zum Hauptinhalt
Wer häufig ohne Ticket erwischt wird, soll weiter Strafe zahlen, aber nicht mehr in Haft kommen.

© imago stock&people

Verkehr in Berlin: Auch Michael Müller will Schwarzfahren entkriminalisieren

Linke und Grüne fordern, Fahren ohne Ticket wie eine Ordnungswidrigkeit zu behandeln. Der Regierende Bürgermeister unterstützt sie. Doch es gibt auch Kritik.

Müssen notorische Schwarzfahrer in Zukunft keine Gefängnisstrafe mehr fürchten? Der Regierende Bürgermeister Michael Müller (SPD) unterstützt den Vorschlag, Schwarzfahren von einer Straftat zu einer Ordnungswidrigkeit herabzustufen. „Der Aufwand der Strafverfolgungsbehörden steht hier in keinem vernünftigen Verhältnis zur Tat“, sagte Müller dem Tagesspiegel. Er betonte aber, dass auch eine Ordnungswidrigkeit geahndet und beglichen werden müsse.

Zuvor hatte bereits Innensenator Andreas Geisel (SPD) seine Meinung geändert. „Ich bin für eine Entkriminalisierung des Schwarzfahrens“, hatte Geisel am Mittwoch bei einer Veranstaltung gesagt. Bei Ordnungswidrigkeiten können Behörden nach dem Opportunitätsprinzip juristische Schritte einleiten, müssen es aber nicht mehr, wie es bei Straftaten der Fall ist. Notorische Schwarzfahrer müssten ihre Strafe dann im Zweifel nicht mehr im Gefängnis absitzen.

Senat denkt über Bundesratsinitiative nach

Nötig ist dafür eine Änderung im Strafgesetzbuch, verantwortlich also der Bund. In der rot-rot-grünen Koalition wird deshalb über eine Bundesratsinitiative debattiert. In der Innenverwaltung, aber auch in der Justizverwaltung von Dirk Behrendt (Grüne) ist man dafür offen. „Wir schreiben gerne und schnell eine Vorlage, wenn sich die Koalition das wünscht“, sagte Justizsprecher Sebastian Brux. Linke und Grüne wären dazu bereit, Kritiker sitzen noch in der SPD.

Einer von ihnen ist der rechtspolitische Sprecher der Partei, Sven Kohlmeier. „Dann müsste ja auch der Brötchendiebstahl zur Ordnungswidrigkeit werden“, sagte der Jurist. Aus sozialpolitischer Sicht könne er die Forderung verstehen, dann brauche es aber einen kostenfreien öffentlichen Nahverkehr.

Schwarzfahrer kosten BVG jährlich 20 Millionen Euro

Die hohen Kosten für Ersatzhaft und eine Überlastung der Justiz will er nicht als Argument gelten lassen. „Ein Rechtsstaat kostet immer Geld“, sagte er. Ähnlich äußert sich der innenpolitische Sprecher der SPD, Frank Zimmermann. Eine Mehrheit für die Entkriminalisierung, glauben beide, gebe es in der SPD-Fraktion nicht.

Bei der BVG will man eine mögliche Gesetzesänderung nicht kommentieren. Das Unternehmen geht davon aus, dass durch Schwarzfahrer jährlich Einnahmeverluste von rund 20 Millionen Euro entstehen. „Davon könnten wir 40 neue Doppeldeckerbusse anschaffen“, sagte BVG- Sprecher Markus Falkner.

Kritik kommt auch vom Verband Deutscher Verkehrsunternehmer (VDV). „Die Debatte ist nicht sachlogisch“, sagte VDV-Sprecher Lars Wagner. Sollte Schwarzfahren eine Ordnungswidrigkeit werden, könnten Kontrolleure nicht mehr die Personalien aufnehmen – und weniger Menschen könnten sich abgeschreckt fühlen.

Quote der Schwarzfahrer sinkt

Aus einer Antwort der Justizverwaltung auf eine parlamentarische Anfrage des Abgeordneten Sebastian Schlüsselburg (Linke) geht hervor, dass die Quote der Schwarzfahrer in den vergangenen Jahren zurückgegangen ist. Waren 2013 noch 8,5 Prozent der BVG-Fahrgäste ohne Ticket, sank die Zahl auf zuletzt unter vier Prozent. Bei der S-Bahn sank die Quote auf weniger als drei Prozent.

Dabei werden längst nicht alle Schwarzfahrer angezeigt. Die S-Bahn stellt Strafanträge nur gegen Personen, die innerhalb eines Jahres dreimal ohne Fahrschein erwischt werden. Insgesamt 45 378 sogenannter Mehrfachtäter zählten BVG und S-Bahn 2017. Abgeurteilt wurden laut Senat nur 6 932 Personen. „Für die Justiz ist das eine enorme Belastung“, sagte Anfragensteller Schlüsselburg.

Schlüsselburg hofft langfristig auf kostenfreien ÖPNV

Er hält Schwarzfahren für ein „Bagatelldelikt“ und den entsprechenden Paragrafen im Strafgesetzbuch, der 1935 eingeführt wurde, für überholt. „Das Strafrecht sollte Ultima Ratio sein“, sagt der Jurist. Er kritisiert die hohen Kosten, die durch Ersatzstrafen entstehen. Die liegen nach Senatsangaben bei 150 Euro pro Nacht. Im Schnitt, so Schlüsselburg, würden Ersatzstraftäter 30 bis 60 Tage in Haft bleiben. Er hofft auf eine baldige Bundesratsinitiative, langfristig aber einen kostenfreien ÖPNV.

Burkhard Dregger, Fraktionschef der Berliner CDU, sieht die Initiative kritisch. Er unterstützt das Modell „Arbeit statt Strafe“. Dabei können verurteilte Straftäter statt eine Geld- oder Freiheitsstrafe ihre Schuld mit Arbeit in sozialen Einrichtungen begleichen – bei Ordnungswidrigkeiten wäre dies nicht möglich. „Es geht nicht darum, Schwarzfahrer zu kriminalisieren, sondern sie zur Umkehr zu bewegen“, sagt Dregger. Er selbst habe das Modell kürzlich bei der Bahnhofsmission beobachtet. Sein Eindruck: „Sie stellen ihren Lebensweg in Frage.“

Der Berlin-Monitor zeigt Ihre Meinung zu den großen Themen der Hauptstadt. Wenn Sie sich registrieren, tragen Sie zu besseren Ergebnissen bei. Mehr Informationen hier.

Empfohlener redaktioneller Inhalt

An dieser Stelle finden Sie einen von unseren Redakteuren ausgewählten, externen Inhalt, der den Artikel für Sie mit zusätzlichen Informationen anreichert. Sie können sich hier den externen Inhalt mit einem Klick anzeigen lassen oder wieder ausblenden.

Ich bin damit einverstanden, dass mir der externe Inhalt angezeigt wird. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr Informationen dazu erhalten Sie in den Datenschutz-Einstellungen. Diese finden Sie ganz unten auf unserer Seite im Footer, sodass Sie Ihre Einstellungen jederzeit verwalten oder widerrufen können.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false