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Profil des Nutzers „Will to Power“ auf „gab“.

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Verfassungsschutz Brandenburg warnt Eltern: Telegram, Steam und Bitchute – Wo rechte Cyber-Extremisten Nachwuchs rekrutieren

Rechtsextremisten nutzen das Netz, um neue Anhänger zu rekrutieren. Der Verfassungsschutz Brandenburg warnt, bei welchen Plattformen Vorsicht geboten ist.

Stephan Balliet radikalisierte sich in Videospielen und Spielechats, bevor er im Oktober 2019 den Anschlag auf die Synagoge in Halle verübt und zwei Menschen erschossen hat. Bei den Anti-Corona-Demonstrationen in Berlin finden Rechtsextremisten neue Anhänger unter Corona-Skeptikern – ebenfalls über Videoplattformen und Chatapps wie Telegram.

Der Brandenburger Verfassungsschutz will nun verstärkt gegen rechte und rassistische Cyberextremisten vorgehen. Denn, so hält das Innenministerium nun fest, rechtsextremistische, rassistische und fremdenfeindliche Positionen „nehmen leider weiter zu“.

Brandenburgs Innenminister Michael Stübgen (CDU) will mit einem Maßnahmepaket gegen Rechtsextremismus und Hasskriminalität vorgehen. Mit Repression und Prävention will er „die Auseinandersetzung mit rechtsextremistischen Verfassungsfeinden intensiveren“ – und legt nun den Schwerpunkt „auf aktuelle Bedrohungen durch Cyberextremismus“.

Ein am Mittwoch veröffentlichtes Vorab-Kapitel zum Jahresbericht 2019, der am nächsten Montag vorgestellt wird, widmet sich den neuesten Entwicklungen in diesem Bereich. „Games, Podcasts und Social Media: Online-Rekrutierungsstrategien von Rechtsextremisten" richtet sich dabei ausdrücklich auch an Eltern, Lehrer und Erzieher – damit sie wissen: Wenn sich Kinder und Jugendliche auf bestimmten Plattformen rumtreiben, ist Vorsicht geboten.

„Hiermit soll Eltern, Lehrern oder Freunden geholfen werden, potenziellen Konsum rechtsext­remistischer Internetpropaganda zu erkennen“, heißt es im Bericht.

Brandenburgs Innenminister Michael Stübgen (CDU) verstärkt den Kampf gegen Rechtsextremismus.
Brandenburgs Innenminister Michael Stübgen (CDU) verstärkt den Kampf gegen Rechtsextremismus.

© Soeren Stache/dpa

Das Internet spielte schon früh für Rechtsextremisten eine große Rolle – um sich intern zu vernetzen, aber auch um neue Anhänger zu gewinnen. Inzwischen ist die Strategie der Rechtsextremisten vielfältiger geworden. Die Verfassungsschutzbehörden warnen schon seit geraumer Zeit vor einer Entgrenzung des Rechtsextremismus.

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Die Rechtsextremisten unterwandern unpolitische Internetseiten, versuchen ihre Ideologie für breitere Kreise anschlussfähig zu machen und bekommen immer mehr Reichweite.  Und sie nehmen auf  Videospielplattformen sowie konspirativ ausgerichteten Netzwerken Nachwuchs ins Visier.

Der Verfassungsschutz Brandenburg warnt daher: „Vor dem Hintergrund der plattformübergreifenden Onlinepräsenz rechts­extremistischer Akteure kann insbesondere bei Jugendlichen der Eindruck ent­stehen, fremdenfeindliche und rassistische Positionen seien gesellschaftsfähig.“

Diese Trends machen die brandenburgischen Verfassungsschützer in ihrem Sonderbericht zu Cyber-Extremismus aus:

1. Verbot und „Deplatforming“ – aber die Nazis weichen aus

Die großen Anbieter wie Facebook und Twitter haben nach politischem und gesellschaftlichem Druck zunehmend Accounts von Rechtsextremisten gesperrt. Die haben damit eine wichtige Bühne verloren. Besonders betroffen vom sogenannten „Deplatforming“ war die „Identitäre Bewegung Deutschland“.

