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Esther Bejarano, Künstlerin und Auschwitz-Überlebende.

© Wolfgang Borrs/NDR/dpa

Update

Vereinigung Nazi-Verfolgter nicht mehr gemeinnützig: Holocaust-Überlebende schreibt offenen Brief an Olaf Scholz

Der „Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes“ wurde die Gemeinnützigkeit aberkannt. Die Entscheidung stößt auf heftige Kritik und Unverständnis.

Die Holocaust-Überlebende Esther Bejarano hat die Bundesregierung aufgefordert, gegen die Aberkennung der Gemeinnützigkeit für die „Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschisten“ (VVN-BdA) vorzugehen. „Als zuständiger Minister der Finanzen fordere ich Sie auf, alles zu tun, um diese unsägliche, ungerechte Entscheidung der Aberkennung der Gemeinnützigkeit der Arbeit der VVN-BdA rückgängig zu machen und entsprechende Gesetzesänderungen vorzuschlagen“, schrieb Bejarano in einem offenen Brief an Finanzminister Olaf Scholz (SPD), der am Montag veröffentlicht wurde.

Die 94-jährige Ehrenvorsitzende der VVN-BdA bezeichnete die Entscheidung vor dem Hintergrund alltäglicher rechtsextremer Bedrohungen als „Kränkung“. „Das Haus brennt - und Sie sperren die Feuerwehr aus!“, schrieb sie.

Auch das Internationale Auschwitz Komitee hatte die Aberkennung der Gemeinnützigkeit des VVN-BdA scharf kritisiert. Vor dem Hintergrund alltäglicher rechtsextremer Bedrohungen bezeichnete Exekutiv-Vizepräsident Christoph Heubner die Entscheidung als Skandal, wie es in einer Mitteilung am Samstag hieß. Deutschlands Ansehen werde beschädigt und das gemeinsame Engagement gegen Rechtsextremismus und Antisemitismus erheblich geschwächt. Der VVN-BdA habe mit seiner Arbeit Generationen junger Menschen in Deutschland sozialisiert und politisiert.

Am Freitag war bekannt geworden, dass das Berliner Finanzamt für Körperschaften I dem Verein die Gemeinnützigkeit aberkannt hat. In diesem Jahr seien daher Steuernachforderungen in fünfstelliger Höhe fällig, erklärte die Vereinigung. Dadurch könnte die Existenz des Vereins gefährdet sein, hatte Bundesgeschäftsführer Thomas Willms der dpa gesagt.

Eine Gedenkkundgebung der Berliner VVN-BdA am Mahnmal Levetzowstraße anlässlich der Novemberprogrome von 1938.
Eine Gedenkkundgebung der Berliner VVN-BdA am Mahnmal Levetzowstraße anlässlich der Novemberprogrome von 1938.

© Fabian Sommer/dpa

Sigmount Königsberg,  Beauftragter der Jüdischen Gemeinde zu Berlin gegen Antisemitismus, übte ebenfalls scharfe Kritik. Auf dem Landesparteitag der Linkspartei sagte Königsberg: „Was ist das für ein Signal? Engagement gegen Nazis wird sanktioniert, das kann nicht angehen.“ Königsberg warnte davor, dass es heute den VVN-BdA, morgen einen anderen Verein treffen könne. Das sei nicht hinnehmbar.

Zuvor hatte sich auch Linken-Landeschefin Katina Schubert kritisch über die am Freitag bekanntgewordene Entscheidung geäußert und diese als „wahnsinnig“ bezeichnet. In ihrer Auftaktrede vor den 182 Delegierten in Berlin-Adlershof sagte sie: „Das Gegenteil ist nötig. Alle Teile der Zivilgesellschaft, die sich dem Neofaschismus entgegenstellen, müssen gestärkt und ermutigt werden.“

Das Finanzamt Oberhausen entschied anders

Die Berliner Senatsfinanzverwaltung gab keine Stellungnahme ab. Sie dürfe sich grundsätzlich nicht zu Einzelfällen äußern, sagte ein Sprecher. In dem Finanzamt-Schreiben wird die Entscheidung damit begründet, dass der VVN Bayern in den Verfassungsschutzberichten Bayerns seit Jahren als linksextreme Vereinigung geführt wird. Das reiche aus, um ihm die Gemeinnützigkeit zu entziehen. Der volle Beweis des Gegenteils sei nicht erbracht worden. Der Verein weist das zurück.

Wie tagesschau.de berichtet, wäre auch der VVN Nordrhein-Westfalen vom Vorwurf des bayerischen Verfassungsschutzberichts betroffen gewesen. Allerdings hätte das Finanzamt Oberhausen-Süd dem Verein die Gemeinnützigkeit nicht entzogen.
Der bayerische Verfassungsschutzbericht nennt den VVN-VdA als „bundesweit größte linksextremistisch beeinflusste Organisation im Bereich des Antifaschismus“, wie der rbb berichtet. Weder der Bund noch die Länder Berlin und Brandenburg erwähnen den VVN-BdA in ihren Verfassungsschutzberichten.

Attac und Campact ebenfalls nicht mehr gemeinnützig

Auch Attac und Campact war zuvor die Gemeinnützigkeit entzogen worden. Wie der „Spiegel“ berichtete, will Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD) die Bedingungen für politisch aktive Vereine verschärfen. Steuervergünstigungen sollen für Vereine wegfallen, wenn sie sich zu sehr in die Tagespolitik einmischen. Konkret bedeute das, dass sich Vereine zwar im Rahmen ihres Vereinszwecks politisch äußern dürfen, aber nicht in die politische Willensbildung einmischen sollen.

Der Grünenpolitiker und ehemalige Finanzchef von Attac, Sven Giegold, reagierte mit Kritik auf diese Pläne: „Ein Karnevalsverein, der sich gegen einen Naziaufmarsch engagiert, würde demnach absurderweise seine Steuerbegünstigung aufs Spiel setzen“, sagte er im selben Bericht des „Spiegel“. Scholz plant auch solchen gemeinnützigen Vereinen Steuervorteile zu entziehen, die alleine Männer als Mitglieder aufnehmen. Die CSU lehnt dies ab.

Die Grünen kritisierten die Entscheidung. „Es ist absurd, dass einem Verein in Berlin die Gemeinnützigkeit aberkannt wird, nur weil eine nachgeordnete bayrische Behörde die Gemeinnützigkeit in Frage stellt“, erklärten die Landesparteichefs Werner Graf und Nina Stahr. Der Kampf gegen den Faschismus sei ein Kampf für das Gemeinwohl und für unsere Demokratie. Der VVN-BdA wurde von Überlebenden der deutschen Konzentrationslager nach dem Zweiten Weltkrieg gegründet. (rk/dpa,Tsp)

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