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© Doris Spiekermann-Klaas

Verein Trauerzeit: Einfach mal wie alle anderen sein

Der Verein Trauerzeit hilft Kindern, die Mutter, Vater oder ein Geschwisterkind verloren haben

Alexandra ist neun Jahre alt und steckt an diesem Nachmittag in einer ziemlich produktiven künstlerischen Schaffensphase. Gerade hat sie aus einem Kaffeefilter eine Papiertasche gebastelt, kleine Marienkäfer auf die raue Außenseite geklebt und mit einem Stift, aus dem ein bunter Glitzerbrei quillt, bunte Punkte drum herum getupft. Da steckt sie ihre Finger auch schon in einen Farbtopf, der vor ihr auf dem Tisch steht, und malt pinke Blumen auf ein Blatt Papier.

„Ich finde es toll, dass wir hier basteln und zeichnen können“, sagt sie. Und dann, ganz unvermittelt: „Schade, dass meine Mama so früh gestorben ist.“ Jetzt habe sie nur noch ihren Papa und ihren Goldhamster. Mit dem Zeigefinger malt sie dann eine neue Blume, und erzählt vom Urlaub, den sie in Polen verbringen wird, bei ihren Großeltern.

Neben Alexandra sitzen vier andere Mädchen an dem kleinen Tisch. Sie alle basteln – vor allem Schmetterlinge. Weil diese zarten Tiere eine ganz besondere Symbolkraft besitzen. Und in vielen Kulturen daran geglaubt wird, dass in den Schmetterlingen die Seelen der Verstorbenen stecken.

Erzählt hat das den Kindern Simone Rönick, in der Begrüßungsrunde am Anfang der Stunde. Sie leitet die Trauergruppe für Kinder, die sie mit ihrem Verein „Trauerzeit – Zentrum für trauernde Kinder und Familien Berlin Brandenburg“ organisiert. Alle vier Wochen trifft sie sich mit den Drei- bis Zwölfjährigen, um zu reden, zu basteln oder im Nebenzimmer zu toben. Mit dabei ist fast immer auch die Theaterpädagogin und Clownin Helen Lauchart. Und viele andere ausgebildete Begleiter – die oft selbst den Partner oder ein Kind verloren haben.

Die regelmäßigen Treffen tun den Kindern gut. Einige kommen an diesen Nachmittagen sogar aus Brandenburg. Denn für die Drei- bis Zwölfjährigen, die von einem Tag auf den anderen mit dem Tod der Mutter, des Vaters oder Geschwisterkindes konfrontiert werden, gibt es wenig Unterstützung.

„Für Kinder, deren Eltern sich trennen oder scheiden lassen, werden viele Angebote organisiert“, sagt Simone Rönick. Bei Todesfällen stünden die Familien dagegen ziemlich alleine da. Denn im Kinder- und Jugendhilfegesetz würden Krisensituationen wie Überforderung, Scheidungen, Gewalt oder Schwierigkeiten in der Erziehung geregelt, nicht aber der Umgang mit dem Tod einer nahen Bezugsperson. Dabei leben in Berlin und Brandenburg mehr als 14 000 Kinder und Jugendliche, die den Vater, die Mutter oder beide Eltern verloren haben. Dazu kommen dann noch die Unter-18-Jährigen, die mit dem Tod eines Geschwisterkindes konfrontiert werden.

Seit Juni hat der Verein endlich eigene Räume: eine Altbauwohnung in der Ueckermünder Straße 1 in Prenzlauer Berg. Simone Rönick hat hier genug Platz, um mehr Veranstaltungen und Sprechzeiten anzubieten. Einen freien Tag hat die zierliche 45-Jährige selten. Anzusehen ist es ihr nicht. Neben den Kindertrauergruppen gibt es in der Beratungsstelle zum Beispiel eine für Teenager, regelmäßige Treffen für junge Erwachsene, die einen Partner verloren haben, aber auch offene Gesprächsrunden, Einzelberatungen und Seminare. Um die Angebote finanzieren, die Mietkosten bezahlen und die Räume fertig ausstatten zu können, ist der Verein dringend auf Spenden angewiesen. Eine staatliche Unterstützung bekommt er nicht.