Die rechtsextremistische Bewegung kündigte daher 2018 an, „den Ausbau alternativer Medien und direkter Kommu­nikationsmöglichkeiten mit den eigenen Nutzern und Zielgruppen noch stärker forcieren“ zu wollen. Die Identitären sind daher auf das Facebook-ähnliche, aber in Russland betriebene Netzwerk „vk“ und den Nachrichtendienst Telegram ausgewichen. Dort haben die Extremisten von den Betreibern nichts zu befürchten.

Das „Deplatforming“ ist daher nur bedingt erfolgreich. Zwar werden „nichtextremistische Internetnutzer vor Rekrutierungsversuchen“ geschützt, heißt es im Sonderbericht. Auch werde somit „gegen die immer stärkere Verrohung des politischen Onlinediskurses“ und die Verbreitung von „Hatespeech“ und „Fake News“ vorgegangen.

Die Schattenseite des Deplatforming: Extremistischen User und bereits von ihnen „anpo­litisierte“ Internetnutzer weichen einfach auf alternative Plattformen aus. Dies könne zu einer noch schärferen Radikalisierung von einzelnen Nutzern führen, warnt der Verfassungsschutz. Denn die Ausweichsplattformen wirken noch stärker als Filterblase und Echokammer: Extremistischen Äußerungen wird dort nicht mehr widersprochen.

2. Rekrutierung in zwei Stufen

Bei den reichweitenstarken Plattformen wie Facebook und Twitter sind die Rechtsextremisten immer noch aktiv, haben ihre Propaganda aber angepasst, sind vorsichtiger. Doch das dient nur der Kontaktanbahnung, um Interessierte dann „möglichst schnell auf die Alternativplattformen zu locken“. Dort können die Verfassungsfeinde dann offensiv kommunizieren, Widerspruch gibt es dort keinen mehr.

Zudem fahren die Extremisten die Strategie des sogenannten „Cross Media Publishing“ – also das Veröffentlichen von Inhalten auf verschiedenen Kanälen. Die Rechtsextremisten werden also auch professioneller. Bestes Beispiel ist die Gruppe „Reconquista Germanica“, deren als Nikolai A. bekannte Gründer, ist auf mehreren Portalen und Netzwerken aktiv, ebenso in den Chatprogrammen von Videospiel.  Das Ziel lautet: Die Wirkung maximieren.

In einem „Leitfaden zur Unterstützung der Reconquista Germanica“, der bei „vk“ veröffentlicht wurde, heißt es: „Um im asymmetrischen Medienkrieg die Zensurmaschinerie des Gegners zu überwinden, müssen wir breit aufgestellt, schnell und flexibel sein. Folge uns auf möglichst vielen Plattformen, um den Anschluss nicht zu verlieren und unsere Wirkung zu maximieren.“

3. Die Netzwerke der rechten Cyber-Extremisten

Das russische Netzwerk „vk“ ist zwar in Deutschland weniger bekannt und verbreitet, doch dort können die Extremisten ihrem Hass freien Lauf lassen. Fast 100 Millionen hat das größte soziale Netzwerk in Russland und den GUS-Staaten. Deutsche Extremisten können dort ungestört brutale Videos von Gewalt und Hinrichtungen verbreiten und anschauen. Auch das Cottbuser Modelabel „Black Legion“ ist bei „vk“ aktiv. Das Label ist ein zentrales Bindeglied in der rechtsextremistischen Kampfsportszene. In der neuen „rechtsextremistischen Online-Erlebniswelt“ passen solche Marken ihre Ideologie „zielgruppengerecht“ an.

