streben wir jetzt den schnellstmöglichen Umbau der Infrastrukturen an. Es geht um tiefgreifende Veränderungen in der Energieversorgung, die von fossilen auf erneuerbare Brennstoffe umgestellt werden muss. Im Verkehrsbereich sind die fossilen Antriebe auszusortieren, die schnelle Einführung der Elektromobilität ist entscheidend. Im Gebäudebereich gilt es, die fossile auf erneuerbare Wärme umzustellen. Gerade hier sehe ich derzeit noch nicht, wie die Klimaneutralität erreicht werden kann, wenn nicht viel mehr investiert wird.

Aber der Klimawandel wartet nun mal nicht. Ist das schnell genug?
Es ist nicht schnell genug, um die Erderhitzung zu verhindern. Schon heute haben wir durchschnittlich etwa 1,1 bis 1,2 Grad Celsius mehr als vor der Industrialisierung. Aber: Jedes zehntel Grad vermiedener Erderhitzung ist wichtig. Gerade beim Verkehr gilt es jetzt, mit ernsthafter Klimapolitik den CO2-Ausstoß zu senken. Hätten wir damit schon vor 20 Jahren angefangen, wäre ich sehr glücklich.

Und die privaten Autos?
Ich gehe davon aus, dass E-Fahrzeuge in den nächsten drei bis fünf Jahren einen Durchbruch in Deutschland haben werden. Dies ist eine der großen Herausforderungen für die nächste Wahlperiode: Wir müssen die Zahl der öffentlichen Ladesäulen deutlich erhöhen. Wir stehen zwar aktuell im Großstadtvergleich gut da, aber wir brauchen mehr. Bis 2022 wollen wir rund 2000 Ladepunkte haben. Den Ausbau für die Zeit danach konzipieren wir gerade.

Wann bekommt der Fußverkehr mehr Aufmerksamkeit?
Unser Entwurf für die Fußverkehrsnovelle des Mobilitätsgesetzes liegt seit Januar im Parlament: Wir schlagen längere Grünphasen, direkte Wege, mehr Platz und eine verbesserte Schulwegsicherheit vor. Insgesamt geht es um mehr Aufenthaltsqualität im öffentlichen Raum.

Was ist Unter den Linden geplant? Soll der Abschnitt zwischen Brandenburger Tor und Humboldt-Forum für den Autoverkehr gesperrt werden?
Wir werden voraussichtlich im Herbst ein Konzept dazu vorstellen.

Wird der Abschnitt autofrei?
Gehen Sie davon aus, dass der Fußverkehr, der Radverkehr und der ÖPNV genug Raum erhalten.

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Es läuft eine Machbarkeitsstudie zur künftigen Finanzierung der U-Bahn. Darin werden auch eine Zwangsabgabe für alle Bürger oder flächendeckende Parkgebühren diskutiert. Einnahmen von 550 Millionen Euro seien so möglich. Was planen Sie?
Derzeit wird der ÖPNV über Tickets und den Landeshaushalt finanziert. Wenn wir den ÖPNV insgesamt – nicht nur U-Bahnen – ausbauen wollen, ist es zwingend, eine dritte Finanzierungssäule zu erschließen. Ich habe mich noch nicht auf ein Modell festgelegt. Ich persönlich würde auch eher von einer „Soli-Abgabe“ sprechen: Alle zahlen, damit die Stadt sauberer wird. Und alle können dann den ÖPNV nutzen.

Kommt dann das 365-Euro-Ticket?
Die vorliegenden Studien zeigen, dass Menschen zum ÖPNV wechseln, wenn er attraktive Angebote hat, wenn er komfortabel und sicher ist. Es ist deshalb wichtig, zunächst massiv zu investieren, um ein solches Angebot zur Verfügung zu stellen.

Werden Anwohnerparkausweise teurer?
So wie es ist, kann es ganz sicher nicht bleiben: Bisher kostet die Vignette für Anwohner 10,20 Euro im Jahr. Nach der Berliner Initiative im Bundesrat, die noch keine Mehrheit fand, hat jetzt der Bundestag den Kommunen eigene Regeln ermöglicht. Wir haben damals eine Preisspanne bis zu 240 Euro im Jahr vorgeschlagen. Das wären maximal 20 Euro pro Monat und Auto. Im internationalen Vergleich ist das immer noch wenig.

Wie soll die autofreie Innenstadt im Jahre 2030 aussehen?
Wie auch immer man Innenstadt definiert: Aus Klimaschutzgründen sollten die Verbrennungsmotoren dann verschwunden sein. In den Bezirken gibt es Kieze ohne Kfz-Verkehr, das wertvolle öffentliche Straßenland wird nicht mehr wie jetzt von diesen großen Mengen parkender Autos belegt, sondern für mehr Grün, für Spielplätze, für Begegnungszonen genutzt.

Mir geht’s dabei nicht um das Auto als Feindbild, sondern um die Entwicklung moderner Mobilitätslösungen, die die Lebensqualität signifikant verbessern. Es wäre großartig, wenn Berlin hier Zeichen setzt und wir in unserer Stadt Lösungen mit einer so großen Strahlkraft entwickeln, dass sie auch andere Menschen in der ganzen Welt inspirieren.

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