Simone Rönick selbst hat solche Angebote vermisst, als vor Jahren zuerst ihre Schwester starb, und dann ihr Mann. Und sie mit ihren vier Kindern zusehen musste, wie es weiterging. Ihre Jüngste, Laura, war damals gerade elf Monate alt. Inzwischen ist sie neun, und bastelt gerade ein Bild aus Knetmasse. In der Begrüßungsrunde hat ihre Mutter erzählt, dass sich ganz viele Schmetterlinge auf der Hauswand niedergelassen haben an dem Frühlingstag, als Lauras Vater gestorben ist. „Schmetterlinge sind die Verbindung zwischen Erde und Himmel“, hat Simone Rönick gesagt.

Und irgendwie versucht sie das auch, den Himmel mit der Erde zu verbinden, und den Tod nicht auszublenden aus dem Leben. Weil das sowieso nicht geht.

Vor fünf Jahren hat sich Rönick, die vorher in der Gesundheitsvorsorge gearbeitet hat, deshalb zur integrativen Trauerbegleiterin ausbilden lassen. Seit dieser Zeit bietet sie Trauerbewältigungsgruppen für junge Menschen und Familien an. Die mit dem Verlust ganz unterschiedlich umgehen: „Kinder trauern in Pfützen, Erwachsene im Meer.“ Die Kinder könnten in die Trauer hinein- und wieder aus ihr herausspringen, in einer Minute in Tränen ausbrechen und in der nächsten ein Eis essen wollen. Die Erwachsenen dagegen seien in den ersten Jahren vor allem mit dem Überleben beschäftigt. Und steckten oft so in ihrer eigenen Trauer fest, dass sie ihre Kinder nicht auffangen könnten.

Im Nebenzimmer kämpfen ein paar Jungs und die Clownin mit bunten Schwimmnudeln, und die elfjährige Hanna öffnet ihre Erinnerungskiste, einen Schuhkarton, in dem sie Dinge aufbewahrt, die sie an ihren Vater erinnern: Wie den kleinen Spiegel, den er ihr aus dem Urlaub mitgebracht hat. Ihre jüngere Schwester Pauline hat ihre Kiste wie eine Wiese dekoriert. Sie legt einen bunten Vogel in den Karton, den sie gerade fertig gebastelt hat.

Christiane Fittkau, die Mutter von Hanna und Pauline, sitzt mit den anderen Eltern einen Raum weiter. Viele von ihnen treffen sich regelmäßig in der Gruppe für Jungverwitwete, die der Verein ebenfalls anbietet. Und sind froh, dass sie einmal im Monat Zeit haben für ihre Trauer, auch, wenn der Tod ihrer Partner oder Kinder schon ein paar Jahre her ist. „Die Leute erwarten schon nach einem halben Jahr, dass alles wieder normal ist“, sagt Christiane Fittkau, die vor ein paar Jahren ihren Mann verloren hat. „Aber es ist einfach nicht normal, wie wir leben, es wird immer ein Riesenloch in der Familie sein.“ Die Trauergruppe gebe ihren Kindern das Gefühl, endlich einmal wie alle anderen zu sein: „Jeder hat hier seinen Verlust hinter sich, und auch wenn die Kinder nicht so direkt darüber reden, spüren sie das.“ In der Schule dagegen werde mit dem Tod nicht immer gut umgegangen: Einige Lehrer hätten nicht einmal kondoliert, und große Schwierigkeiten, über das Thema Tod zu sprechen.

Das Treffen der Kindertrauergruppe ist fast vorbei. Rudolf Schulz, der Vater von Alexandra, versucht, die Basteleien und Bilder seiner Tochter so auf dem Tisch zu verteilen, dass alle gut trocknen können. „Meine Frau ist im letzten Herbst gestorben“, sagt er. Und auch, dass seine Tochter sehr kreativ sei und sich wohl fühle in der Trauergruppe. Wann immer er es einrichten kann, kommt er mit Alexandra zu den Treffen. Auf dem Heimweg haben er und seine Tochter immer viele bunte Bilder dabei. Und das Gefühl, dass sie nicht alleine sind.

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