Daneben gibt es als Twitter-Alternative den in den USA gegründeten Kurznachrichtendienst „gab“. Da Twitter vermehrt gegen rechtsextremis­tische Hetze vorgeht, bietet sich „gab“ als „Verteidiger der freien Rede“ an – und greift nicht in die Online-Debatten ein. Auf dem Portal verbreiten nun Rechtsextremisten „ihre menschenverachtenden sowie gewaltverherrlichenden Positionen in großem Stil“.

„Der Volkslehrer“ Nikolai Nerling auf „BitChute“
„Der Volkslehrer“ Nikolai Nerling auf „BitChute“

© Tsp

Auf dem Account „Will to Power“ etwa werden offen Adolf Hitler und der Nationalsozialismus verherrlicht, wird unverholen gegen Juden und Minderheiten gehetzt, das Hakenkreuz gezeigt und dem Christchurch-Attentäter gehuldigt. Zwar sind die meisten Accounts englischsprachig, aber auch Identitäre, Extremisten und Reichsbürger tummeln sich bei „gab“. Und fallen vor allem durch antisemitische Inhalte sowie Hasspostings gegen Flüchtlinge auf. 

4. Die Video- und Spielechat-Portale der Rechtsextremisten

Auch das Videoportal Youtube geht verstärkt gegen Neonazis und Rechtsextremisten vor. Die Verfassungsfeinde müssen also ausweichen. Bestes Beispiel ist der selbsternannte Volkslehrer Nikolai Nerling. Er flog aus dem Berliner Schuldienst, weil er in seinen Videos Shoa-Leugnung zuließ und sich in Verschwörungsfantasien erging. Damit hatte er bei Youtube bereits eine beachtliche Reichweite erzielt. Doch Youtube sperrte seinen Kanal. Daher zog Nerling mit seinem Videoblog auf das bei Rechtsextremisten beliebte Videoportal „BitChute“ um – und hat dort steigende Resonanz.

„Identitäre Bewegung“ auf „Steam“ mit Verweis auf einen neuen „Discord“-Server
„Identitäre Bewegung“ auf „Steam“ mit Verweis auf einen neuen „Discord“-Server

© VS Brandenburg

Um junges Publikum zu erreichen, das in Online-Spielen aktiv ist, sind die Rechtsextremisten auch auf dem Sprach- und Videochatprogramm „Discord“ aktiv. Der Verfassungsschutz warnt: "Das insbesondere bei Videospielern beliebte Chatprogramm Discord ist derzeit eine der meistgenutzten Alternativplattformen von Rechtsextremisten.“ Die Zwei-Stufen-Strategie zur Rekrutierung geht auch hierbei auf: In offenen Chats angelockte User werden privat in geschlossene Chats eingeladen, die eigentlich für Teams in Online-Spielen gedacht sind. Den Rechtsextremisten aber „dient der geschützte Kommuni­kationsraum für die gezielte Vermittlung ihrer verfassungsfeindlichen Agenda“.

Die geschlossenen Gruppen beschreiben sich auf ihren Profilen ganz ungeniert: Die Gruppe „Third Reich“ heißt etwa „alle Nazis und Faschisten willkommen, um sich [unter anderem] über ‚Untermen­schen‘ lustig zu machen und in Strategiespielen als Deutsches Reich die Weltherr­schaft zu übernehmen“. Der deutsche Ableger des US-Nazigruppe „Atomwaffen Division“ erklärt auf „Discord“ auch, wer bei ihr nicht erwünscht ist: „Neger, Juden, Asylanten, Antifa-Mitglieder, Schwule, Linke“.

Daneben gibt es die sogenannten Imageboards 4chan und 8chan aus der Frühzeit des Internets, die Betreiber lassen den Nutzern freien Lauf. Massenhaft werden fremdenfeindliche, antisemitische und gewaltverherrlichende Inhalte verbreitet und die Rechtsterroristen von Christchurch und Halle als Helden glorifiziert. Dort tummelt sich auch die sogenannte Incel-Szene, zu der auch der Halle-Attentäter gehörte: Männer, die unfreiwillig keinen Sex haben, sich von Frauen ungerecht und als Verlierer behandelt fühlen. Sie radikalisieren sich und wähnen sich auf einem Rachefeldzug gegen eine Gesellschaft, die sie schlecht und aggressiv behandelt hat.

