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Bei Grün geht's los. Aber würde es nicht auch ohne Ampel gehen?

© p-a/dpa/Kay Nietfeld

Verkehr in Berlin: Schaltet die Ampeln aus!

Sie regeln den Verkehr, echte Sicherheit bringen Ampeln aber weder Autofahrern noch Radfahrern oder Fußgängern. Weg damit! Denn Rücksicht und Aufmerksamkeit bringen sie niemandem bei. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Katja Demirci

Diese Kreuzung ist entsetzlich. Unübersichtlich, voll und deswegen ziemlich bedrohlich. Ich kenne niemanden, der gerne und entspannt die Fahrbahnen am Neuköllner Hermannplatz überquert. Nicht mit dem Fahrrad, nicht zu Fuß und auch nicht im Auto. Das Gewusel ist die reine Überforderung für alle Verkehrsteilnehmer, die Kreuzung gilt als eine der gefährlichsten der ganzen Stadt. Jeder, der hier einmal war, kann sich denken warum. Und doch erlebte ich ausgerechnet hier meine verkehrstechnische Erleuchtung – als einmal die Ampeln ausgefallen waren.

Plötzlich floss, was sich vorher staute, angenehm langsam, gestikulierend, einander zurufend und natürlich auch hupend. Anhalten für Fußgänger, Durchwinken von Abbiegern, sogar Schulterblicke für Radfahrer habe ich gesehen! Für Minuten mischte sich feiner Feenstaub unter die Rußpartikel in den Abgasen der vielen fetten Limousinen. Hach, wenn es nur immer so sein könnte. Alle Ampeln aus! Nicht nur spät am Abend oder nachts, nicht nur in Randbezirken, sondern mittendrin in dieser großen, wilden Stadt. Wäre das nicht die Lösung?

Stattdessen heißt es: Augen auf im Straßenverkehr!

Das polnische Poznan zum Beispiel macht damit beste Erfahrungen. Im Zentrum sind die Ampeln ausgeschaltet – der Verkehr läuft. Begonnen hat das Ganze als Experiment, weil die Autos auf den Straßen Stoßstange an Stoßstange standen und Fußgänger an Übergängen lange auf Grün warten mussten. Stattdessen heißt es nun: Augen auf im Straßenverkehr!

Als vor Jahren in der Nähe meiner rheinischen Heimatstadt die Ampel einer viel befahrenen Kreuzung ausfiel, löste sich der morgendliche Stau der Pendler auf wundersame Weise auf. Erst nachdem die Ampel wieder funktionierte, kehrte auch der Verkehr zum gewohnten Stop-and-Go zurück. Die Episode wurde als so bemerkenswert empfunden, der Wert der zuvor nie infrage gestellten Ampel als so gering, dass sofort eine radikale Diskussion in Gang kam. Wozu der Quatsch mit Rot-Gelb-Grün?

Als ich damals beseelt über den ampellosen Hermannplatz kurvte, zeigten sich die Vorteile deutlich: Autofahrer, die miteinander kommunizieren müssen, die sich auf die Straße konzentrieren, fahren langsamer. Sie rasen nicht in letzter Millisekunde durch eine Gelbphase. Sie wüten nicht ungeduldig mit zitterndem Gaspedal bei Rot. Sie achten rechts vor links – und auf Schilder. Ohne Ampeln bleibt eine Ansammlung von Regeln. Und die reicht! Natürlich gibt es Menschen, die ohne die Verlässlichkeit von Ampeln aufgeschmissen sind. Weswegen auch meine wilde Regellosigkeit nicht ohne Regeln auskommen dürfte. Fußgängerampeln an Schulwegen und Kindergärten sollten auf Knopfdruck funktionieren. Sehbehinderte und Blinde müssen die Möglichkeit haben, sich an den sogenannten akustischen Freigabesignalen zu orientieren. Beides, die Fußgängerampeln und die Signale, funktionieren schon jetzt häufig auf Aufforderung, das heißt: wenn einer, der Bedarf hat, drückt.

Der Kosmos des Verkehrs öffnet sich

Eine Ampel allein macht eine Kreuzung aber nicht sicher, die meisten Unfallschwerpunkte Berlins sind mit Ampeln ausgestattet. Manche Verkehrsplaner vertreten sogar die These: Wer Straßen sicher machen will, muss sie zuerst gefährlicher machen. Wer sich nicht auf Ampeln verlassen kann und deswegen langsam und aufmerksam fährt, dem eröffnet sich auch der Kosmos des Berliner Verkehrs. Der sieht, dass der Radfahrer den Arm hebt und abbiegen will. Der nimmt wahr, dass Menschen am Fußgängerüberweg die Straße queren möchten. Der erinnert sich, was der Fahrlehrer immer gepredigt hat: dass nahende Motorradfahrer oft langsamer aussehen, als sie wirklich sind. Vorausgesetzt, er nutzt die vermeintliche Ruhe des Verkehrs nicht, um mal eben am Steuer eine SMS zu schreiben.

Es geht mir nicht um die Wiederbelebung der autogerechten Stadt. Eher um ein Miteinander, wo zu häufig allein das Recht des Schnelleren, Stärkeren gilt. Beruft euch nicht auf Grün, Gelb, Rot, sondern denkt für eine Ampelphasenlänge nach. Nicht nur über euch – sondern über alle anderen.

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