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Bier-Bike-Fahrer Justus Wilke auf Berlin-Tour mit einer dänischen Reisegruppe.

© privat

Verkehr in Berlin: "Ein Bierbike-Verbot wäre ein Verlust für die Stadt"

Bier-Bikes polarisieren Berlin. Justus Wilke steuert eins. Hier beschreibt der 19-Jährige, was er dabei so erlebt.

Als Bier-Bike-Fahrer in Berlin hatte ich oft den Eindruck, die Stadt sei geteilt. Auf der einen Seite die Befürworter dieser Art von Sightseeing und auf der anderen Seite deren verbitterte Gegner. Die beiden Lager sind leicht zu unterscheiden. Befürworter machen vom Straßenrand aus Fotos oder johlen den verschwitzten Touristen zu.

Manch ein Polizist hupt auch gerne dreimal, was die Berlin-Gäste unheimlich glücklich stimmt und mit einem „Prost“ erwidert wird. Und so rollen sie heiter durch den Verkehr, der dadurch allerdings ins Stocken gerät.

Gegner sind genervte Anwohner oder Autofahrer, die von den langsamen Gefährten aufgehalten werden. Allen voran machen Taxifahrer ihrem Frust durch heftiges Hupen Luft. Nach dem obligatorischen Gruppenfoto vor dem Brandenburger Tor mit einer dänischen Gruppe schnitt ein Taxi mir sogar den Weg ab.

Eine Gruppe Chinesen wollte lieber Selfies machen als Bier zu trinken

Der Fahrer blieb vor mir stehen und stieg aus. Empört von dieser Unfreundlichkeit regten sich die Skandinavier auf. Der Taxifahrer regte sich wiederum auf, dass sich die Touristen über ihn aufregten. Typisch Berliner Schnauze. Daraufhin musste ich mich als Diplomat im Berliner Straßenverkehr versuchen.

Den Job hatte mir meine Schwester vermittelt. Ich fand die Idee spannend, weil es etwas anderes war als die üblichen Jobs in Bars und Restaurants. Viele Erlebnisse als Bier-Bike-Fahrer haben mich meine Heimat von Seiten kennenlernen lassen, die ich noch nicht kannte. Und nebenbei traf ich Menschen aus der ganzen Welt.

Eine Gruppe Chinesen etwa war beispielsweise eher damit beschäftigt, Selfies zu machen, als die im Voraus bezahlten fünf Liter Bier zu trinken, geschweige denn in die Pedalen zu treten. Das Fazit der Tour: ein Verkehrschaos in der City West, ein erst halbleeres Fass und mindestens eintausend Selfies der Gruppe mit dem weniger begeisterten Fahrer.

Im Gegensatz zu den Chinesen trank eine australische Gruppe zwanzig Liter Bier und fuhr ein rekordverdächtiges Tempo, obwohl die Leute am Tag zuvor noch einen Marathon absolviert hatten.

Die dominierende Nation im Bier-Bike-Fahren ist Großbritannien. Keine andere Nation scheint so begeistert von diesem zweifelhaften Sport wie die Briten. Viele reisen im Rahmen eines Junggesellenabschieds mit Discount-Lederhosen bekleidet nach Berlin.

Weil Bier-Bikes oft mit „Ballermann-Tourismus“ assoziiert werden, hat der Veranstalter reagiert. Die Gäste müssen, so steht es im Kundenvertrag, nüchtern zur Tour erscheinen. Die Promillezahl überprüfen die Fahrer mithilfe von Alkoholtestern vor jeder Fahrt. Das Wort „Bier“ wurde aus dem Firmennamen gestrichen, da der Veranstalter den Fokus mehr auf Sightseeing legen wollte.

Senat will Bierbikes von der Straße holen

Trinken soll nur einer der Spaßfaktoren bei einer Tour sein – das sehen die Kunden jedoch anders. Harter Alkohol ist nicht erlaubt, und ich als Fahrer habe stets die Möglichkeit den Zapfhahn zuzudrehen, sobald eine Gruppe negativ auffällt. Außerdem bekommen die Gäste vor der Fahrt eine kleine Einführung, um sie für den Berliner Straßenverkehr zu sensibilisieren.

Doch all das hilft nichts: Mit einem neuen Tourismuskonzept will der Senat die Bier-Bikes von den Straßen holen. Die Hauptstadt soll sich in Zukunft verstärkt von ihrer kulturellen Seite zeigen. Für die Begegnung zwischen verschiedenen Kulturen – Berlinern und Briten, Bierfreunden und Autofahrern – wäre das aber ein Verlust.

Justus Wilke

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