Der Verfassungsschutz stellt fest: „Videogames dienen Rechtsextremisten demnach als Köder, um die In­halte der Spiele mit ihrer verfassungsfeindlichen Ideologie zu verknüpfen. Dieses gilt beispielsweise für Games mit hohen Gewalt- beziehungsweise Action-Anteilen und Simulationen des Zweiten Weltkriegs.“

Eines der größten Foren für Videospiele ist „Steam“. Besonders die Identitäre Bewegung verbreitet dort Informationen über ihre Aktionen – Anhänger locken Nutzer dann von dort in geschlossene Gruppen bei „Discord“.

5. Braun auf den Ohren: Jetzt auch Podcasts für Nazis

Auch die Rechtsextremisten haben das zunehmend beliebte Podcast-Format für sich entdeckt, am bekanntesten ist „Die schwarze Fahne“. Dort bedienen sich die Gesprächspartner bewusst der Sprache, die junge User in den Foren 4chan und 8chan nutzen.

In einer Folge, so stellte der Verfassungsschutz fest, geht es auch um den rechtsextremistischen Mord an dem aus Angola stammenden Amadeu Antonio Kiowa im Jahr 1990. Der Mord wird heruntergespielt als reine „Affekttat von Skinheads, die einen Neger totschlagen“. Auch wird die Gefahr durch den Rechtsterrorismus in Frage gestellt. Ebenso, dass das Verbot des rechtsextremistischen Vereins „Combat 18 Deutschland“ legitim war.

Die Gäste beim Podcast sind Rechtsextremisten, etwa der Chef der „Identitären Bewegung“ in Österreich, Martin Sellner, oder Vertreter des AfD-Nachwuchses „Junge Alternative“, die vom Verfassungsschutz als rechtsextremistischer Verdachtsfall geführt wird. Im Chatdienst „Discord“ zeigte ein Moderator der gleichnamigen Gruppe im Profilbild einen SS-Soldaten.

6. Prävention gegen Extremismus: Was Eltern und Freunde tun können

Aus Sicht des Verfassungsschutzes müssen Kinder und Jugendliche in ihrer Medienkompetenz gestärkt und über rechtsextremistische Rekrutierungsstrategien im Internet aufgeklärt werden. Und ihnen müssen die Gefahren solcher Netzwerke aufgezeigt werden, „um sie damit vor den Fängen der Extremisten zu schützen“.

Dem Verfassungsschutz geht es nicht darum, Videospiele und Gamer über einen Kamm zu scheren. „Ein aktives Nutzen der vorgestellten Alternativplattformen stellt nicht per se einen Hinweis auf Extremismus dar“, heißt es im Bericht. Aber damit Jugendliche nicht im Netz radikalisiert werden, sei es wichtig, dass „Eltern, aber ebenso Freunde und Lehrer, zur Kenntnis neh­men, wenn junge Menschen die genannten Alternativplattformen nutzen“, appelliert der Verfassungsschutz. Und sie sollten mit den Jugendlichen sprechen, um sie vor den Gefahren zu warnen. „Erfahrungsgemäß wird eine individuelle Radikalisierung am ehesten vom Nahumfeld einer Person festgestellt“, schreibt der Verfassungsschutz.“

Für verunsicherte Angehörige, Freunde oder Lehrer ist es daher zunächst ratsam, das persönliche Gespräch zu suchen. So können die Gründe für das Verwenden alternativer Social Media-Dienste erfragt und Missverständnisse oftmals ausgeräumt werden.“ Und: „Extremismusprävention beginnt in der Familie“. Daneben gebe es individuelle Hilfe bei staatlichen oder zivilgesellschaftlichen Stellen, bei denen sich betroffene Angehörige Hilfe holen können.  

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